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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

den Sie ja auch so verehren, stets gegen uns gewesen ist, und wie wenig wir ihm seine Güte gedankt haben, danken konnten: der Mutter wegen. Sie scheut die Gesellschaft, die sie zu schmerzlich erinnert an das, was sie verloren, und wir Kinder dürften nicht wagen, ihr diese Menschenscheu auszureden, selbst wenn wir es könnten. Sie wissen, warum. Wie gut sie sich auch vor Fremden zu beherrschen weiß – Sie waren ihr vom ersten Augenblick kein Fremder – einmal würde der Moment doch kommen, wo sie – etwa durch Widerspruch gereizt, oder außer sich gebracht durch die sklavische Gesinnung, die in den vornehmen Kreisen am meisten grassirt – sich nicht mehr zu beherrschen vermöchte, ihr großes Geheimniß verriethe und eine Scene herbeiführte, vor der ich schon in der bloßen Vorstellung schaudere. So habe auch ich – von Adalbert spreche ich nicht: er würde sich doch durch Niemand und durch nichts in seinen einsamen Wegen stören lassen – die Liebenswürdigkeiten der Vogtriz, Vater und Tochter, für mein Theil ablehnen zu müssen geglaubt – so schwer es mir, offen gestanden, wurde. Ich bin keine geniale Natur wie Adalbert, aber ich möchte mich gern zu den edlen Menschen rechnen dürfen, und Sie wissen aus Ihrem Goethe, daß ein edler Mensch nicht einem engen Kreise seine Bildung danken kann. Und dann – nun aber merken Sie wohl auf! Eleonore, oder, wie sie sich lieber nennen läßt: Ellinor Vogtriz ist ein selten schönes und reizendes, ja geradezu bezauberndes Geschöpf, mit dem zu verkehren eitel Wonne ist, wie eine balsamische Luft zu athmen, oder eine schöne Musik zu hören – für ein klosterhaftes Mädchen wie ich. Was es für einen Jüngling sein mag, der mit tausend Masten in den Ocean hinausstrebt, wie Sie – oder streben sollte – das wage ich schon gar nicht zu denken, geschweige denn zu sagen.“

„Und nun bin ich vollends entschlossen, hier zu bleiben,“ sagte ich mit einem Ton der Leidenschaftlichkeit, der in unserem Verkehr ein ganz fremder war, sodaß Maria ihre klaren Augen mit einem seltsam fragenden, ja erschrockenen Ausdruck auf mich wandte.

Aber bevor sie das passende Wort fand, uns aus der Verwirrung, in die wir nun Beide gerathen waren, zu lösen, wurde an die Thür gepocht, und auf Maria’s halb unbewußtes Herein trat die hohe Gestalt des Major von Vogtriz in das niedrige Zimmer.

Ich hatte ihn seit Monaten, er mich nicht gesehen, seitdem er vor fünf Jahren an jenem Morgen in des Vaters Werkstatt trat. Was Wunder, daß er in dem lang aufgeschossenen Jüngling, auf den beim Hereintreien sein erster, wie mir schien, erstaunter Blick fiel, den kleinen Knaben von damals nicht wiedererkannte, als Maria ihm meinen Namen genannt hatte, der ihm übrigens geläufig war.

„Ich habe ein gutes Namengedächtniß,“ sagte er: „und überdies habe ich Sie in diesen Tagen oft nennen hören, als den jungen Freund, auf dessen Besuch in Nonnendorf sich alle freuen, nachdem mein Neffe so viel Gutes und Schönes von Ihnen berichtet.“

Er hatte mir dabei die Hand gereicht, die er länger festhielt, als ich erwartet hatte, während er mir dabei prüfend in die Augen zu sehen schien, was meine Verlegenheit nur vermehrte. Er mochte es bemerken, wenigstens ließ er mich los und sagte, nun vor sich niederblickend: „Wie geht es Ihrem Vater? Ich erinnere mich seiner sehr wohl, obgleich ich ihm seitdem meines Wissens nie wieder begegnet bin. Hoffentlich gut?“

Ich erwiderte, daß der Vater in letzter Zeit sehr gegen seine Gewohnheit häufig kränkle und die Arbeit ihm manchmal schwer falle, obgleich er es nicht Wort haben wolle. Der Major erwiderte darauf nichts, sondern fragte, nachdem er wieder so vor sich hingeblickt: „Erinnere ich mich recht, daß Herr Lorenz Ihr Stiefvater ist?“

Ich bejahte es.

„Wie ist Ihr eigentlicher Name?“ fragte er weiter.

