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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

ungeheures sein. Die braven Finsch-Hafener wußten übrigens das Letztere sehr geschickt zu handhaben. Dafür sprechen nicht allein ihre vorzüglichen an 60 Fuß langen Seekanus, sondern auch namentlich ihre Häuser. Sie waren wie das auf meiner Abbildung (S. 193) meist nur aus Brettern gebaut, aber es gab auch stattliche Häuser mit einem Stockwerk, deren Seitenwände aus Mattenwerk bestanden. So namentlich in Ssuam, dem größten Dorfe in der Umgebung des Hafens, das wir erst später entdeckten, da es, wie alle diese Siedelungen, hinter dem Uferwaldgürtel versteckt liegt.

In diesem Dorfe befindet sich ein höchst merkwürdiges und interessantes Denkmal von Holzbildnerei aus der Steinperiode, wie es meine Skizze (S.193) zeigt. Auf einem freien Platze stehen zwei an sieben Fuß hohe menschliche Figuren, je einen Papua im vollen Schmucke darstellend, dessen Rückenseite ein sehr kennbar wiedergegebenes Krokodil deckt. Diese Arbeit ist um so bewundernswerther, als die Figuren aus den noch mit den Wurzeln in der Erde befindlichen Stämmen ausgehauen sind, ein Fall, der mir bisher nirgends in Melanesien vorgekommen war. Die Figuren wurden „Abumtau Gabiang“ genannt und sind wohl keine Götzenbilder, sondern zum Andenken irgend eines berühmten Vorfahren errichtet. Neben den Bildsäulen befand sich ein Grab, ein Rahmen aus vier Balken, der mit weißem Sande ausgefüllt war. Die pietätvolle Bestattungsweise zeigte sich in noch erhöhtem Maße in Gräbern, die Miniaturhäuser darstellten, mit Einfassung von Steinen umgeben, in welcher bunte Blattpflanzen gepflanzt waren.

Die Eingeborenen von Finsch-Hafen unterscheiden sich in keiner Weise von den bisher gesehenen. Auffallend waren hohe kegelförmige Mützen aus Tapa gewisser älterer Herren, wie der auf S. 194 dargestellte, die, im Verein mit dem häufig sehr prononcirten jüdischen Typus, der Gesammterscheinung in der That einen assyrischen Ausdruck verliehen. Von Waffen hatte man schwache Bogen aus Palmholz mit einer Sehne aus gespaltenem Rottang, breite, flache Holzkeulen, hübsche Wurfspeere und Schilde, wie ich sie bisher nirgends gefunden. Sie bestehen aus einem an fünf Fuß langen, schmalen konkaven Stück Holz mit bunter Bemalung, das einen Mann wohl zu decken vermag. Wir ließen uns friedlich ihre Anwendung zeigen, wovon die beigegebene Abbildung ein lebensvolles Bild giebt.

Ob diese Schilde wohl lange in so friedlicher Weise gezeigt werden? Wer weiß es? Denn bald wird Finsch-Hafen ein anderes Bild zeigen und ist wahrscheinlich schon jetzt nicht mehr die Idylle wie auf unserm Hauptbilde. Schon hat das erste Segelschiff Finsch-Hafen nach glücklicher Fahrt erreicht; Vorräthe, Materialien, Pferde, weiße Menschen sind gelandet worden, weitere Schiffe mit fertigen Holzhäusern unterwegs. Ein regelmäßiger Dampferdienst mit Australien (Cooktown) ist eingerichtet, und bald wird, mit Hilfe malayischer Arbeiter, die erste deutsche Niederlassung in Kaiser Wilhelms-Land, wie der deutsche Theil Neu-Guineas jetzt heißt, erstehen. Finsch-Hafen ist als Centralstation der deutschen Neu-Guinea-Kompagnie ausersehen, und jeder wird mit mir diesem bescheidenen Anfange gewiß das beste Gedeihen, die glücklichste Entwickelung wünschen.


Die Andere.

Von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)


Es war eine furchtbare Schwüle, die ich empfand der jungen Frau gegenüber; als sei ein Gewitter in der Luft und müsse im nächsten Moment losbrechen und vernichtend auf ihr Haupt fallen. Sie selbst ruhte in den Sessel zurückgelehnt und sprach nicht; aber ich sah, wie Röthe und Blässe wechselten auf dem schönen Gesicht. In welchen Träumen wiegte sie sich nur? „Ich will an Otto schreiben,“ sagte sie endlich, „nur ein paar Worte. Begleitest Du mich hinauf?“

