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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

übliche Hinweis mit dem Wortlaut: „Ich will nur die Reichspost nicht bereichern und lediglich deßhalb mache ich aufmerksam,“ wirkt kläglich. Aber anders ist es um die Pflichten des Absenders. Er darf sich niemals dieses Irrthums schuldig machen.

Die Postkarten sind ein Stück rohesten Materialismus unserer Zeit. Ich las neulich folgende Sätze auf einer offenen Postkarte: „Daß Emil nun doch hat Konkurs erklären müssen, wirst Du schon vor Monaten gehört haben. Er ist schrecklich herunter, und zunächst haben wir Alle zusammengeschossen, um ihm über das Schlimmste fortzuhelfen. — Und dabei sonst noch so viel Herzensleid! Peter hat in eine Besserungs-Anstalt gebracht werden müssen. Ich fürchte, er ist ein vollkommener Taugenichts.“ U. s. w.

Die Manie, Briefe aufzubewahren, führt zu den schlimmsten Konsequenzen. Zu dem Platzmangel gesellt sich der Staub und allerlei Unbehagen, den Schatz zu hüten. Die endliche Bestattung durch Anfüllung von Kisten auf dem Hausboden giebt dem ewig lauernden Teufel „Feuer“ bei Gelegenheit die beste, und schließlich doch dem Papiermüller alleine Nahrung. Ein herrliches Gesetz ist es, Privatbriefe unmittelbar zu beantworten und sie zwischen die gegenseitigen Zeigefinger und Daumen der rechten und linken Hand zu nehmen. Wer aber einen Ofen hat, der gönne diesem das Papier. Vertrauliche Briefe lediglich zu zerreißen, statt zu verbrennen, erachte ich als eine strafwürdige Vertrauensseligkeit gegen Dienstboten.

Wer einen Brief schreibt, der schüttele goldene Früchte von seinem Baume, biete sie in silberner Schale und mache sie so schmackhaft, daß das stete Verlangen nach der Wiederholung auftaucht. Solche Briefe wird der Empfänger nicht zerreißen oder verbrennen! Giebt es doch Briefe, die man nie würde vernichten können! Ich betone das Wort „können“, denn oft ist ein Brief, ein geschriebenes Wort die einzige Wohlthat gewesen, die ein nach Glück und Liebe hungernder und dürstender Mensch überhaupt in seinem Leben besaß. Welche Flammen schlagen aus Briefen, und welche sanften Beruhigungsmittel deckt das Kouvert! Liebesbriefe! Ein großes, unendliches Kapitel! Wer jemals von diesem geheimnißvollen Lebenszauber berührt ward, kennt ein Stück menschlicher Glückseligkeit!


Druschgenossenschaften in alter und neuer Zeit.

(Mit Illustration S. 600 und 601.)

Wir sind so gewohnt, die Städte als die uralten Sitze der genossenschaftlichen Thätigkeit anzusehen, in denen das Handwerk durch Zünfte und Gilden geregelt und geschützt wurde, daß wir kaum glauben können, daß der Innungsgeist des Mittelalters in früheren Jahrhunderten auch die Bewohner des platten Landes beherrschte und dort ähnliche Einrichtungen ins Leben rief. Und doch gab es Zünfte, die ihre Thätigkeit ausschließlich in den Dörfern entfalteten, wie dies unter Anderem eine streng geordnete Vereinigung beweist, die den Namen „Drescherzunft“ führte. In den Werken über das Gildewesen und die Zünfte des Mittelalters würde man vergeblich nach einer Beschreibung dieser ehrsamen Jnnung suchen, und nur durch Zufall fanden wir in einem Ausschnitte eines alten juristischen Werkes die „aufgesetzten Artikull der Drescherzunft“, die, wie unsere Quelle besagt, schon damals, im vorigen Jahrhundert, „rar geworden sind“. Heute, wo ähnliche Bestrebungen, den Bedürfnissen des modernen Lebens angepaßt, auch auf dem landwirthschaftlichen Gebiete auftauchen, dürften einige Auszüge aus diesen Statuten ein allgemeines Interesse in Anspruch nehmen.

Die Glieder dieser Zunft zerfallen, nach unsrer Quelle, in Oberälteste, Visitatores, Drescher und Lehrlinge. Letztere müssen mindestens 18 Jahre zählen und fein korpulent sein, den Flegel regieren zu können. Mehr als zwei Jungen darf Jemand nicht in die Lehre nehmen, und diese dauert zwei Jahre, denn erstens muß der Lehrling das Lehrgeld durch fleißige Arbeit abtragen; zweitens hatte er auch das Dreschen und die Satzungen der Zunft ordentlich zu erlernen, was nicht so leicht war. Denn zunächst darf man nicht, wie die Statuten besagen, über 12 Garben anlegen, dann nicht darüber hinweghuschen oder gar nach einmaligem Herumdreschen das Stroh abschieben und aufbinden; ferner soll man nicht ohne Takt und Mensur wie eine Windmühle klippen und klappen und unbedachtsam über Garben und Stroh dahinwischen; der Drescher hat die faulen Knochen vom Leibe zu halten und, wenn Drei dreschen, den Takt zu beobachten nach der alten bekannten Melodie:

„Im Winter, mein Günther,
So drischt man das Koren,
Wenn’s kalt ist,
Nicht alt bist,
Und tapfer gefrohren.“

Mehr als vier Mann durften jedoch nicht auf einmal dreschen, damit die Ernte nicht zu schnell aufgeräumt wurde und die Zunft den ganzen Winter hindurch Arbeit hatte.

