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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

daß jene Trennung, mit der mir der Pfaffe gedroht, sollte sie wirklich eintreten, ein furchtbarer Schlag für mich sein würde. Aber war es nicht möglich, demselben vorzubeugen? mußte ich es nicht wenigstens versuchen?

Und ich setzte mich hin und schrieb einen langen, langen Brief an die Mutter, in welchem ich ihr mein ganzes Herz ausschüttete: was ich um sie gelitten, und wie ich Alles vergessen und überglücklich sein wolle für ein wenig Liebe von ihr. Aber freilich den Vater könne ich nicht verlassen, und dies Verlangen habe ja ganz gewiß nicht sie an mich gestellt. Das gehe zweifellos von dem Priester aus, der immer zwischen ihr und mir und auch sicher zwischen ihr und dem Vater gestanden habe und der aus unserem Bunde weichen müsse, damit derselbe fortan ein heiliger, unzerreißbarer sei.

Ich Thor! zu wähnen, das würde einen starken Eindruck auf die Mutter machen; das würde selbst dem Pfaffen das Gewissen rühren! und ließ mich auch in diesem guten Glauben nicht erschüttern, trotzdem ein Tag nach dem andern verging und keine Antwort auf meine Bitt- und Klageschrift kam.

Freilich waren es Tage, die nicht langsam tropften, sondern daher- und vorbeirauschten wie ein stürmender Bach; Tage, die in meiner Erinnerung keine Nächte gehabt zu haben, sondern, nach den Worten der Schrift, aus Abend und Morgen geworden zu sein scheinen. Aus Abend- und Morgenröthen. Denn im rosigen glanzvollen Licht, jener thauigen Frische, die nur der Morgen kennt, jenem ahnungsvollen Duft, den nur der Abend hat, stehen sie vor dem rückwärts gewandten Auge, bis ein wehmüthiger Schleier sich darüber senkt und all die Herrlichkeit erlöschen macht: all das Herzpochen und das sehnende Verlangen und das wahnsinnige Entzücken und die flammenden Gebete und die Flüge durch alle Himmel und den Sturz durch alle Höllen. Denn er, auch er gehört ja dazu! Wer wollte sich vor ihm fürchten, ihn nicht in den Kauf nehmen um den Preis, „gelebt und geliebt“ zu haben?

Es war über mich gekommen nicht wie eine Gefahr, die heranschleicht und vor der sich der Kluge hätte hüten mögen, sondern mit dem Sprung des Tigers, vor dem es keine Flucht giebt. An jenem ersten Abend. „Hier bin ich!“ Ja, hier bin ich: ich, nach der der wilde Knabe weinte in leidenschaftlicher Verzweiflung, weil seine zuckenden Lippen noch nie ein Frauenmund geküßt habe; ich, die du gesehen, noch bevor du mich sahst; ich, die du nie wieder vergessen kannst, nachdem du mich gesehen; ich, des mächtigsten Gottes hohe Priesterin, die dem Tappenden, Taumelnden die Binde vom Auge nahm, daß er nun stehe, geblendet, trunken von dem Strahlenglanz! Und ihm nun in diesem Strahlenglanze die ganze Welt erscheint, die er nun auch zum ersten Male zu sehen glaubt. Zu sehen und zu hören, zu fühlen, zu empfinden mit allen Sinnen, durch alle Poren. Hat denn die Sonne je geschienen? der Himmel geblaut? haben die Vögel gesungen? die Blumen geduftet? ist die Welt gestern geschaffen worden, und er wandelt durch Gottes Paradiesesgarten, der erste Mensch?

Er fragt es, wenn er in der heiligen Morgenfrühe sich leise, den schlafenden Gefährten nicht zu wecken, vom Lager gestohlen hat und nun in dem Parke umherschweift durch die kühlen Schatten unter den hohen Bäumen, durch die sonnebestreiften, thauüberglänzten Beete, und in den linden balsamischen Hauch, der sie umfächelt, ihren holden Namen lispelt: Ellinor!

Ach, er hat ja keinen anderen Vertrauten seines Geheimnisses, es müßte denn der Abendwind sein, der um seine heiße Stirn streicht, wenn er sich von der Gesellschaft auf dem „Freiblick“ weggeschlichen hat zu dem Boot, das ein Streckchen davon unter überhängenden Weiden an dem Landungssteg befestigt ist und auf dem er nun hinausrudert auf des Meeres kaum bewegte Fläche so weit, daß Keiner ihn mehr abrufen kann, und daß Keiner es hören könnte und er es nicht mehr zu sagen braucht, da die plätschernde Welle am Kiele nur immer murmelt: Ellinor!

