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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

No. 46.   1885.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Edelweißkönig.

Eine Hochlandsgeschichte. Von Ludwig Ganghofer.
(Fortsetzung.)

Sonntag Nachmittag. Nach dem Oelgemälde von R. Hesse.

Zwei dunkle Gestalten lösten sich aus dem Dickicht: Herr Simon Wimmer in Begleitung eines der beiden Ortsgendarmen.

„Was is denn jetzt das für an Art?“ lachte Gidi. „Meint’s ’leicht, ich bin a Scheiben für Eure ärarialischen Schießprügel? Was habt’s denn zum suchen da, Ihr zwei miteinander?“

„Nix für ungut, Herr Eberl, nix für ungut,“ stammelte der Kommandant unter Pusten und Schnauben „bei derer Dunkelheit ischt a Verkennung älleweil a mögliche Sach’. Aber Sie dürfen mir’s glauben, es ischt für uns selber kein Spaß –“ Seine Stimme erstickte unter den Falten des ungeheueren Taschentuches, mit dem er an Hals und Wangen den rinnenden Schweiß zu trocknen suchte, während sein Begleiter sich an den Jäger mit der Frage wandte, ob der Steig schon gangbar wäre, der über die Bründlalm und den Grat der Höllenleithe nach dem Grenzpasse führe und von dort zurück gegen den Hochgraben der Höllbachklamm.

„Mein, gangbar is er schon, der Steig,“ erwiderte Gidi, „aber, wenn man fragen darf, was wollts denn eigentlich droben beim Grenzpaß? Habts ’leicht an Schwärzer auf der Muck’?“

„O,“ jammerte der Kommandant, „lieber möcht’ ich auf a ganze Schmugglerbande streifen, als auf den einen einzigen, der da zum suchen ischt. Da hab’ ich mich gestern noch so drüber g’freut, daß ich mich so gut steh’ mit dem Finkenbauer, und jetzt müssen wir streifen auf sein’ Bruder, auf den Ferdinand Fink, der von sei’m Regiment desertirt ischt und auch sonst noch in ei’m gar fürchtigen Verdacht steht – –“

„Der Ferdl – und desertirt!“ fuhr Gidi erschrocken auf. „Na, na, na – das is net wahr – das glaub’ ich net!“

„Und doch ischt die Sach’ net anderscht – leider Gottes!“ jammerte Herr Wimmer, und schon wollte er einen ausführlichen Bericht der Vorgänge beginnen, die sich während der verwichenen Nacht auf der Schwelle des Finkenhofes abgespielt hatten, als ihn ein schrillender Pfiff seines Begleiters zur Eile mahnte.

Gidi hörte die Worte nicht mehr, mit denen der Kommandant ihn zum Abschied übersprudelte. Er stand in Gedanken und starrte hinaus in die Dämmerung, und als er endlich auffuhr, eine Frage auf den Lippen, sah er sich allein. Nur noch ein leises Knirschen und Rascheln über ihm in der Höhe des Waldes verrieth ihm die Richtung, welche die Beiden genommen. Er stieß den Bergstock in das Moos und ließ sich auf einen Baumstrunk nieder.

„Der Ferdl – und desertirt! Ich kann’s net fassen – ich kann’s net fassen !“

Und nun erst jenes andere Wort, das der Kommandant gesprochen! Welcher Art mochte jener „fürchtige Verdacht“ sein, der auf Ferdl lasten sollte? Aber ein Verdacht ist noch keine Thatsache – ein Verdacht kann falsch sein und ungerechtfertigt, muß es sein gegenüber einem Menschen von Ferdl’s Art und Wesen. Aber ein Mensch ist doch immer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 753. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_753.jpg&oldid=- (Version vom 31.3.2024)