Seite:Die Gartenlaube (1885) 819.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Bianca hatte mit wachsender Entrüstung die Auseinandersetzungen Sperber’s angehört. Sie erschienen ihr bis zur Unausstehlichkeit verständig oder vielmehr bis zum Ekel einfältig. Sie selber hatte in ihrer kindischen opernhaften Lebensanschauung bisher nicht ans Heirathen ernstlich gedacht. Sie wollte einen Strich ziehen unter ihr bisheriges Leben und das Weitere Gott und der Kunst anheimgeben. Von dem Augenblick an aber, da Pater Otto die Verehelichung so leicht, so bequem, so nahe und, wohl bemerkt, in so romantische Beleuchtung gerückt hatte, war es ihr, als hätte einer eine Binde von ihren Augen abgenommen und zeigte ihren überraschten Blicken Glück und Glanz und Glorie zum Handgreifen bereit vor ihr. Sie wollte auch freudig und sogleich mit Händen darnach greifen. Und wie mit Messern stach’s ihr ins Herz, als sie gewahrte, daß der sonst so verliebte, so widerspruchslos ergebene Freund Edgar es gar nicht so eilig hatte. In dieser Minute sank er thurmhoch von dem Piedestal herunter, auf das ihn ihre Schwärmerei gestellt hatte.

Mit unglaublicher Raschheit vollzog sich die Wandlung in ihren Anschauungen, und obwohl der Gedanke der Flucht doch in ihrem Köpfchen gewachsen und ausschließlich von ihr diktirt worden war, so meinte sie doch aus der bisherigen Einleitung zu derselben die klare Pflicht Edgar’s folgern zu müssen, einem Mädchen, das er entführt habe, vor dem ersten besten Priester am Wege die Ehre wiederzugeben.

Sperber faßte den bisher so harmlosen Spaziergang minder folgenschwer auf. Hatte er schon den Schluß seiner Rede, der die Absicht aussprach, Bianca als seine Frau zu gewinnen, nicht so sehr mit hinreißender Ueberzeugungskraft ausgestattet, sondern mehr wie eine oratorische Figur, um seinen Rückzug nicht ungedeckt auszuführen, und etwas kleinlaut von sich gegeben, so schwieg er nun vollends auf das entschiedene Niemals der Sängerin.

Pater Otto verlor die Ruhe durchaus nicht. Er brach zuerst die peinliche Stille, die über den halbgeleerten Kaffeetassen schwebte, indem er sagte: „Ich nehme gern als Blutsverwandter meiner Muhme Kenntniß von Ihren ehrenwerthen, nur etwas weit ausblickenden Vorsätzen, Herr von Sperber, kann aber nicht umhin, mein Bedauern darüber auszusprechen, daß Sie bei den großen Rücksichten, die Sie auf die Sitten und Anschauungen Ihrer werthen Familie nehmen, auf die Ehre unserer Familie so wenig Rücksichten zu nehmen beliebten, wie . . .“

Edgar wollte hier ärgerlich auffahren. Aber der Chorherr wehrte mit lächelnder Miene der Unterbrechung und vollendete, mit den Händen auf den Tisch und dessen Zurüstung deutend, seinen Satz mit den Worten. „wie unser ganzes Hiersein doch wohl beweist.“

Dann zu seiner Muhme sich wendend fuhr er leiser fort: „Du siehst, liebe Bianca, das dritte Gedeck war nicht vom Ueberfluß.“

Sie sank. schluchzend an seinen Hals.

„Du bist doch einverstanden, daß ich Dich nunmehr ins Haus Deines Vaters zurückbegleite?“

Bianca war keines Wortes mächtig und schüttelte nur bejahend das blonde Haupt, ohne das Angesicht zu zeigen, denn sie weinte nicht nur um Sperber’s Kleinmuth und Verrath, sondern auch um den Zusammenbruch all der guten Gedanken, welche sie seit Wochen hoch über die dumme wirkliche Welt erhoben hatten.

„Dann bleibt mir weiter nichts übrig, Herr von Sperber,“ sagte Pater Otto, nun ganz in den Ton weltmännischer Freundlichkeit einlenkend, „als Ihnen für den gelungenen Ausflug und das vortreffliche ländliche Mahl, mit dem Sie uns erfreut haben, vielmals zu danken und Sie zu bitten, nunmehr den Wagen befehlen zu wollen, damit er uns nach der nächsten Bahnstation bringe, von wo aus ich meiner Muhme das Geleite nach Wien geben will. Es möchte die Stimme Bianca’s unter der Abendluft leiden, die hier im Gebirge doch manchmal auch im Sommer recht bedenklich wirken kann.“

Edgar, blaß bis in die Lippen, verbeugte sich und sagte: „Ich werde sofort selbst Auftrag geben!“ Und er ging mit langen, weniger als sonst schwebenden Schritten dem Hause zu.