„Ich komme nach, Lotte.“

Sie ging, und ich folgte ihr mit den Augen, bis sie in der Glasthür des Schlosses verschwunden war. Was sollte aus diesem leidenschaftlichen Geschöpf werden, wenn man ihr sagen würde: „Geh, Du bist nicht hochgeboren genug, um die Frau des künftigen Thronerben zu sein!“ – Ich konnte es nicht ausdenken, ich sprang empor und begann durch die Gartenwege zu wandern, vorüber an den leuchtend bunten Teppichbeeten, dem plätschernden Springbrunnen und den weißen Marmorstatuen, die aus dem Dunkel der Bosketts schimmerten. – Aber war denn schon Alles verloren? Wenn nun der Prinz sie mehr liebte als Thron und Fürstenhut? Ist nicht die Ehe heilig? Wie wollten Menschenhände daran rütteln, wenn sie Beide einig waren, nicht von einander zu lassen in alle Ewigkeit?

Da kam, als sollte ich eine Antwort auf meine Fragen erhalten, Anita herüber.

„O, es ist schlimm für die Gräfin, Fräulein von Werthern,“ sagte sie im Vorbeigehen.

Ich wandte mich auf einem anderen Wege dem Schlosse zu und fand Lotte in ihrem Zimmer vor dem wunderlichen Schreibtisch, dessen Füße vergoldete Löwenkrallen bildeten und der eine Uhr trug, auf welcher eine große goldene Sphinx lag mit fast unheimlichem Blick, deren schwarzer Marmorsockel eine französische Inschrift trug: ‚Was die Zukunft birgt im dunklen Schoß, ist ein Räthsel, unlösbar für den Augenblick, doch die Zeit wird es enthüllen!‘

Vor ihr lag ein fertiges kouvertirtes Schreiben.

„Lies Du die Adresse,“ bat sie, es mir reichend, „ich bin so konfus heute. Ist Alles richtig?“

„Es ist in Ordnung, Lotte.“

Sie dankte und schritt zur Klingel. „Tone,“ sagte sie, als der eintretende Diener den Brief in Empfang genommen hatte, „da muß noch eine Kunstgeschichte von Rom zwischen unseren Büchern sein, schicke sie mir herüber, ich will Vorstudien machen.“

„Gern, Lotte! ich möchte nun auch hinübergehen, oder willst Du, daß ich bleibe?“

„Nein, nein, Tone, ich werde lesen.“ und sie nahm ein kleines Elfenbeinkästchen und setzte sich wieder an den Schreibtisch, und im Gehen sah ich, daß sie Briefe herausnahm, seine Briefe. Ob sie doch wohl ahnte und sich Trost und Muth aus ihnen holen wollte?

Just vor dem Schloßportal traf ich Frau Roden; sie kam aus der Stadt zurück mit freuderothem Gesicht und drückte mir die Hand. „Gottlob,“ sagte sie.

„Wissen Sie schon? Ein todter Prinz!“ fragte ich.

Sie nickte, und ihre Miene wurde ernst; aber sie erwiderte nichts darauf.

Und am folgenden Abend, als ganz Deutschland in einem Jubeltaumel war, als alle Glocken läuteten und von Berg zu Berg die Freudenflammen aufsprühten; als die Nachricht von Mund zu Mund flog: „Napoleon gefangen! Napoleon hat seinen Degen dem König von Preußen übergeben!“ als die Luft erfüllt war von Musik und begeisterten Hochrufen, da rollte vor das Schloß ein eleganter Wagen, und ich sah in der leichten Dämmerung, die schon durch das Geäst der Kastanien webte, wie ein Herr behende ausstieg und in dem Portale verschwand. Sollte es Prinz Otto sein? fragte ich mich.

Ich saß am Fenster meines Stübchens, und vor mir auf dem Nähtisch lag ein Brief an meinen Vormund, die Bitte enthaltend, mir in einem Berliner Hospitale eine Stelle als Pflegerin zu verschaffen. Frau Roden ahnte davon nichts, das wußte ich; und ich, ich konnte nicht anders. Es war kein verzweifelter Sprung von der Brücke, wie Lotte sagte, aber ich fühlte mich nicht stark genug, die alten bittern Herzenskämpfe von Neuem zu bestehen.

Kein Laut im ganzen Hause. Mägde und Knechte, alle waren sie draußen um die Freudenfeuer schüren zu helfen und Vorbereitungen zur Illumination zu treffen. Die große gewaltige Siegesnachricht überflammte die Trauer des Fürstenhauses. Es war eine hohe, eine heilige Begeisterung, und ihre Strahlen drangen in das ärmste Hüttchen, in der des Lebens Noth die Herzen mählich stumpf gemacht hatte. Mit freudeverklärten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 195. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_195.jpg&oldid=- (Version vom 7.2.2024)