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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

mit „Gott g’segn’s!“ und „Vergelt’s Gott!“ von Krug zu Krug die Runde gemacht hatte. Dann ging er in die Schlafkammer der Wirthsleute, um seine Büchse in eine sichere Ecke zu stellen; daneben warf er den Rucksack auf die Dielen und hieß den Hund sich darauf niederkuschen.

Schon wollte er die mit plaudernden und schäkernden Paaren verstellte Treppe zum Tanzboden emporsteigen. Da schlug durch die offene Hinterthür der Klang einer Cither und ein Gewirr von lachenden Stimmen an sein Ohr, und aus all diesen Stimmen kicherte eine besonders hell und lustig empor.

Mit langen Schritten eilte Gidi jener Thür zu; sie führte nach einem weiten, von einzelnen Bäumen durchsetzten Hofraume, den ein hoher Staketenzaun von der Straße trennte; in der Tiefe des Hofes war Brennholz in langen, plumpen Scheiten zu einer klafterhohen Mauer aufgeschichtet; rechts und links von der Thür standen im Schatten des vorspringenden Daches zwei Tische; den einen sah Gidi besetzt mit Burschen, deren Gesichter von Trunk und Tanz geröthet waren; er zuckte mit keiner Wimper, als er Valtl unter ihnen gewahrte, der vor sich die klingende Cither hatte. Mit stummem Nicken erwiderte er den grüßenden Zuruf einiger Bursche und steuerte gemächlichen Schrittes dem andern Tische entgegen, um welchen dicht gedrängt eine kleine Schar von Mädchen saß.

„Du – jetzt pass’ auf – jetzt holt Dich Einer!“ kicherte eine schwarzhaarige Dirne und stieß dabei der neben ihr sizenden Emmerenz den Ellbogen in die Seite.

„Geh’, laß mir mein’ Ruh’ – Dein’ Botschaft is kein Puff net werth,“ brummte Enzi und verdrehte die Augen.

Da stand der Jäger schon vor ihr. „Was is, Emmerenz – probiren wir ein’ mit ’nander? Hörst’ es – an Landlerischen spielen s’ droben – das is mein’ liebster – und nachher — der erste Tanz mit Dir – da kann nix fehlen!“

Emmerenz runzelte die Stirn, erhob sich langsam und legte ihre Hand in die dargebotene Rechte des Jägers. Während die Beiden so der Thür zuschritten, begann am andern Tische drüben die Cither zu schwirren und zu klingen mit heiserer Stimme fiel Valtl in die Weise ein:

„Der Bua, der is kurz,
Und sein Deandl net lang,
Und da sind die zwei richtigen
Stutzln beisamm’.“

Schallendes Gelächter erhob sich, denn es war unverkennbar, wem das Trutzlied gelten sollte. Valtl aber sang weiter:

„Und die Zwei sind schon g’recht’,
Und die Zwei passen z’samm’,
Und das giebt Dir a Rass’
So lang wier a Daam.“[1]

Das Lachen und Johlen verstärkte sich, wobei alle Blicke an dem Jäger hingen. Eine unheimliche Blässe lag auf Gidi’s Stirn und Wangen, ein drohendes Funkeln glomm in seinen Augen, aber sein Mund lächelte, und fester schlossen sich seine Finger, als er fühlte, daß Emmerenz ihre Hand aus der seinen zu ziehen versuchte.

„Und ’s Deandl is kugelrund …“

so wollte Valtl von neuem beginnen, aber sein heiseres Kreischen wurde von der hellklingenden Stimme des Jägers übertönt, der in die Ländlerweise, welche durch die offenen Fenster des Tanzsaales herniedertönte, mit den Worten einfiel:

„Der Haber muß reif sein,
Nacht kann man ’n erst maah’n,[2]
Und a Hirsch, der vermirkt’s net,
Wann d’ Aasraben kraah’n!“

Lauter Beifall folgte dieser Strophe; selbst auf Enzi’s Lippen erschien ein leises Lächeln der Befriedigung – rasch aber verschwand dieses Lächeln wieder, als sie die Antwort vernahm, welche Valtl der Strophe des Jägers folgen ließ:

Und a Jaagerknechts-Bua
Und a Stallmagd dazu,
Und a räudiger Hund –
Is a gar schöner Bund!“

Lautlose Stille herrschte nach diesen Worten; das war keine Anspielung mehr, welche die Ausrede hätte zulassen können: „Ich hab’ Dich net g’meint!“ – das war offene Beleidigung.

Dunkle Röthe goß sich über Enzi’s Gesicht, die Thränen schossen ihr in die Augen, und dem Jäger ihre Hand entreißend, stieß sie zornig hervor: „Schand’ und Spott muß man auch noch derleben mit Dir – da such’ Dir an Andere dazu!“

Mit irren Blicken schaute Gidi der Dirne nach, als sie dem Platze zuschritt, von dem er sie geholt hatte. Dann wandte er sich dem Knechte zu – sein ganzes Gesicht verzerrte sich, und in bläulicher Röthe schwollen ihm die Adern – jetzt schleuderte er den Hut beiseite, warf mit einem gurgelnden Wuthschrei die Arme in die Luft und stürzte auf Valtl los, daß der Tisch ins Wanken kam, Cither und Krüge mit Klirren und Klappern zur Erde flogen. Valtl hatte mit einem Fluche dem Angreifer den linken Arm entgegengestemmt, während in seiner geschwungenen Rechten das Messer blitzte.