Aber der sorgsame Schani mußte schon ohnehin die Stunde zum Aufbruch reif erachtet und darum die Pferde eingeschirrt haben, denn kaum, daß der Baron verschwunden war, rollte der Unnumerirte schon um die Ecke, und das flotte Gefährt stand zur Abfahrt bereit. Bianca hatte kaum Zeit gehabt, den Zipfel ihres Taschentuchs mit Wasser zu begießen, um die brennenden Augen zu kühlen und die Spuren ihrer Thränen von den Wangen zu wischen.

„Komm!“ sagte Pater Otto und reichte ihr den Arm. Ihr war zum Umsinken elend. Der jähe Wechsel in Allem, was sie empfand und dachte, diese ganze Umkehr ihrer Hoffnungen und Wünsche wollte ihr das Herz abdrücken. Sie entwand sich dem Priesterarm, es schien, als wollte sie laut auf gen Himmel schreien.

„Laß Dir vor den fremden Leuten nichts anmerken!“ raunte Pater Otto dem Mädchen zu. „Fassung! Stolz! Da kommt die Frau Wirthin schon herangestürzt zum Abschiede. Willst Du eine Künstlerin sein, so spiele nur gleich hier etwas Komödie und lächle, wenn Dir auch das Weinen näher ist.“

Sie hob das Haupt, und richtig, sie lächelte das grüßende Bauernweib huldreich an, das der „gnädigen Frau“ noch einen bunten Feldblumenstrauß in den Wagen reichte und dem Hochwürdigen demüthig die Hand küßte.

Edgar ward von diesem Lächeln Bianca’s nach all dem, was eben hier vorgegangen, nicht wenig erbost. Eine herzlose Kokette voll gemeiner Absichtlichkeit sah er nunmehr in diesem blonden Frauenzimmer und weiter nichts, während dieses mit aller Gewalt den Aufschrei bittersten Grams in ihrem sterbensbangen Busen niederkämpfte.

Laut sagte Sperber nichts weiter, als daß nun auch er mit vollendeter Höflichkeit den Priester neben Bianca zu sitzen, für sich selber aber um Erlaubniß bat, hier zurückbleiben zu dürfen, wo er noch Einiges zu ordnen habe.

„Wohin befehlen Hochwürden?“ fragte Schani, sich vom Bocke rückwärts wendend und den lichtgrauen Hut hoch über dem zinnoberrothen Gesichte lüftend.

Pater Otto nannte den Namen der Bahnstation, und der Sand knirschte unter den kreisenden Rädern. Edgar verbeugte sich noch einmal und tief, Pater Otto bedankte sich noch einmal, Bianca sah noch einmal in des Einstgeliebten blasses boshaftes Gesicht – und schon lag das kleine Gasthaus hinter ihnen. Lautschluchzend weinte das Mädchen, das vor wenigen Stunden mit ganz anderen Gefühlen in denselben Kissen ausgefahren war.

Anf einmal fuhr sie empor. „Warum lässest Du gleich nach dem Bahnhofe fahren?“ fragte sie. „Du mußt doch vorher in die Kirche dort drüben und Alles abbestellen, was Du für die Trauung angeordnet hast. Nicht?“

Der Priester schüttelte gelassen das Haupt. „Das thut nicht noth!“ antwortete er. „Der Vorbereitungen waren nicht so viele.“

Dann schwieg er, ohne Bianca weiter anzusehen. Diese jedoch betrachtete ihn mit brennenden Augen, als wollte sie Beantwortung der Fragen, die jetzt in ihrem Inneren auftauchten, aus seinen stillen Zügen lesen.

Vielleicht hatte Pater Otto gar keine Vorbereitungen in jener Kirche treffen lassen, vielleicht hatte er mit dem dortigen Herrn Pfarrer niemals ein Sterbenswörtlein über ein matrimonio segreto seiner Nichte gewechselt, und zwar aus dem guten Grunde, weil er die Menschen besser kannte und von vornherein seiner Sache sicher war, sicher, daß dieser Herr von Sperber, der sich einen Hauptspaß daraus machte, mit einer angehenden Sängerin ins Blaue hinein zu suitisiren, nie daran denken würde, sich mit einem kleinen Bürgermädel aus der Josefstadt, mit einem leichtgläubigen, überspannten, ehrgeizigen Ding ohne Namen, ohne Geld wirklich und endgültig zu verheirathen. Zu einem Scherz, auch wenn’s ein recht kostspieliger war, wie so eine mehrmonatliche Hochzeitsreise nach Italien oder Paris, war er jederzeit geneigt – heirathen aber, das ging über den Spaß!

War es nicht abscheulich von Pater Otto, sich mit solchen Gedanken getragen zu haben? O gewiß! Aber war es nicht noch viel abscheulicher von Edgar, daß Jener mit diesen abscheulichen Gedanken Recht behielt?

Ihr Herz krampfte sich zusammen. Sie haßte Pater Otto, sie haßte Edgar von Sperber, sie haßte sich selbst und das Leben, das ihr bevorstand. Der Ekel schüttelte sie. Nie vordem hatte sie sich mit Seel’ und Leib in einem so entsetzlichen Zustande befunden wie nun. Zum ersten Male dachte sie, daß ein jäher Tod gar kein so übles Geschick wäre.

(Fortsetzung folgt.)

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 819. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_819.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2024)