„Ich nenne mich nach dem Vater,“ sagte ich, „er hat mich adoptirt.“

Ich wußte wohl, daß das nicht die rechte Antwort auf seine Frage sei; aber es hatte mich noch nie jemand nach dem Namen meines Vaters gefragt und ich selbst hätte ihn nicht gewußt, wäre er mir nicht an jenem Abend, als mir der Vater die Geschichte seines Lebens und der Heirath mit meiner Mutter erzählte, genannt worden. Nun war es zu spät, mein Versehen wieder gut zu machen, da jetzt Frau von Werin, die Maria holen gegangen war, mit dieser in das Zimmer kam. Der Major ging ihr lebhaft entgegen und küßte ihr die Hand. Frau von Werin bat ihn, Platz zu nehmen, während sie sich zugleich auf das Sofa setzte. Maria und ich wollten uns entfernen, als der Major sagte:

„Ich bitte, daß die jungen Leute bleiben, wenn Sie, gnädige Frau, nichts dagegen haben: Ich komme nämlich mit einer großen Bitte, in der Sie stark betheiligt sind und hoffentlich auf meiner Seite sein werden. Meines jungen Freundes hier bin ich sogar sicher und ich denke, auch Fräulein Maria wird nicht unerbittlich sein, wenn Sie, gnädige Frau, es nicht sind. Es handelt sich aber um nichts Geringeres, als Ihnen Ihr Fraulein Tochter auf einige Wochen zu entführen. Ich habe für meine Ellinor in Nonnendorf zugesagt, und nun läßt sie mir keine Ruhe, ich müsse es ins Werk setzen, daß sie die Zeit in Gesellschaft von Fräulein Maria dort verbringt. Auf Sie, gnädige Frau, dürfen wir ja leider nicht rechnen. Oder dürften wir? Nun, sehen Sie, es ist, wie wir fürchten, und Sie sind uns eine Entschädigung schuldig. Ich selbst würde die jungen Damen hinbringen und den größten Theil der Zeit, hoffentlich die ganze, dort verleben, da ich etwas angegriffen bin und mir Urlaub erbeten habe. Meine Schwägerin ist ganz glücklich bei dem Gedanken, die jungen Damen bei sich zu haben, und verspricht, ihnen nach Kräften eine gute, sorgsame Mutter zu sein. Sie hat ihr Versprechen mit der betreffenden Einladung in diesem Briefe niedergelegt, welchen ich hier, gnädige Frau, Ihnen zu überreichen die Ehre habe.“

Frau von Werin nahm den Brief entgegen, den sie, trotzdem er mehrere Seiten lang schien, in wenigen Sekunden überflogen hatte.

„Ein sehr gütiger Brief,“ sagte sie. „Ihre Frau Schwägerin beruft sich auf unsere alte Freundschaft, die ich gern gelten lasse: wir waren in der That in der Pension in Sundin die besten Freundinnen. Wir haben uns freilich seitdem nicht wiedergesehen; aber sie meint, daß ich ihr gerade deßhalb Maria schicken muß, damit sie in der Tochter die Mutter weiter lieben kann. Das ist hübsch gesagt und, ich bin überzeugt, ehrlich gemeint. Also, was denkst Du, Maria?“

Wir hatten während dieser Unterredung am Fenster gesessen, ich für mein Theil in großer Erregung, zuerst freudig überrascht von dem großen Glücksfall der Einladung, dann in banger Furcht, Frau von Werin möchte dieselbe rund abschlagen, und nun zuletzt wieder in großer Sorge, wie denn Maria selbst sich zu der Sache stellen werde. Hatte sie mir meine Dummheit von vorhin vergeben? würde sie mich jetzt dafür strafen und mich allein gehen lassen, da wir nun so schön zusammengehen konnten? In diesem Falle war ich entschlossen, meinerseits, nun aus schierem Trotz, der Einladung zu folgen. Wie aber, wenn sie dieselbe annähme, aber unter der Bedingung, daß ich zu Hause bleibe?

Das alles schoß mir durch den Kopf von dem Moment, als Frau von Werin zu reden anhob und ich sofort merkte, daß sie der Sache günstig gestimmt sei, bis zu der Schlußfrage, die ich hatte kommen hören: „Was denkst Du, Maria?“ Das Herz schlug mir bis in die Kehle; ich wagte nicht die Augen aufzuschlagen.

„Da Mama es erlaubt und mich entbehren zu können glaubt, komme ich sehr gern, sehr gern,“ sagte Maria.

„Bravo, gnädiges Fräulein!“ rief der Major aufstehend und Maria, die sich ebenfalls erhoben hatte, mit ritterlicher Artigkeit, die doch auch wieder etwas väterlich Gütiges hatte, die Hand küssend. „Ich danke Ihnen aufrichtig – beiden Damen – aufrichtig und herzlich: Ihnen, gnädige Frau, daß Sie uns – denn ich rede hier auch im Namen meiner Verwandten – das Opfer bringen wollen, Ihr Töchterchen so lange zu missen: Ihnen, gnädiges Fräulein, von der ich weiß, wie ungern Sie die Mama verlassen. Also abgemacht, meine Damen, abgemacht! Ich schreibe heute noch nach Nonnendorf, und Sonnabend, wenn es Ihnen recht ist, um neun Uhr Morgens hält der Wagen meines Bruders drüben an der Fähre. Selbstverständlich holen Ellinor und ich – Ellinor’s Gouvernante nicht zu vergessen – das gnädige Fräulein von hier ab. Die jungen Herren, die erst nach der Schule fort können, werden wohl etwas in die Hitze hineinkommen. Nun, das ist ihre Sache.“

Er plauderte so anmuthig – dazu war der Klang seiner

Stimme – wie gut ich mich desselben von jenem Morgen her

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 136. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_136.jpg&oldid=- (Version vom 2.2.2024)