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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Bilder von der Balkanhalbinsel.

Schloß Sinaja.
Reiseskizze aus Rumänien von Prof. August Becker in Düsseldorf.
Mit Illustrationen S. 700 und 701.

Die grauen Dunstschichten am westlichen Horizont haben Wien und seinen mächtig emporstrebenden Stephansthurm dem Auge entzogen; die ungarische Grenze ist überschritten, Neuhäusel mit der auf dem Perron nie fehlenden Zigeunerkapelle passirt, man nähert sich in der Abenddämmerung unweit Gran wieder den Ufern der Donau, welche man auch bis Pest nicht mehr verläßt. Dann braust der Nachtzug über die Pusta dahin, die bei dem flimmernden Licht der Mondsichel dem Auge nichts bietet, als den Eindruck einer runden braunen Scheibe.

So durcheilte ich im Jahre 1882, einer Einladung des rumänischen Königspaares folgend, die endlose Ebene, bis bei dem matten Schein der Morgendämmerung das Dampfroß durch einen von steilen felsigen Höhen gebildeten Paß das liebliche, fruchtbare und wohlbevölkerte Siebenbürgen erreichte. Nachmittags lag Kronstadt hinter uns, und die schon lange sichtbare, aber von Nebeln umzogene Karpathenkette ward gegen Abend von dichten Gewitterwolken allmählich verhüllt. Der Regen fiel in Strömen nieder, die Berge rückten immer enger zusammen; – wild angeschwollene schmutzig gelbe Gebirgswasser mit Holztrümmern brausten von den Höhen herab. In Schafpelze gehüllte Hirten trieben die ängstlich umherirrenden Kühe zur sicheren Hütte. Auf der steil aufwärtsgehenden Bahn keuchte die Lokomotive langsam voran – von allen Seiten erhoben sich kahle Felswände, die Häupter mit Wolkenfetzen verhangen – doch nur wenige Minuten war diese großartige Scenerie sichtbar – die Wasserscheide war in der Nähe – ein langer Tunnel nahm uns auf – er speit den in schwarzbraunen Rauch und fettigen Staub gehüllten Zug auf der Südseite der Karpathen aus – wir waren auf der Höhe des Passes an der rumänischen Grenze in Predeal.

Militärkommando, Paßbureau, Zollrevision, fremde Trachten, fremde Sprachen, am Boden lagernde Zigeunergruppen, buntes Landvolk mit seinen in Schafpelze eingenähten Habseligkeiten, geräuschvolles Treiben zum Theil mit dem primitivsten Fuhrwerk um die haltenden Lastzüge – Alles anders als in der Heimath, überwältigend im Eindruck. Rasch ging es bergab in die fremde Welt; nach 30 Minuten lief der Zug in den Bahnhof von Sinaja ein. Ich wurde schon erwartet, und ein königlicher Lakai eilte sofort mit deutscher Anrede auf mich zu, geleitete mich in den bereit stehenden Wagen, und im Galopp ging’s hinauf auf den von den umfangreichen Gebäuden des Klosters gekrönten Hügel. Kaum hatte ich mein Zimmer betreten, so meldete man schon: „Soeben hat es zum Diner geläutet, die Majestäten erwarten Sie!“ – Zehn Minuten genügten, um den in Unordnung gerathenen übernächtigen Eisenbahnpassagier in ein salonfähiges Wesen umzuwandeln – dann befinde ich mich in dem mit Tannenzweigen, orientalischen Teppichen und einer reichen Blumenfülle geschmückten Saale bei Tisch, an der Seite der reizenden jugendlichen Königin. Sie ist in rumänisches Nationalkostüm gekleidet, während der König sowie der dienstthuende Flügeladjutaut Uniform tragen. Gegenüber sitzen 4 Damen, echte Typen rumänischer Rasse mit den großen schwarzen Angen, den weitgewölbten scharf markirten dunklen Augenbrauen, gebogenen Nasen, einheitlich südländischem Teint, die üppigen Haare in losen Zöpfen über den Rücken herabhängend, aber nach der Stirn zu mit Wiesengräsern und Schilfblättern durchflochten. – Alle im Nationalkostüm, das durch die Stickereien von bunter Seide, Silber und Gold, und durch den talarartigen Faltenwurf in reicher orientalischer Pracht einen Farben- und Lichtglanz erzielt, der mit den Blumen wetteifert. – Alles erscheint mir phantastisch, seltsam, ungeahnt, wie ein Märchen aus Tausend und eine Nacht! Nach dem Diner folgte Vortrag Mendelssohn’scher und Schubert’scher Lieder durch eine der Damen, wobei die Königin auf dem Pianino begleitete, und – dabei Unterhaltung in deutscher Sprache! – wie das wohlthut!

