Seite:Die Gartenlaube (1885) 744.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

durch wiederholtes Ziehen an der Klingel aus dem Schlummer geweckt war und endlich mit einem offenen, einem geschlossenen Auge, kaum wach, kaum bekleidet, einen brüchigen uralten Schlafrockpelz ungenügend übergeworfen, die nackten Füße in vorweltlichen Schlappschuhen, die Hausthür mit der einen Hand aufschloß und die andere schon mechanisch ausstreckte, um sein pflichtmäßiges Sperrgeld zu empfangen.

Auch der lustige Mönch sagte nichts mehr, und während die drei anderen Verwandten mit gesenkten Lidern an der Thür oder an der Wand lehnten, betrachtete er nur sein schönes Mühmchen und fragte sich dabei im Stillen, ob es ihm morgen wohl viel mehr erzählen werde, als er, der Menschenkenner, ohnehin schon wußte.

„Gute Nacht, Bianca!“ rief er nun, da einer nach dem andern ihm den hochgezogenen Buckel zudrehte und im Zwielicht des Treppenhauses verschwand. Dann schlug der ungeduldige Hausmeister knallend das Thor vor ihm zu. Und Pater Odysseus wandelte stillvergnügt nach seiner Herberge, das Schicksal eines Mädchens, das ihm lieb war, ernsthaft und, wie er glaubte, uneigennützig überlegend.


Edgar von Sperber hatte seit jenem Maskenball schon etliche hundert Cigarren verraucht und ein paar Dutzend Besuche im Hause Latschenberger gemacht, aber die Neigung zur schönen Bianca stand erst recht in voller Blüthe. Er achtete nicht mehr, wie gut seine Cigarren schmeckten, er achtete der kleinen Unannehmlichkeiten nicht, mit denen Besuche bei Bianca verbunden waren – er hatte für nichts mehr Sinn als für das kleine Mädel mit den großen Augen und der großen Stimme, er war glücklich, wenn er ihr einen Wunsch, wenn er ihre Launen erfüllen durfte, und jeder Tag, an dem es ihm ganz unmöglich gemacht worden, sie zu sehen und zu sprechen, galt ihm als ein verlorener.

Auch Bianca gewöhnte sich so sehr an Edgar’s Kommen und Verweilen, daß ihr etwas empfindlich fehlte, wenn er nicht erscheinen, ja schon wenn er nicht zur bestimmten Zeit erscheinen konnte. Ob sie ihn liebte, wußte sie nicht, fragte sie sich nicht einmal. Aber sie sagte sich, daß er der beste, bequemste und liebenswürdigste Anbeter war, den sie je gesehen. Mit ihm durfte sich keiner der schmachtenden Laffen in der Opernschule messen. Ihn sich so lang als möglich zu erhalten, gebot die Klugheit wie das Herz.

Ja, das Herz! Denn wär’ er nichts als ihr guter Freund und würde ihr nie mehr … man hat so wenig Freunde im Leben, sagte Pater Otto.

Ja, so sagte er. Und es hatte allen Anschein, als habe auch er den braven Edgar in sein Herz geschlossen. Denn dieser konnte selten bei Latschenberger eintreten, ohne den Chorherrn in derselben Stube wie Bianca zu finden.

Das hatte sein Mißliches, meinte der Baron. Man bespricht sich doch auch einmal gern zu Zweien. Indessen das war im Hause Latschenberger noch nicht zu erreichen, oder doch nur auf kurze ängstliche Minuten. Und lieber als die Gesellschaft der langweiligen häßlichen Schwestern, welche seiner Bianca wie Karikaturen einem schönen Urbild ähnlich sahen, oder gar die des mürrischen, mißtrauischen und eigentlich bei aller nothdürftigen Höflichkeit ungezogenen Vaters war ihm die Anwesenheit des gescheiten Priesters, so aufrichtig er auch diese verwünschte.

Sein Glück war, daß auch Bianca das Bedürfniß empfand, ihn wenigstens ab und zu, und war es nur für eine verstohlene Viertelstunde, unter vier Augen zu sprechen. Dazu bedurft’ es einiger List, um etwas früher, als eine ihrer Schwestern sie abzuholen kam, aus der Singstunde zu verschwinden und einen Umweg zu machen, wo sie eben so sicher war, dem sehnsüchtigen Edgar zu begegnen als ihrem schwesterlichen Drachen auszuweichen.

Sie waren keineswegs bequem diese Schwestern. Seit dem Tode der Mutter bildeten sie sich ein, Bianca nach Belieben und Laune dirigiren zu können. Sie war aber nicht darnach geartet, sich vor Anderer Grillen zu ducken. Und wäre nicht Pater Otto und sein weises begütigendes Zureden gewesen, weiß Gott, sie hätte aus Zorn und Trotz und Ungeduld am Ende gar einen dummen Streich gemacht.

Ja, zu irgend etwas war Pater Otto’s Anwesenheit schon gut.

Das fand manchmal selbst Edgar. Am meisten und dankbarsten, wenn er es durchsetzte, daß Bianca seinen Wagen benutzte.

