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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

schönes Märchen: Italien, Rom, der Monte Pincio, die Peterskirche – ich brauchte ja nur die Augen aufzumachen. Da war die enge, dumpfe Werkstatt, in der es nach Leim und Firniß roch: und da stand der Sarg, der morgen früh fortgeschafft werden sollte, für die alte Mutter Möllern aus dem Spittel!

Der Vater mußte den Blick, mit dem ich unwillkürlich den Sarg betrachtet, aufgefangen haben.

„Es kommt schon,“ sagte er. „ich bin nun über die Höhe weg, auf der die Sonne so schön schien, und es geht bergab auf der Schattenseite: ich gehöre eben nicht zu den Menschen, die sich auf der Höhe halten können. Die müssen mehr Kraft haben, als ich, und, vor allem, nicht immer erst an andere denken und was wohl aus denen wird, wenn sie selbst, ohne sich umzusehen, ihren Weg gehen. Dabei kommt man nicht weit, aber ich habe immer gemeint, wenn Gott zugleich allmächtig und allgütig ist, kann er nur in seiner Weisheit herausgefunden haben, wie sich das zusammen reimt. Wir armen schwachköpfigen Menschen bringen es nicht fertig und haben nur die Wahl, ob wir unserem Ehrgeiz oder unserem Herzen folgen wollen. Und für mich ist dabei nicht einmal eine Wahl gewesen, und was mir mein Herz gesagt hat, das habe ich immer gethan, ohne mir erst lange darüber den Kopf zu zerbrechen. Ich sage das aber, Kind, um dessen willen, was mir noch zu erzählen bleibt, und was ich selbst zum Theil nicht verstehen würde, wäre ich nicht überzeugt, es lag einmal in meiner Natur, so handeln zu müssen, und daß ich deßhalb wieder so handeln müßte, geriethe ich nochmals in dieselbe Lage und wüßte, was dabei für mich herauskommt.

Ich war also wieder in Dresden, den Kopf und die Mappe voll von allerhand schönen Entwürfen, wie sich da ein paar auf das Blatt verirrt haben. Ich hatte ein eigenes Atelier, wohnte aber wieder bei der Wittwe, bei der ich als Schüler gewohnt. Sie hatte eine einzige Tochter, die noch halb ein Kind war, als ich nach Italien ging, und inzwischen zur Jungfrau herangewachsen war. Das arme Mädchen that mir bitter leid. Der Vater war seiner Zeit ein geschätztes Modell gewesen – weißt Du, was das ist, Kind? – Gut! – aber als Trunkenbold gestorben, nachdem er die Seinen in tiefes Elend gebracht. Auch die Mutter hatte kein gutes Leben geführt und, grausam heftig, wie sie war, ihre schlimmen Launen immer an dem armen Kinde ausgelassen. Ich hatte es stets zu trösten gesucht und, so weit ich vermochte, in Schutz genommen und ihr gesagt, wenn ich als ein reicher und berühmter Mann wieder käme, wollte ich für sie sorgen. Nun war ich freilich noch lange kein berühmter Mann und reich war ich gewiß nicht, aber ihr ging es mißlicher als je. Sie war in ihrer Weise hübsch geworden, und die Mutter wollte sie zwingen, auch Modell zu stehen, was für ein ordentliches Mädchen unmöglich ist. Ich sah keine andere Rettung für sie, als daß ich sie zu meiner Frau machte. Das brachte mich in meinem Geschäfte just nicht weiter und, wie ich bald sehen sollte, in meiner Kunst zurück. Die Kameraden schalten oder spotteten und gingen mir aus dem Wege; auch der Meister war sehr unzufrieden, ließ mich aber deßhalb nicht fallen, sondern suchte mich zu fürdern, wenn auch nicht mehr so eifrig wie früher, und wandte mir einen und den andern Auftrag zu.

Es wollte mir nichts Rechtes mehr gelingen. Der Künstler muß in seinem Hause eine reine wohlige Luft athmem, und wenn es nicht der Fall ist, spürt man es bald an seinen Werken: es liegt kein Glanz mehr darauf, oder aber sie werden aus Schwächlichkeit übertrieben, wie Jemand, der fühlt, daß er Unrecht hat, heftig wird. Ich merkte es wohl, lange bevor die Anderen es mir sagten. Das machte mir tiefen Kummer, hauptsächlich meines Meisters wegen, der so große Hoffnungen auf mich gesetzt hatte, die ich nun so gründlich täuschen sollte. Ich selbst that mir wohl auch leid, aber noch viel mehr leid würde mir meine Frau gethan haben, hätte ich sie entgelten lassen, woran sie doch im Grunde unschuldig war. Und mußte ich meinen Traum vom Monte Pincio fahren lassen, dereinst ein großer Künstler zu werden – ein guter Gatte und ein guter Vater konnte ich immer sein, und je mehr mein Talent nach der andern Seite abzunehmen schien, desto kräftiger entwickelte es sich nach dieser, wie denn die verstümmelte Natur sich immer wieder zu helfen sucht. Auch die Liebe ist eine Kunst, zu der man, glaube ich, das Talent mit auf die Welt bringen muß. Dies Talent hatte ich, und das konnte mir Niemand und nichts rauben. Ich liebte meine Frau von ganzem Herzen, trotzdem wir wenig zu einander paßten, und ich war überselig, als uns unser Otto geboren wurde. Dann nach ein paar Jahren kam auch der August, und ich hätte so still in meinem Winkel weiter leben können – kein selbständiger Künstler mehr, aber doch ein treuer und gesuchter Gehilfe – wäre nicht das Jahr Achtundvierzig über uns hereingebrochen.

