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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

gesagt, alles ginge in Nola den gewohnten Gang, hieß er einen Spiegel bringen und ließ sich frisiren. Dies geschehen, richtete er an die sein Lager umstehenden vertrauten Höflinge die Worte: „Sagt einmal, Freunde, habe ich die Posse des Lebens anständig (commode) durchgespielt?“ fügte dann mit leiser Stimme aus dem Epilog zu einer griechischen Komödie die Verse hinzu:

„Wenn das Stück euch hat gefallen,
Nun, so laßt den Beifall schallen!“

ließ sich in die ausgestreckten Arme der Livia fallen, sagte dieser Frau, welche er sehr geliebt und wohl auch ein bißchen gefürchtet hatte, noch ein zärtliches Wort und verschied.

Tiberius Claudius Nero, der Stief-, Schwieger- und Adoptivsohn des Todten, war jetzt Princeps, Imperator, Cäsar. Denn seine Nachfolge im Besitze der höchsten Macht über den römischen Staat und damit über den „Erdkreis“ ging ohne Schwierigkeit vonstatten, obzwar der römische Adel den neuen Herrscher sehr scheel ansah. Diese mit leicht zählbaren Ausnahmen bis zum Angefaultsein verderbte Aristokratie war durch Augustus so gezähmt worden, daß die Söhne und Enkel und Vettern derer, von welchen Julius Cäsar umgebracht worden war, alles Ernstes an den „göttlichen“ Ursprung glaubten, welchen die höfische Poesie, wie sie im „augustischen Zeitalter“ aufgekommen, dem julischen Geschlechte, das seine Herkunft vom sagenhaften Trojaner Aeneas ableitete, unterthänigst angeschmeichelt hatte. Der neue Kaiser war kein Julier, sondern nur ein Claudier und das ist ihm von den römischen Legitimisten niemals verziehen worden. Er galt diesen Junkern, welche ihren Legitimismus wunderlichst mit Republikanismus zu verquicken liebten, als ein Eindringling. Und um wie viel mehr vollends den Prinzen und Prinzessinnen des kaiserlichen Hauses!

Hier liegt zweifelsohne die Wurzel des schlechten Rufes, welchen man in den Kreisen der römischen Aristokratie dem Tiberius zurechtmachte, lange bevor er denselben verdiente. Hier wurden die Farben gerieben und gemischt zu jenem Bild eines Ungeheuers, einer Verkörperung des Begriffes „Tyrann“, als welches und als welche das Alterthum den Sohn der Livia den spätern Zeiten überliefert hat. Und so gewaltig war die Wirkung und Nachwirkung des Hasses, welchen der römische Adel dem Nachfolger des Augustus vom Anfang an trug, daß sogar der hohe Geist eines Tacitus der Ueberlieferung sich beugte und die Erscheinung des Tiberius mit einer Voreingenommenheit und Einseitigkeit ansah und behandelte, welche die moderne Kritik dem großen Geschichtschreiber nachwies und mit Recht zum Vorwurf machte. Schon der geistvolle französische Skeptiker Montaigne hat im 16. Jahrhundert den Anstoß zu solcher Kritik gegeben und merkwürdig ist auch, daß Napoleon i. J. 1804 gegen Fontanes über die Mängel der taciteischen Geschichtschreibung sich ausließ, welche seither durch deutsche Kritiker wie Krüger, Sievers, Höck, Wietersheim, Stahr, Hertzberg und andere, sowie durch englische wie Ihne und Merivale allseitig untersucht und erörtert worden sind. Die Quelle dieser Mängel ist gewesen, daß Tacitus ein überzeugter aristokratischer Republikaner oder republikanischer Aristokrat war, welcher ehrlich und fest glaubte, mit der Unterwerfung der römischen Aristokratie durch die cäsarische Monarchie hätte der unaufhaltsame Untergang des römischen Staatswesens angehoben. Unter diesem Gesichtspunkt hat er auch den Tiberius und dessen Regierung angesehen. Aber die berühmte Schilderung dieser Zeit in seinen „Jahrbüchern“ ist keineswegs folgerichtig durchgeführt. Denn nicht selten richtet sich doch der Geist der Wahrhaftigkeit in dem „großen Koloristen“ gegen die Zumuthungen vonseiten der Parteibornirtheit und der Klatschtradition entschlossen auf. Dadurch kam Ungleichheit und Unfolgerichtigkeit in das Gemälde. Wäre Tacitus konsequent verfahren, so hätte er, welcher nicht nur im politischen, sondern auch im ethischen, also im besten Sinne ein Aristokrat war, den Tiberius eigentlich sympathisch ansehen und behandeln müssen. Denn der Kaiser, obgleich mit Abrechnung seiner letzten Regierungsjahre einer der besten Regenten, welche Rom jemals gehabt, war bei der urtheilslosen Menge, der er etwas vorzuschauspielen verschmähte und deren Gunst oder Abgunst er gleichermaßen stolz verachtete, im höchsten Grade unpopulär. Die Menge will beschmeichelt und mit schönen Worten geködert sein. Der Erzheuchler Augustus hatte das wohl gewußt und sehr geschickt bethätigt. Sein schwermüthiger Nachfolger verschmähte diese kleinen, aber für einen Monarchen immerhin großen Künste und Kniffe und blickte mit der gleichen Gleichgiltigkeit auf den Haß der Junker wie des Pöbels herab.

