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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

graute, wieder anschürte. Er mußte aber wohl bei der Arbeit bleiben, der gute Alte: es waren da viele hungrige Münder zu stopfen, und Nägelschmieden ist ein kümmerliches Handwerk. Für einen Sack mit tausend Nägeln, von denen jeder einzeln auf dem Amboß gehämmert werden mußte, bekam er, wenn der Preis gut war, zehn Groschen und meistens weniger. Die Kinder wußten das am besten, denn wenn der Vater ein paar Säcke voll fertig hatte, mußten sie dieselben hinab in die Dörfer tragen, und es dauerte oft recht lange, bis sie ihre Waare los wurden, und hatten dabei gar viel von Wind und Wetter und schlechten Menschen auszustehen. Es gab aber auch hier und da gute, die Mitleid mit den armen Kindern hatten und ihnen die Nägel abnahmen, die sie manchmal gewiß nicht einmal brauchen konnten. Auch konnten die armen Schelme nicht sagen, daß sie sich unglücklich fühlten. An das Frieren und Hungern waren sie gewöhnt, und sie froren und hungerten ja nicht immer. Besonders des Sommers nicht, wenn die Schwämme und die Beeren im Walde wuchsen, die sie einsammelten und mit denen die Buben sich auch manch guten Groschen verdienten, ebenso wie die Mädchen mit ihren Zöpfen, die ihnen abgeschnitten wurden, wenn sie lang genug waren, und welche die Mutter dann in der Stadt verkaufen ging.

Und dann war es gar herrlich des Sommers obem im Walde: der Himmel so blau und die Bäume so hoch und grün, und durch die hohen grünen Bäume schlüpften die goldenen Sonnenstrahlen und flogen die Vögel, die so lieblich sangen und von denen die Kinder jeden kannten, wie auch jede Pflanze und jedes Moos im Walde. Nicht dem Namen nach, außer solchen, die sie ihnen selber gaben, denn irgend welchen Unterricht, außer etwa einem Bischen Lesen und Schreiben während des Winters hatten sie nicht, und von dem Bischen vergaßen sie das Meiste im Laufe des Sommers wieder, und im Winter lag der Schnee oft wochenlang so hoch, daß sie nicht in die Schule konnten, welche überdies eine Viertelmeile entfernt lag. Sie wuchsen eben halb wild auf. Manche von ihnen waren, glaub’ ich, nicht einmal getauft, und daß der arme Peter nicht eingesegnet war, wußte er sicher. Du wolltest etwas sagen, Kind?“

Der Vater nippte an dem Wein. Ich hatte rufen wollen: Auch Du, Vater, bist nicht eingesegnet! aber ich mochte jetzt nicht an die Frage rühren. Ich mußte fürchten, daß darüber die Erzählung des Vaters von seinen Erlebnissen eine Unterbrechung erleide, und für den Augenblick flößte mir diese ein größeres Interesse ein, als meine eigenen Angelegenheiten. Dazu war in dem Ton des Vaters, während er, ohne zu stocken, ohne jemals nach einem Worte zu suchen, erzählte, etwas so erquicklich Schlichtes und Bescheidenes, daß es mir wie Musik klang und ich immer nur hätte zuhören mögen. Ich versicherte deßhalb heftig, daß ich nichts habe fragen oder sagen wollen und schenkte ihm, obgleich er sanft abzuwehren suchte, das Glas wieder voll. Er nippte abermals mit sichtbarem Wohlbehagen und fuhr fort:

„Du kannst Dir denken, daß die Kinder aus dem kleinen Hause mußten, sobald sie zu groß wurden für das Hausiren mit den Nägelsäcken, denn ohne das Mitleid der Leute hätte das Geschäft schon gar nicht rentirt. So wurden sie durch das Land zerstreut; einer ist aber geblieben und setzt das armselige Gewerbe des Vaters in dem armseligen Häuschen fort bis auf den heutigen Tag. Die Mutter, von der Peter ein Bild in der Seele hatte, als ob sie eine steinalte Frau gewesen wäre, obgleich sie gar nicht alt geworden sein kann, war schon vorher gestorben. Nun hatte sich auch der Vater die letzten Nägel zu seinem Sarge geschmiedet. Es muß sich wohl irgend ein Nachbar der armen Verwaisten angenommen haben – oder ein Ortsvorstand, obgleich Peter nie von einem solchen gehört – genug, man hatte einen entfernten Verwandten der Mutter in einer kleinen sächsischen Stadt am Fuße des Waldes ausfindig gemacht, zu dem er in die Lehre kam. Der Onkel, so nannte er ihn, war Steinmetz. Er hatte keine leichte Zeit bei dem Onkel. Es war ein gewaltsamer, jähzorniger Mann, der fortwährend auf Gott und die ganze Welt, besonders auf die Regierung schalt und, was für den armen Peter viel schlimmer war, bei der geringsten Veranlassung zuschlug – Peter meinte: oft nur, weil es ihm ein körperliches Bedürfniß war. Im Grunde war es ein braver Mensch, der das Gute wollte, so weit er es eben verstand, und alles an seine Ueberzeugung setzen konnte, wie er es hernach bewiesen hat. Der arme unwissende Junge vom Walde suchte ihm möglichst zu Dank zu leben und es wurde ihm das nicht schwer, denn er war von Natur fleißig und die Arbeit machte ihm Freude. Der Onkel fertigte zumeist Thürschwellen und Fensterrahmen aus Sandstein, aber auch Grabsteine und Kreuze aus Granit und einer schlechten Sorte Marmor. Manchmal wünschten die Kunden auch sinnbildliche Verzierungen: ein flammendes Herz oder ein Auge Gottes, schließlich sogar Engel und sonstige Figuren. Das war aber ein Kreuz und ein Leid für den Onkel, der sich auf dergleichen nicht verstand, und so war es denn eine große Erleichterung für ihn, als sich bald herausstellte, daß Peter für solche Dinge eine natürliche Begabung hatte. Ja, er brauchte in Kurzem selbst für die Engel nur noch eine ganz flüchtige Thonskizze zu machen und konnte dann sofort an die Ausführung in Marmor gehen. Der Onkel brummte freilich dazu, denn je bessere Sachen der Junge machen lernte, desto mehr Bestellungen der Art kamen; auch aus entfernteren Orten, einmal sogar aus Dresden. Dort hatte ein sehr berühmter Bildhauer eine seiner Arbeiten zu sehen bekommen und darauf bestanden, daß ein junger Mensch, der ohne alle Anleitung so etwas machen könne, ordentlich in die Lehre müsse. Der gute Mann hatte in seinem Leben mit ganz ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt, und er ruhte nicht – der Onkel mochte wettern, wie er wollte – bis Peter zu ihm in das Atelier kam.“