Wenigstens über mich brach’s herein. Ich hatte mich im Leben nicht um Politik gekümmert, wußte gar nicht, daß es so etwas auf der Welt gab. Plötzlich redete alle Welt davon – viel thörichtes Zeug, wie ich jetzt wohl sehe; aber auch Manches, das ich für recht und billig schon damals hielt und dafür halte bis auf den heutigen Tag. Ich hatte mir früher die Fursten als gräßliche Wütheriche vorgestellt, die ihren Spaß daran hatten, arme Menschen nackt auf einen Hirsch zu schnüren und sie von wilden Hunden zerreißen zu lassen, und mich schrecklich vor ihnen gefürchtet. Das that ich jetzt nicht mehr; aber eine Abneigung gegen sie und ein leises Mißtrauen war mir in der Seele sitzen geblieben. Ich hielt dafür, daß Menschen, die nie gefroren und gehungert hatten, nicht wissen könnten, wie den armen Leuten zu Muthe sei und was sie bedürften, und schon deßhalb nicht richtig für diese Bedürfnisse sorgen könnten beim besten Willen. Und weiter, daß sie diesen Willen oft genug gar nicht haben würden, denn es sind ja schließlich doch auch nur Menschen, und der weiseste der Menschen hat gesagt: wo unser Schatz ist, da ist auch unser Herz.

Der Schatz der Fürsten aber ist ihre Macht und Herrlichkeit, von der sie nicht lassen und lieber ihr Leben daran setzen, wie es denn so Manche gethan haben. Mit einem Worte, Kind, ich war von jeher Republikaner gewesen, ohne es zu wissen, und war es jetzt wissentlich, oder wäre es doch gern gewesen, wenn es sich hätte machen lassen. Das schien nun nicht der Fall; aber dann, meinte ich, sollten die Fürsten wenigstens ihre Völker regieren, wie diese regiert sein wollten, denn die Völker seien nicht der Fursten wegen da, sodern umgekehrt, und wenn das deutsche Volk einen Kaiser wollte, dem die anderen Fürsten gehorchen sollten in allen großen Angelegenheiten, so dürfe Der, welchem es die Krone böte, nicht Nein sagen. Das schien mir Alles so sonnenklar, und ich begriff gar nicht, wie die Leute darüber so lange Reden halten konnten, wie der Onkel seiner Zeit gethan hatte. Und richtig, da war auch der Onkel. Er hatte gehört, daß es bei uns in Dresden bald losgehen werde, und war herbeigeeilt mit seiner treuen Büchse, um für ,die gute Sache‘ zu kämpfen und zu fallen, wen’s denn sein müsse. Nun, Kind, es ging los, und er hat für die Sache, die er für die gute hielt, gekämpft und ist gefallen an meiner Seite auf der Barrikade in der Schloßstraße, mitten durch seine breite Brust und sein braves Herz geschossen.“

Der Vater strich sich nachdenklich durch den grauen Bart. Mein Blick blieb mit einem ehrfurchtsvollen Schauder auf der verstümmelten Hand haften; ich brauchte jetzt nicht mehr zu fragen: warum hast du nur vier Finger? wie an jenem Morgen, als der Major hier in der Werkstatt war und auch danach fragte, und der Vater die leise Antwort gab, die ich nicht verstand. Ach, wie vieles brauchte ich jetzt nicht mehr zu fragen! und wie vieles hatte ich doch noch zu fragen! Meine Seele war in einer zitternden Erregung, als wüßte sie, daß dieser Abend über mein Leben entscheiden sollte.

„War er auch dabei, der Major?“

Der Vater nickte.

„Als blutjunger Lieutenant. Sie hatten ein paar Regimenter aus Preußen kommen lassen; dabei ist er auch gewesen. Er hat mich sogar selbst gefangen genommen und mir auch wohl das Leben gerettet. Denn die wüthenden Soldaten wollten uns alle todt schlagen, obgleich wir uns nicht mehr wehren konnten; und er hat sich mit gezogenem Degen zwischen sie und uns geworfen. Er erinnert sich natürlich des armen blutenden zerschundenen Barrikadenmannes nicht mehr; ich habe ihn sofort wieder erkannt, als ich vor acht Jahren hierher kam: ich meine, er hat sich seitdem kaum verändert.“

„Und dann hast Du wohl gefangen gesessen, Vater?“

„Dann habe ich gefangen gesessen – in Waldheim in Sachsen; man hatte mich auf Lebenszeit zum Zuchthaus verurtheilt.“

„Auf Lebenszeit!“ rief ich entsetzt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_079.jpg&oldid=- (Version vom 18.1.2024)