Schwermuth war diesem Mann an- und eingeboren. In die Menschenverachtung hat er sich erst eingelebt. Und sie galt auch nur seinen Zeitgenossen. Bezeichnend sagt Tacitus: „Ihm lag weniger der Beifall der Mitlebenden als die Anerkennung der Nachwelt am Herzen.“ Gewiß kein unedler Ehrgeiz.

Die gäng und gäbe Vorstellung von Tiber wird sich gegen die Thatsache sträuben, daß er in der Blüthe seiner Männlichkeit für einen der schönsten Männer Roms galt. Seiner aus dem Alterthum herabgekommenen Porträtbüste zufolge, welche das vatikanische Museum bewahrt, war dieser Ruf wohlgerechtfertigt. Mag auch das Marmorbild des Prinzen etwas idealisirt sein, immerhin zeigt es uns einen edelgeformten Kopf und ein feingeschnittenes, geistvolles Antlitz, über welches ein Hauch von Melancholie gebreitet ist. Einen ganz andern Eindruck aber macht eine Porträtbüste, welche, im Museo Nazionale in Neapel zu finden, den altgewordenen Kaiser darstellt, gewitterdüster, um die gekniffenen Lippen einen schneidenden Zug von Skepsis, das ganze Gesicht wie von einer verderbenträchtigen Wolke von Haß und Hohn beschattet.

Wie er in diesen Bildnissen erscheint, so stand der junge und so der alte Tiberius in der Geschichte Roms – erst ein jugendlicher Heros, dann ein greiser Dämon, welcher viel, sehr viel gelitten und das Allerschlimmste erfahren haben mußte, um das zu werden.

Seine ganze Erscheinung ist keineswegs so räthselhaft, wie sie der oberflächlichen Betrachtung allerdings erscheinen mag. Um den gewordenen Tiberius zu begreifen, muß man den werdenden kennen. Der Knabe und Jüngling kann und soll uns den Mann und Greis erklären.


2.

Tiberius stammte von väterlicher und mütterlicher Seite aus dem hocharistokratischen Geschlechte der Claudier, welches, ursprünglich aus Sabinum nach Rom eingewandert, zu verschiedenen Zeiten in der römischen Geschichte eine so vortretende Rolle gespielt hatte, daß seine „Stemmata“ (Ahnentafeln) fünf Diktatoren, zwanzig Consuln und sieben Triumphatoren aufwiesen. Im gleichen Maße jedoch, wie sich die Claudier durch ihre Verdienste um den Staat berufen, hatten sie sich durch ihren unbändigen Stolz und junkerhaften Hochmuth verrufen gemacht. Tibers Vater, Tiberius Claudius Drusus Nero, hatte als der Charakterschwächling, welcher er war, den Ruf seines Hauses nicht gemehrt. In den Bürgerkriegen war er zweiächslerisch von einer Partei zur andern ge- schwankt. Erst ein Genosse des Brutus und des Cassius, dann ein Mitkämpfer des Sextus Pompejus, hatte er seinen Frieden mit dem Triumvir Antonius gemacht und unterwarf sich dann schließlich dem Octavian.

Jahrelang hatte er infolge der angedeuteten Parteistellungen mit seiner jungen Gattin Livia Drusilla, von ebenfalls claudischer Abkunft, ein abenteuerliches Kriegs- und Wanderleben geführt und auf einem dieser Züge hatte ihm die erst vierzehnjährige Livia am 6. November des Jahres 41 v. Chr. seinen Erstlingssohn Tiberius geboren. Der Vater mußte häufig große Müh- und Drangsale bestehen, um Mutter und Kind vor den Soldaten des Octavianus zu retten, desselben Octavianus, den ein „wunderbares Spiel des Schicksals“ später zum Gatten der Livia und zum Adoptivvater Tibers machte.

Livia, wohl zu schmeichlerisch als die schönste Frau ihrer Zeit gepriesen, aber fraglos eine der klügsten, eine kalte und berechnende Natur, war achtzehn Jahre alt, als sie die Blicke des siegreichen Triumvir Octavian auf sich zog, welcher ein ebenso großer Weiberjäger als Männervertilger gewesen ist. Er merkte bald, die schöne Livia wäre zu klug, ihn anders als durch Heirat in ihren Besitz gelangen zu lassen. Er beschloß also, sie zu heiraten. Freilich war auch er bereits verheiratet, allein derartige Hindernisse wurden im damaligen Rom für gar keine angesehen. Octavian verstieß seine Gattin Scribonia, verstieß sie an demselben Tage, wo sie ihm seine Tochter Julia gebar, welche nachmals so fürchterlich verrufen, aber immer noch schlechter war als ihr Ruf. Zugleich befahl der Allgewaltige dem Tiberius Claudius Drusus Nero, sich ebenfalls von seiner Frau zu scheiden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 780. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_780.jpg&oldid=- (Version vom 1.4.2024)