Sofort am andern Morgen nach meiner Ankunft wurde ich auf einem dreistündigen Spaziergang von meinem hohen Gastgeber in die umgebende Natur eingeführt. Fünfzehn Minuten vom Kloster Sinaja entfernt in einer Waldlichtung liegt ein Barackendorf, von mehr als 200 Insassen bevölkert; es ist der Eindruck, wie man sich Kolonisten in den amerikanischen Wäldern denkt, die das Land zur Ansiedelung umzuschaffen berufen sind. – Eine Reihe unregelmäßig in einander geschobener Bretterbuden unter hohen Urwaldtannen birgt die vollständige babylonische Sprachverwirrung. Da sind die knochigen herkulischen Gestalten der Bulgaren, undisciplinirt vom Kopf bis zur Sohle, wie sie mit den breitgehörnten Ochsen und den schwarzen Büffeln Steine zum Bau heranführen. Kriegerisch aussehende Serben, mit dem konisch zulaufenden weißen Feß, den martialisch gedrehten Schnurrbärten und dem breiten rothen Leibgürtel, bauen Cyklopenmauern, die dem verheerenden Elemente des Wassers Trotz bieten sollen, wobei Zigeuner, durch die Peitsche des Stammoberhauptes in Ordnung gehalten, tagelöhnern. Walachen mauern, zimmern, kanalisiren, Italiener bearbeiten den dicht am Gebirgsabhang gebrochenen Marmor – Wiener Dekorationsmaler, Hamburger Dekorateure und Mainzer Möbelschreiner singen bei der Arbeit ihre heimischen Weisen. Dazwischen hüpfen muntere blondhaarige, blauäugige Kinder, ein gezähmtes Reh oder eine junge Hirschkuh mit sich führend; sie grüßen in deutscher Sprache, in demselben Athemzuge aber wälschen sie mit dem braungelben Troß der Nachbarskinder fremdländische Sätze – und was thut dieses Völkergemisch? – Es baute damals ein Königsschloß, das nunmehr seit zwei Jahren fertig dasteht und der Sommersitz des Hohenzollernsohnes geworden ist.

Der Aufbau dieses Schlosses, die Gründung der Stadt Sinaja und die Erhebung Rumäniens zu einem europäischen Kulturstaat vollzogen sich zu gleicher Zeit, nach denselben Grundsätzen und unter dem nie rastenden persönlichen Eingreifen des Königs. Vom Kleinsten bis zum Großen beobachtet man den schaffenden Geist des scheinbar leidenschaftslosen, ernst blickenden mageren Mannes mit dem prüfenden, zeitweise durchdringenden Blick, der ruhig aber sicher voran geht und in 16 Jahren das geleistet hat, wozu andere Dynastien ein Jahrhundert nöthig hatten.

König Karol I. ist eine ruhige, feste, ernste, in den Bewegungen graziöse Erscheinung. Er spricht wenig, beobachtet und denkt viel, ist im Handeln vorsichtig und von großer Selbstverleugnung. Schon in früher Jugend suchte er sich seinen Umgang wie er ihn wollte, nicht wie man denselben für ihn wollte. Jede politische Meinung achtete er, wenn sie aus Ueberzeugung entsprang. Geräuschvolle Vergnügungen hatten für ihn wenig Reiz, wohl aber unternahm er noch in den Jünglingsjahren Reisen nach Frankreich, Spanien, Algier, Italien und studirte Länder und Völker nicht mit den Augen eines verwöhnten Prinzen, sondern in der Absicht, den Kreis seines Wissens zu erweitern und zu befestigen. Damals hatte er noch nicht die leiseste Ahnung seines zukünftigen Wirkungskreises, aber er machte Studien, weil er dazu einen inneren Drang verspürte, und so kam es, daß er vollständig gerüstet den schweren Posten eines Herrschers von Rumänien antreten konnte.

Als treue Gattin steht an seiner Seite Königin Elisabeth, von hoher schlanker Gestalt und einnehmenden Gesichtszügen. Sie ist eine der begabtesten und interessantesten Frauen der Jetztzeit und unter ihrem Dichternamen Carmen Sylva weit über Deutschlands Grenzen hinaus rühmlichst bekannt und geliebt. Aber nicht nur der Genius der Dichtkunst stand an ihrer Wiege, sie besitzt auch ein außerordentliches Deklamationstalent in Verbindung mit einer sympathisch klingenden Altstimme. Sie malt ferner mit großer Geschicklichkeit selbsterfundene Blätter im Missalestil; auch musikalisch ist sie hoch talentirt, denn neben einer in Gesang und Klavierspiel ausgebildeten Technik besitzt sie besonders ein tiefes Verständniß für das Wesen der Musik. Sie ist eben durch und durch eine Künstlernatur! Wenn die hohe Frau auch sehr heiter sein kann, zuweilen lustig, sogar bis zur Ausgelassenheit muthwillig, so ist der Grundzug ihres Wesens doch ein stiller wehmüthiger Ernst. Ihr Lebensweg war nicht allzu sonnig, schon auf die Pfade, die sie als Kind wandelte, warf das Leiden breite dunkle Schatten, und als sie nun gar im Jahre 1874 ihr einziges Kind, eine reizende vierjährige Prinzessin, in die kühle Erde betten mußte, da war die starke, sonst dem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 705. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_705.jpg&oldid=- (Version vom 19.12.2022)