Ein wildes Schreien und Kreischen erhob sich – schon aber hatte der Jäger Valtl’s Arm erhascht, und den Burschen mit sich niederreißend auf das Pflaster, schmetterte er ihm die Hand, welche das Messer umklammert hielt, wider die Steine, daß mit Klatsch und Klirren die Klinge weit hinausflog in den Hof.

Droben im Tanzsaal verstummte die Musik, neugierige Gesichter erschienen an allen Fenstern, die Thür füllte sich mit herbeieilenden Leuten, Bursche und Männer stürzten auf die Ringenden zu, um sie aus einander zu reißen – aber wie ein wüthender Eber die verfolgende Meute, so schüttelte Gidi die Fäuste von sich ab, die über seine Arme und Schultern herfielen. „So – so – stechen willst auch noch – stechen, – so – stechen willst auch noch –“ keuchte und schrie er, indem er seinen Gegner emporzerrte von der Erde, „g’hörst Du da her – g’hörst Du unter Menschen – wart’ – wart’ – Dir zeig’ ich, wo D’ hing’hörst – wo D’ hing’hörst – Du –“ und unter Würgen und Drosseln stieß und schleifte er den Knecht vor sich her dem Zaune zu, in dichtem Knäul das ganze Rudel der Abwehrenden hinter sich nachziehend. Valtl schlug mit Händen und Füßen um sich, kratzte und biß – aber dieser wilden, von Wuth und Haß entfesselten Kraft gegenüber gab es kein Entrinnen. Mit jähem Ruck hob Gidi den Burschen empor und wälzte ihn über die knackenden Staketen hinweg, daß er wie ein voller Sack auf die Straße plumpste und über Staub und Steine niederkollerte in die tiefer liegende Wiese. Mühsam erhob sich Valtl – „Wart’, Jaager, das brock’ ich Dir ein!“ knirschte er und verzog sich unter dem Gelächter der Leute hinter die nahen Haselnußstauden.

Lachend kehrten die Männer und Bursche zu den Tischen und in das Wirthshaus zurück; sie alle waren froh darüber, daß diese Sache, die ein so böses Gesicht gezeigt, einen so annehmbaren Ausgang gefunden hatte.

Gidi stand eine Weile, tief athmend, und wischte sich mit dem Joppenärmel die Wangen und das Gesicht. Dann schritt er geraden Weges auf Emmerenz zu.

„So, Deandl ― der Weg is frei – jetzt komm’ zum tanzen!“

„Gelt Du – laß mich in Ruh’ –“

„Enzi!“

„Enzi – Enzi hat mein’ Mutter zu mir g’sagt und kann mein Bauer sagen – für Dich heiß’ ich Emmerenz. Und zum Tanz such’ Dir an Andere – Du wüthiger Teufel, Du!“

„Schau’ aber g’rad mit Dir möcht’ ich tanzen!“ stieß Gidi mit scharfer, bebender Stimme hervor und haschte dabei das Handgelenk der Dirne. Da half ihr nun kein Wehren und Sträuben – wortlos zog er sie mit sich fort in den Flur, und über die Treppe empor in den Tanzsaal. Mit Lachen und Kichern drängten die Mädchen und Bursche sich ihnen nach. Für keinen Augenblick gab Gidi die Dirne frei; mit der linken Hand zog er sein Schnürbeutelchen aus der Tasche, öffnete es mit Fingern und Zähnen und warf einen Preußenthaler auf den Musikantentisch.

„An Landlerischen!“ befahl er – und als die Weise begann, schwang er mit einem Juhschrei den Hut, schraubte die Arme um Enzi’s Hüften und wirbelte sie durch den niedrigen Saal, daß ihre Röcke nur so flogen und die dicken, rothblonden Zöpfe sich loslösten ven ihrem Haupte. Rings um die Wände stand Paar an Paar gereiht, und sie alle folgten mit ihren Blicken diesen Beiden. Gidi war ja bekannt als der beste und geschickteste Tänzer des ganzen Thales und es war immer ein „Staat“, ihn tanzen zu sehen.

Lauter Beifall begrüßte das Paar, als die Musik verstummte und Gidi unter einem letzten Juhschrei die Dirne mit beiden Armen hoch aufschwang über seinen Kopf.

Stolz lächelnd blies Enzi, als sie wieder auf den Dielen stand, die hochrothen Backen auf und wollte ihrem Tänzer die Hand reichen, um sich aus dem Saale führen zu lassen.

  1. Daumen.
  2. Dann kann man ihn erst mähen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 776. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_776.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2023)