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Verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Der Gefeierte benahm sich diesen Huldigungen gegenüber anständig und bescheiden. Sein Gebaren ließ das Unvortheilhafte seiner Persönlichkeit vergessen. Um so leichter, als die Vergleichung seiner Erscheinung mit der des finsteren Einsiedlers von Capri doch immerhin sehr zu seinen Gunsten ausfallen mußte.

Als die erste Botschaft vom Tode des alten Tyrannen nach Rom gelangt war, hatte der städtische Janhagel das Gebrüll erhoben: „in den Tiber mit dem Tiberius (Tiberium in Tiberim)!“ Davon war aber keine Rede mehr bei der Auknnft des Leichengeleites in der Hanptstadt. Macro, der kommandirende General des Gardecorps, hatte in Verbindung mit der senatorischen Polizei dafür gesorgt, daß die Exequien dessen, vor welchem noch so eben das römische Reich gezittert hatte, in aller Ordnung vonstatten gingen, Caligula hielt, „bitterlich weinend“ (cum plurimis lacrimis), seinein Großoheim auf dem Forum die Grabrede, in welcher er mehr vom Augustus und vom Germanicus als vom Tiberius sprach und das romische Volk nicht ungeschickt zu bekomplimentiren verstand. Darauf wurde der todte Kaiser unter Entfaltung großen Pompes nach dem Marsfeld getragen und auf den dort errichteten Scheiterhaufen gelegt. Mit der Verbringung der Asche in das cäsarische Mausoleum war die Feierlichkeit zu Ende und hob das Regiment des Caligula an, welches schon nach wenigen Monaten den Römern sehr fühlbar machte, daß „selten etwas Besseres nachkommt".

Der neue Kaiser vereinigte in sich das Blut des julischen und des claudischen Geschlechts und leider hatte er mit diesem Blut zugleich weit mehr die Verkehrtheiten und Laster der Julier und der Claudier als ihre guten Eigenschaften und Vorzüge überkommen. Insbesondere vergeilte sich in ihm der angestammte claudische Hochmuth rasch zu größewahnwitzigem Dünkel und schlug zu so märchenhafter Ueberhebung aus, daß er nicht allein für einen Gott angesehen sein wollte, sondern auch selber alles Ernstes an seine Göttlichkeit glaubte. Er verdient daher als eins der merkwürdigsten Exemplare, welche jemals in dem riesigen Narrenhause der sogenannten Weltgeschichte rumorten, unsere volle Aufmerksamkeit. Auch in modernen Zeiten haben Völker die Regierung von notorischen Narren geduldet, aber Narren von solcher Kolossalitat wie Caligula, Nero und Elagabal hat doch nur das in Geund und Bodens verderbte Römervolk ertragen. Nur aus dem riesigen Sumpfe der kaiserlichen Roma konnten solche Kolosse von Upasbäumen aufschießen.

Von den zwei Schwestern des Octavius Augnstus hatte (die jüngere) Octavia den Mittriumdir ihres Bruders, den Marcus Antonius, geheiratet und demselben zwei Töchter geboren. Die jüngere, Antonia, war dem Prinzen Drusus, dem Bruder Tibers, vermählt worden und hatte zwei Söhnen das Leben gegeben, dem Volksliebling Germanicus und dem Halbtrottel Claudius, von welchem seine Mutter zu sagen pflegte, er wäre „von der Natur nicht fertiggenäht, sondern nur zu Faden geschlagen“, und den sein Oheim Augustus einen „Defekten“ an Leib und Seele, einen „Tropf“ und „Fex“ nante - was alles jedoch den „nur zu Faden Geschlagenen“ nicht hinderte, eines Tages Imperator urbis et orbis, ja sogar der Gemahl der Baleria Messalina zu werden. Germanicus heiratete die kaiserliche Prinzessin Agrippina, welche den großen Minister Agrippa zum Vater und des Augustus Tochter Julia zur Mutter hatte. Diese Agrippina, welche, um sie von ihrer gleichnamigen Tochter, der Mutter Neros, zu unterscheiden, die ältere heißt, gebar ihrem Gemahl am 31. August des Jahres 12 zu Antium den Gajus Cäsar Caligula.