Der Mai stand vor der Thür. Die Bäume schlugen aus, und die Kaleschen mehrten sich in den Prateralleen. Bianca hüpfte das Herz, als Edgar sie wie ein Verbrecher, der um Gnade bittet, darum ansprach, doch zuweilen in seinem Wagen ins Freie zu fahren.

Aber der Vater fand dies kompromittirend. Die Schwestern lehnten es bissiger Weise ab, weil ihre Toiletten zu schlicht wären, um in solch einem Wagen ausgelegt zu werden. Da half der kluge Chorherr dem zuckenden Herzchen seiner Muhme aus der Klemme.

An der Seite eines geistlichen Herrn in den Prater zu fahren, mochte die Kutsche wem immer gehören, das konnte kein Fräulein in übles Gerede bringen.

Ein überlegenes Schmunzeln strahlte von dem schweigsamen Gesichte des Paters Bibliothekar, wenn er also ferne von Zelle und Bücherei an der Seite seiner schönen Kousine durch die grünüberhauchten Alleen hinrollte wie ein Fürst und mit dem übermüthigen Mädchen von ihrer Kunst und ihrer Zukunft sprach.

Von Edgar von Sperber redeten Beide wenig oder gar nichts, bis dieser über kurz oder lang wie auf stillschweigende Verabredung in eigener Person erschien, über den Rasenstreif, der den Fußweg von der Fahrstraße trennte, lustig hinübersprang und an den Wagenschlag freundlich grüßend herantrat.

Dann lehnte er wohl in irgend einer bequemen Stellung an seinem rastenden Gefährt und verplauderte ein Viertelstündchen mit der Angebeteten, wobei der geistliche Vetter meist wohlwollend schwieg und nur selten und nur ehrenhalber ab und zu ein Wörtchen in die Unterhaltung fallen ließ, die ihn nur als Thatsache, nicht in ihrem Gehalt interessirte. Denn dieser war für einen Dritten ziemlich werthlos, wie bei den meisten Gesprächen Verliebter.

Es wäre gegen Edgar’s Gewohnheit und Ueberzeugung gewesen, seinem Idol mit leeren Händen zu nahen. Obwohl die Jahreszeit im Freien noch keine Blumen gedeihen ließ, glich Bianca’s Stube doch einem Treibhäuschen mit den schönsten Blüthen angefüllt, wie sie annoch allein aus dem warmen Süden zu beschaffen waren. Und nie hatten die weißen Zähne der jungen Sängerin an so köstlichen Bonbons geknabbert wie jetzt.

An den Bonbons fanden auch die Schwestern Gefallen; dagegen Pater Otto vor den frischen Blumen oft nachdenklich stehen blieb, mit der rechten Hand sein glattrasirtes Kinn reibend, mit den Nasenlöchern den süßen Duft einschnobernd, und dann halb warnend, halb mitleidig zu Bianca sagte: „Kind, Kind, Du solltest Dich nicht so verwöhnen! Was wird aus Dir, wenn diese kleine Narrheit zu Ende geht?“

„Ich will gar nicht, daß sie zu Ende gehe!“ rief dann die Sängerin, stampfte auch zuweilen einmal mit dem Füßchen den Boden, wenn der Vetter sie bei seiner Rede mit gar zu großen Augen ansah.

Wenn er aber weiter nicht viel sagte oder nur noch einen Seufzer ausstieß, drehte sie sich auf den Hacken um und ließ ihre Läufer und Triller, deren sie niemals müde wurde, durchs Haus schallen.

In der Regel sagte er nichts weiter. Er predigte nicht gern tauben Ohren, und daß die kleinen Ohren seiner Kousine für alles gegen Edgar zu Aeußernde taub sein wollten, dessen war er überzeugt. Manchmal hielt er’s nur für nöthig, sie zu warnen, von dem Baron nichts Anderes als Blumen und Konfekt anzunehmen, nichts was zu sehr verpflichte.

„Was verpflichtet denn?“ fragte sie, das Näschen in die Höhe reckend.

„Alles einigermaßen Werthvolle.“

Sie hielt ihm mit beiden Händen einen Haufen italischer Rosen dicht vor die Augen, wie sie sie grade vom nächsten Tisch griff. „Und glaubst Du, diese Blumen, diese wundervollen Blumen kosten nichts? in dieser Jahreszeit? Glaubst Du, man kriegt sie beim ersten besten Blumengreißler zu kaufen, zehn Kreuzer das Stück?“

„Das glaub’ ich nicht,“ entgegnete gelassen der Chorherr. „Aber Blumen erlaubt die Sitte jedem galanten Mann jeder Dame zu schenken. Blumen verpflichten nicht den Empfänger.“

„Und Bonbons auch nicht. Gelt, nein?“ sagte Bianca, den Kopf auf die Schulter gesenkt, die Augen halb geschlossen, die Lippen hochgezogen, auf eine verzuckerte Mandel beißend, daß sie knackte.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 744. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_744.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2023)