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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Diese Seiten des japanischen Lebens haben selbstredend zur Folge, daß bei der Erziehung der Töchter der größte Werth darauf gelegt wird, daß sie durch irgend welche Talente den Männern besonders gefallen können; dieser einen Rücksicht ordnet sich alles Uebrige unter. Hierbei ist aber Eins rühmend hervorzuheben, nämlich das stete Bemühen der Japanerin, ihr Haus reinlich und nett zu erhalten. Wer die höchst primitiven Wohnungen der Japaner aus Beschreibungen oder Abbildungen kennt, wird sich kaum vorstellen können, wie geschmackvoll und harmonisch dieselben oft eingerichtet sind, und dabei spielt die peinliche Sauberkeit und Ordnungsliebe der Frauen keine kleine Rolle. Der eigentliche Hausrath besteht im Grunde nur aus den Matten, welche den Fußboden bedecken; dieselben sind aus einer bestimmten Grasart gefertigt und bilden eine elastische Decke; ihre einzelnen Theile sind stets nach hergebrachtem Maße angefertigt und können, sobald ein Haus verlassen wird, in der nächsten Wohnung ohne Weiteres wieder verwandt werden.

Drei japanische Grazien.

Auf diesen Matten spielt sich Tag für Tag das häusliche Leben ab; kein Stuhl, kein Tisch nach unseren Begriffen, kein Bettgestell, kein Schrank ist erforderlich. Werden die Mahlzeiten gehalten, so setzt man vor jeden einzelnen der auf den Matten hockenden Hausbewohner ein kleines, ganz niedriges Tischchen hin, auf welchem in musterhafter Ordnung und Zierlichkeit die einzelnen Speisenäpfchen arrangirt sind. Gleiche Nettigkeit herrscht bei dem Theetrinken, dem die Japaner zu jeder Zeit und mit stets gleicher Vorliebe huldigen. Ebenso, wie man auf den Matten ißt und trinkt, schläft man auch auf denselben; sobald die Nachtzeit naht, wird das Bett darüber ausgebreitet, das aus dicken gesteppten Wattendecken besteht, welche am Tage in Wandschränken aufbewahrt werden. Ob der Japaner zu Haus oder in einem Wirthshause sich zur Ruhe begiebt, immer ist das Lager dasselbe. Auch fehlt nie das Nachtlicht, das in einem eigens zu diesem Zwecke hergerichteten Papierhäuschen brennt, und der Kohlentopf oder Hibatschi, ohne den man sich übrigens zu keiner Stunde ein japanisches Zimmer denken kann. Und wie am Tage stets das Theewasser auf demselben dampft, so glühen Nachts die Kohlen in der weißen Asche, die dem Japaner unentbehrlich sind, denn sobald er erwacht, zündet er daran sein Tabakspfeifchen an, dessen Genuß ihm zu allen Zeiten ein Bedürfniß ist.

Die Speisen bereitet in bürgerlichen Verhältnissen stets die Frau des Hauses, und nur sehr vornehme Familien oder Fremde bedienen sich der Köche, welche für die letzteren ihre Kochkunst in europäischen Hotels zu erlernen haben. Bei den einzelnen Mahlzeiten ist es Sitte, daß der Hausherr allein speist und ausschließlich von seiner Frau bedient wird; erst nachdem dies geschehen, zieht dieselbe sich zurück, um nun ihrerseits das Mahl einzunehmen, wobei sie sofern sie in guten Verhältnissen lebt, sich von ihren Dienerinnen aufwarten läßt. Auf jeden Fall aber wird sie diese Mahlzeiten nur dann mit Ruhe und Freude genießen, wenn sie überzeugt ist, daß es ihrem Mann an keinerlei Komfort gebricht und daß sie ihn nach jeder Richtung hin zufriedengestellt hat. Gelingt ihr dies auf die Dauer, und findet ihr Gemahl sie überhaupt noch ansprechend genug, so hat sie allerdings die Anwartschaft darauf, unter seinem schützenden Dache verweilen zu dürfen; indessen hängt das Schwert des Damokles stets über dem Haupte dieser armen Geschöpfe. Gleichwohl befinden dieselben sich immer noch in einer behaglicheren Lage als die zahlreiche Klasse jener Japanerinnen, die sich nicht verheirathen, sondern bei allerhand Schaustellungen und theatralischen Aufführungen als Sängerinnen oder Tänzerinnen ihren Beruf finden und zu diesem Zwecke eigens erzogen werden. Die Leistungen der Sängerinnen oder Geischas bestehen vorzugsweise in dem Spielen des Koto, des nationalen großen, vor dem Spielenden auf dem Fußdoden liegenden Saiteninstrumentes, und des kleinen dreisaitigen Samisen, mit welchem gewöhnlich der Gesang begleitet wird. Mit diesem Instrument ist auch die hier (S. 233) abgebildete Geischa ausgestattet.

Haarfrisur einer Japanerin.

Zugleich mit der Musik oder dem pantomimischen Tanz erwerben diese Mädchen auch eine besondere Fertigkeit in den zahllosen Toilettekünsten, mit welchen sich die Japanerinnen zu schmücken gewohnt sind. Man kann nicht sagen, daß die Kleidung derselben nach unseren Begriffen anmuthig oder graziös ist, allein sie ist zweckmäßig, bequem und nationalökonomisch äußerst vortheilhaft, da der Schnitt derselben nie einer Mode unterworfen ist und daher ein Kleid bis zur wirklichen Abnutzung getragen werden kann. Im Sommer werden die Stoffe dünn und leicht gewählt, im Winter dagegen werden die ohnehin stärkeren Gewänder mit einer Wattirung versehen, die sehr leicht und so schön ist, daß sie dem Anzuge stets ein wohlhäbiges und behagliches Aussehen verleiht. Zeigt auch die winterliche Kopfbedeckung wenig von den Gesichtszügen, so weiß die Japanerin sie doch mit vielem Anstande und in gefälliger Weise zu tragen.

Sonst ist die Straßentoilette von der Haustoilette nicht wesentlich verschieden, außer daß die großen Holzpantoffeln hinzukommen. Kleinen Fußbänken ähnlich, werden sie mit Hilfe eines weichen, aus Baumwollstoff gefertigten Bandes getragen, das hauptsächlich zwischen der großen und zweiten Zehe gehalten wird. Trägt daher der Japaner oder die Japanerin einen ihrer kurzen, aus Baumwollstoff gefertigten Strümpfe, so muß in diesen ebenfalls eine Trennung der großen Zehe von den übrigen Zehen angebracht sein, und man hat daher diese merkwürdigen, bei den Japanern allgemein gebräuchlichen Strümpfe nicht unrichtig einen Fausthandschuh für den Fuß genannt. So sonderbar und schwerfällig nun diese für beide Geschlechter im Wesentlichen übereinstimmende Fußbekleidung auch erscheint und so wenig sie geeignet ist, den Gang der Japanerinnen leicht und schön zu gestalten, ist sie doch weit besser als die der unglücklichen Chinesinnen, welche gerade, wenn sie höheren Standes sind, noch bis auf den heutigen Tag ihre Fuße künstlich verkrüppeln und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 234. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_234.jpg&oldid=- (Version vom 17.6.2023)