Die Erziehung des Prinzen war sehr mangelhaft. Sein Vater nahm ihn mit in die Feldlager in Germanien und Syrien, starb aber zu vorzeitig (i. J. 19), als daß er auf die Entwickelung des Sohnes hätte einwirken können. Der Knabe kam dann unter die schlaffe Zucht von Frauen: erst seiner Mutter, hierauf, als diese beim Tiberius in Ungnade gefallen und ins Exil geschickt war, seiner Urgroßmutter Livia und endlich, als diese gestorben, seiner Großmutter Antonia. Im Jahre 32 rief ihn sein Großoheim Tiber zu sich nach Capri, wo er bis zum Ableben des Kaisers zumeist verweilte, mit sklavischer Unterthänigkeit in alle Thyrannenlaunen des düsteren Greises sich fügend. Dieser hielt nicht viel von dem Großneffen, sondern sehr wenig, und der Prinz hatte weder das Zeug noch den Willen, diese üble Meinung in eine bessere umzuwandeln. Er war ein beschränkter, aufgeblasener Junge, dem die Vorstellung von seiner Wichtigkeit schon frühzeitig zur fixen geworden war, träge zum Lernen, stumpf für alles Bessere und Höhere, mit einem starken Hang sowohl zur Lüderlichkeit als zur Grausamkeit behaftet, dabei einer Dosis jener gemeinen Schlauheit nicht entbehrend, welche sich zu ducken, zu kriechen und zu heucheln versteht, bis die Zeit gekommen, wo sie stolziren, despotisiren und bramarbasiren darf. Der Urgrund von all seiner Verkehrtheit mag woht in dem ererbten Blut zu suchen gewesen sein. Er litt darum in Knabenjahren an einer schrecklichen Krankheit, der Fallsucht, und obzwar später seine Körperkräfte so zunahmen, daß er Anstrengungen auszuhalten vermochte, so warf ihn maßlose Ausschweifung doch immer wieder in eine solche Schwäche zurück, daß er zeitweilig weder stehen noch gehen konnte und seine Gehirnnerven den Dienst versagten. Es ist kennzeichnend, daß der Prinz schon auf Capri, sobald das kalte Auge des Großoheims nicht auf ihm ruhte, seinen schlechten Instinkten freien Lauf ließ. Seine bevorzugten Gesellschafter waren Komödianten, Schnurranten und Saltanten. Die Qualen Gefolterter oder Hinzurichtender mitanzusehen, war eine seiner Freuden.

Beschmeichler der Prinzenschaft des jungen Menschen haben ihn frühzeitig glauben gemacht, er wäre ein Genie. Die barocken Einfälle, die er mitunter hatte, wurden von seinen Schranzen als Proben höchster Witzigkeit belacht und beklatscht. So, wenn er seine Urgroßmutter Livia einen „Ulysses im Unterrock“ (Ulyssem stolatum) nannte. Der verderblichste seiner Schmeichelfreunde war aber der jüdische Prinz Herodes Agrippa, welcher als Exulant in Rom lebte und mittels maßloser Verschwendung die vornehme römische Jugend in alle Ueppigkeit und Lasterfülle orientalischer Höfe einweihte. Die grüßte Gefahr vonseiten des Einflusses, den er auf Caligula übte, lag darin, daß er die enge Gehirnfülle desselben mit der Wahnvorstellung zu füllen suchte und wußte, ein orientalischer Monarch wäre etwas ganz Anderes, etwas unendlich viel Besseres und Erhabeneres als ein römischer Cäsar und Princeps, dessen Macht ja durch die noch immer bestehenden Formen und Formeln der Republik eingeschränkt sei. Ein orientalischer König der säße auf seinem Thron als der wirkliche und leibhafte Gott seiner Unterthanen, Herr über aller Gut und Leben, unumschränkt, unfehlbar, allmächtig und sacrosanct. Einer derartigen Unterweisung bedurfte es gerade noch, um den schwachen Kopf des Prinzen schwindelig und wirbelig zu machen.

Der alte Tiberius, welcher aller Verdüsterung ungeachtet bis zuletzt ein starkes Bewußtsein seiner Herrscherpflichten besaß, erkannte zum voraus das Unheil, welches das Regiment seines Großneffen über den römischen Staat bringen konnte und würde. Deßhalb trug er sich wiederholt mit dem Gedanken, den Caligula abthun zu lassen. Er hätte auch wohl diesen Gedanken zur That gemacht, wenn sein doch immerhin lebhaftes dynastisches Gefühl anderweitige Hoffnungen hätte hegen dürfen. Aber es sah ja hinsichtlich der Thronnachfolge schlimm aus in der kaiserlichen Familie. Des Kaisers i. J. 19 geborener Enkel Tiberius Gemellus, Sohn des Drusus, stellte sich so sehr als Schwächliug an Geist und Körper heraus, daß er kaum weniger Fex war als sein Vetter Claiidius. Der General Macro, Caligula´s Militärgouverneur, welcher hoffen durfte, unter der Cäsarschaft seines Zöglings die erste Rolle im Staate zu spielen oder vielleicht gar die Entwürfe Sejans mit mehr Glück wieder aufnehmen zu können - Macro wußte seinen Gebieter zu überreden, daß Caligula nicht umgebracht werden dürfe, weil dessen Dasein zur Sicherung der Thronnachfolge nothwendig sei.

Für den General sollte ein Tag kommen, welcher ihn seine hilf- und erfolgreiche Dazwischenkunft bitter bereuen ließ. Der greise Kaiser mag sich den Beweisgründen seines Ministers achselzuckend gefügt haben, und es ist vielleicht gestattet, anzunehmen, daß der grimmige Menschenverächter bei dieser Gelegenheit das grausam schadenfrohe Wort habe fallen lassen. sein Großneffe Gajus „lebe zu seinem und aller Verderben“ und er, Tiberius, „erziehe in Caligula dem römischen Volk eine giftige Natter und dem Erdkreis einen Mordbrenner“ (se natricem populo romano, Phaëthontem orbi terrarum educare).

Er machte auch noch einen Versnch, die Macht, welche er seinem Großneffen hinterlassen mußte, durch Theilung derselben einigermaßen einzuschränken. Denn er setzte ein Testament auf, kraft dessen er den Principat und alle seine Besitztümer seinem

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