Nein, er hat keinen andern Vertrauten, darf keinen haben. Nicht, weil er weiß, daß er nicht wieder geliebt wird. Das verlangt er nicht, ja, der Gedanke bloß, es könnte jemals sein, macht ihm vor Schrecken schier das Herz erstarren. Er steht noch ganz und mit inniger Ueberzeugung in dem romantischen Glauben; er weiß, daß er von allen Kränzen, die er windet und in die er so viel tausend Gedanken und Grüße hinein gebunden, ihr keinen reichen kann. Er hält dafür, daß es ihr Herrinrecht ist, ihn nicht zu sehen, oder höchstens einmal mit dem flüchtigsten Blick aus ihren Augen zu streifen, wenn er aus schüchterner Ferne zusieht, wie sie sich in den Sattel schwingt, um mit ihren Kavalieren hineinzusprengen durch die Felder in den grünen Wald; oder in der Gesellschaft, die sie mit ihrem Witze und ihrer munteren Laune belebt, seitab steht in einer dunklen Fensternische des kerzenerhellten Salons. Das ist ihr Recht. Und seine Pflicht, es geduldig zu nehmen und von der Geliebten keine Gegenliebe zu erwarten oder gar zu fordern.

Aber ich hatte noch andere schwerwiegende Gründe, die mir das Geheimniß zur heiligen Pflicht machten. Weßhalb war ich hier? Doch nicht um dieser braunäugigen Circe willen; doch nur, weil ich Schlagododro einmal das Versprechen gegeben hatte und es mir schließlich leicht wurde, es einzulösen, nun, da ich während der ganzen Zeit mit Maria zusammen sein durfte. Zwar ich liebte Maria nicht; ich hatte das dem Freunde gegenüber behauptet und mit Recht, wie ich jetzt besser als damals und nur zu gut wußte; aber, die Andere nicht zu lieben, hieß mich die Freundespflicht, und wenn ich sie nun doch gegen meinen Willen lieben mußte, so verlangte die Achtung vor mir selbst, daß ich diese Liebe nicht eingestand. Das hatte ich mir geschworen, und ich war entschlossen, meinen Schwur zu halten.

Auch dann noch, als ich, was schon nach wenigen Tagen geschah, die seltsamste Entdeckung machte.

Der Kammerherr hatte an seinem Einfall, sich ein Amüsement zu bereiten, indem er uns jungen Leuten ein paar Schauspielscenen einübte, mit der doppelten Zähigkeit des alten Theatermannes und des Kranken festgehalten, und ich, dem gegebenen Versprechen gemäß, mein Bestes gethan, Schlagododro zur Uebernahme der Rolle des Orestes zu bewegen. Vergeblich. „Bleib mir mit dem Unsinn vom Leibe,“ rief er, wenn ich in ihn drang, doch dem kranken Mann den Gefallen zu thun. „Gefallen hin, Gefallen her, wenn mir die Sache nicht gefällt, und das thut sie ganz und gar nicht. Ich bin kein Komödiant; ich hasse Komödianten, diese Kerls, die von Einbildungen leben, wie die Schwalbe von Mücken. Ich bin ein ehrbarer Kauz, der lange warten kann, bis ihm mal eine Maus über den Weg läuft, und auf alle Fälle kann ich nur reden, wie mir der Schnabel gewachsen ist. Wie käme ich zu all dem Zeugs, das der Kerl, der Orest, da vorbringt? Habe ich meine Mutter todtgeschlagen? bin ich verrückt? Habe ich in meinem Leben auch nur eine Furie gesehen, geschweige denn ein ganzes Rudel? Bin ich der Mann dazu, aus dem Hinterhalte heraus einem ehrlichen bornirten Kerl, wie dem Thoas, der sich nichts Böses versieht, eine Statue – von Marmor oder Sandstein, was weiß ich! – auszuführen, auf die er so großen Werth legt, wie Du auf das Bild Deiner Mutter? Hätte ich mir nicht beinahe die Ohren abgeschnitten, weil ich durch meine Nachlässigkeit schuld war, daß es sich der Spitzbube annektiren konnten und schließlich: ist Fräulein von Werin meine Schwester? Ich kann Dir sagen: ich danke Gott, daß ich nicht ihr Bruder bin!“

Dieses „Schließlich“ Schlagododro’s gab mir viel zu denken. Ich kannte seinen Haß gegen Adalbert zur Genüge, und es war nicht nöthig, daß er demselben bei dieser Gelegenheit einen Ausdruck gab. Ja, dieser schroffe Ausdruck vertrug sich im Grunde gar nicht mit Schlagododro’s Ritterlichkeit, die es ihm sonst zum Gesetz gemacht hatte, jede Anspielung auf mein Freundschaftsverhältniß zu seinem Nebenbuhler sorgsam zu vermeiden. Oder verbarg sich etwa in dieser feierlichen Verwahrung vor der Geschwisterschaft mit Maria ein Doppelsinn?

Es mochte immerhin mein Verstand sein, der diese Frage aufwarf, aber die Antwort kam doch von anderer Seite. Man liebt entweder wahnsinnig oder man liebt gar nicht, hatte Schlagododro gesagt. Ich glaubte jetzt, ein Wort in dieser Sache mitsprechen zu konnen; ich glaubte zu wissen, daß allerdings „wahnsinnige Liebe“ ein kindischer Pleonasmus sei; aber vergebens spähte ich bei Schlagododro für seine behauptete Leidenschaft zu Ellinor nach den mir nun so wohlbekannten Symptomen. Er hatte mir freilich in den ersten Tagen fast drohend die Anerkennung der unvergleichlichen Schönheit und Liebenswürdigkeit seiner Kousine abverlangt und war wüthend gewesen, wenn ich ihm dieselbe, wie grausam mich mein Herz Lügen strafte, trotzig hartnäckig

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