Der Vater brach ab, führte mit zitternder Hand das Glas an den Mund, nippte hastig ein paar Tropfen, setzte das Glas wieder hin und versank in jenen ihm eigenthümlichen Zustand, in welchem er alles rings um sich her vergaß. Aber wenn dann meistens seine Stirn umwölkt und seine starren Augen trübe waren, so leuchtete jetzt förmlich sein ganzes Angesicht, während sein Blick groß und still wie auf einer weiten schönen Ferne ruhte. Das dauerte wohl eine Minute, während derer ich mich nicht zu regen, kaum zu athmen wagte. Dann strich er sich mit der Hand über die Stirn, schaute auf mich, wie jemand, der aus einem tiefen Traum erwacht, und sagte, nun in einem ganz anderen, helleren Ton und offenbar ohne sich zu erinnern, daß er bis dahin von sich als von einer dritten Person gesprochen hatte:

„Wo war ich doch stehen geblieben? Ja so, in Dresden, bei Meister Rietschel. Ja, das war eine schöne Zeit, eine goldige Zeit! Mir ging’s wie dem Manne, der in eine Zauberhöhle kam, wo alles von Rubinen, Smaragden und Diamanten glänzt, daß er nicht weiß, wohin er zuerst greifen soll. Ich arbeitete Tag und Nacht, ich hatte ja so viel nachzuholen, wenn man das von einem sagen kann, der, wie ich, alles von Anfang an lernen mußte. Aber der Meister half, wo und wie er konnte, und ich fand gute Gesellen, die auch halfen; und machte solche Fortschritte, daß der Meister eines Tages sagte, was ich nun noch lernen könne, müsse ich aus mir selber lernen, Notabene, nachdem ich zuvor ein Jahr in Italien gewesen. Ein Stipendium hatte ich freilich nicht, brauchte ich aber auch nicht; ich hatte noch nicht verlernt, knapp zu leben und, wenn’s sein mußte, zu hungern. Auch hatte ich mir etwas Geld verdient und damit ging’s nach Italien. Ja, Kind, ich bin in Italien gewesen: in Florenz und Rom und weiter hinab bis Syrakus, wo ich eine herrliche Venus mit ausgraben half, von der ich an Ort und Stelle eine Kopie machte, die ich nach Hause schickte, und die mir ein tüchtiges Stück Geld eintrug, so daß ich noch ein zweites Jahr in Rom leben konnte wie ein Fürst. Bloß, daß der reichste Fürst gar nicht so glücklich sein kann, wie so ein armer Künstler, wenn er sich den Tag über rechtschaffen müde gearbeitet hat an einem Werk, von dem er sich Ruhm und Ehre verspricht; und nun des Abends auf dem Monte Pincio steht, wo einem die Stadt so zu sagen unter den Füßen liegt mit der grünen Campagna dahinter, in welche die Kuppel von St. Peter hoch hinaufragt – alles rosig und purpurn überglänzt von der untergehenden Sonne. Und er, der junge Mensch da oben, in all der Herrlichkeit doch eigentlich wieder nichts sieht, als das angefangene Thonbild, das er mit nassen Lappen zugedeckt hat, als er seine dunkle Werkstatt verließ. Nur ist es jetzt fertig und kein brauner Thon mehr, sondern glänzender Marmor, aus dem, wie aus einem Spiegel, all die Schönheit wiederstrahlt, die sich da tausendfältig vor ihm breitet.“

Der Vater schwieg, für den Moment überwältigt von seinen Erinnerungen; ich saß da, berauscht von dem Feuerwein und dem

Märchen, das ich da vernahm. Denn das war doch gewiß ein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Leipzig: Ernst Keil, 1886, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_078.jpg&oldid=- (Version vom 18.1.2024)