Hat der Jüngling dann gezeigt, daß er tüchtig gelernt, hat er seinem Lehrherrn das Werkzeug immer gehorsamlich nachgetragen, sich gegen die Oberältesten und Visitatoren immer bescheidentlich aufgeführt, dann wird er losgesprochen. Bei diesem „Aufdingen“ darf er jedoch nicht mit überflüssigen Kosten beschwert werden, sondern sein Lehrherr soll sich mit „1 Stübgen Forderbier und bei der Zusammenkunft mit nicht mehr als 1 paar Schaafkäse, frische Semmeln nebst 2 Stübgen Bier begnügen lassen.“ Bei Empfang des Lehrbriefes muß der neue Gesell jedem gegenwärtigen Zunftgenossen zur Recreation 1 Maß Bier, einen halben Häring, 1 Quark-Käse und einen halben Pückling reichen, einen halben Batzen in die Lade erlegen, dem Visitatori aber 4 Pfennige Schreibegebühr entrichten.

So wäre also die erste Klippe überstanden. Dem jungen Jnnungsbruder stand die Welt offen, allerdings mit gewissen Beschränkungen; denn es heißt, niemand darf ohne vorhergehende Meldung bei „ehrbarer Zunnfft“ an einem Orte Kondition nehmen, es sei denn, daß alle Innungsgenossen mit sattsamer Arbeit versehen wären, bei Strafe der Konfiskation des Dreschflegels und anderen Werkzeuges. Ist aber Arbeit zur Genüge vorhanden, hat der Ankömmling seinen Lehrbrief mit beglaubigtem Attestato über Wohlverhalten vom Visitator vorgezeigt, so kann er nach Erlegung von einem Stübgen Bier und ein paar Käsen für seine Kameraden die Arbeit beginnen, vorausgesetzt, daß sein Handwerkszeug nicht weniger als er selbst den Anforderungen entspricht; dieses muß nämlich „nach der neusten Façon und dem Leipziger Fuß tüchtig befunden werden.“ Denn Pfuscher und Bönhasen schleichen sich ein mit Knöpfeln, kaum ein halb Pfund schwer, und Handhaben, dreiviertel Ellen lang, wovor doch ein Ehrliebender Drescher einen Ekel hat;“ ein rechtschaffener Dreschersknopfel hat wenigstens drei Pfund und die Handhabe mißt 31/4 Elle, so daß man einen mittelmäßigen Trippeltakt damit führen mag. Wessen Flegel minder werth ist, büßt mit vier Pfund Schmierkäse und einem Groschenbrod. Aber nicht bloß Länge und Gewicht sind vorgeschrieben, sondern auch auf Material und Qualität wird streng gehalten. Die Handhabe soll von Hasel-, Hollunder- oder Maßholderholz fein glatt ausgearbeitet sein, auch der Flegel ordentlich daran befestigt werden, damit die Nebenstehenden nicht täglich Gefahr laufen, daß ihnen derselbe an den Kopf fahre.

Zu Fleiß und Ordnung in ihrer Thätigkeit werden die Arbeiter ebenfalls angehalten und auch auf äußeren Anstand und gute Sitte wird streng gehalten. Jeder rechtschaffene Drescher geht jeden Sonnabend ins Bad und läßt sich den Bart abnehmen, damit kein Spreu darin kleben möge; wer sich aber „grob und reckelhafft gegen den Oberältesten aufführt und mit ungebalbirtem Barte, ohne Halstuch, eine Tabakspfeife im Munde oder ein Rauf Brot mit Schmier- oder anderem Käse in Händen habend und davon essend zu erscheinen sich erkühnet“, soll mit 2 Nößel Haselnüsse, im Wiederholungsfalle gar mit einem Maß Hanbutten gestraft werden. Tabakrauchen während der Arbeit war sogar mit zeitweiligem Ausschluß untersagt. Das Morgenbrot war gleich nach 8 und das Abendbrot um 4 Uhr in aller Ehrbarkeit und Stille zu verzehren, ohne sich lange dabei aufzuhalten oder gar ungebührliche Posituren mit kreuzweis über einander geschlagenen Beinen zu machen.

Auch eine Kleiderordnung war für die Drescher erlassen. Weite Pumphosen, Stolpstiefeln, große Schiebsäcke, weite Schuhe, „worin man noch ein paar Ferklein einquartiren konnte“, sollen nicht getragen werden. Wer’s zahlen kann, hat sich der Beinscheiden zu bedienen oder die Strümpfe fein glatt heraufzuziehen, „damit sie nicht wie Baßglaß oder Wachtelpfeifgen gestalt sein mögen“, sondern die Körner davon abspringen. Wer aber doch zwischen dem Futtertuch des Rockes große Taschen wie die Soldatenflaschen eingenäht hat, soll um 4 gute Groschen exemplarisch bestraft werden. Wer noch weite Pumphosen trägt, muß sich Abends beim Heimgehen untersuchen lassen, bei Strafe einer neuen Flegel-Handhabe von Wachholderholze.

Der Arbeitslohn scheint meist in Naturalien bestanden zu haben. Des Herrn Frucht wird gestrichen, wie man Salz zu streichen pflegt; der Drescher Lohn aber gehäuft. Bei jedem Aufschub bekommt die Person ein Maß Bier, einen Käse und Brot; müssen sie Gerste in die Kübel zum Mälzen tragen, haben sie für jeden Einschütt 12 Maß Bier und 4 Speisebrote zu genießen, und zu Weihnacht auch einen Eimer Bier nebst einem Gericht Kraut und Fleisch.

So war jene ehrsame Zunft beschaffen, die „nach der Regull“ arbeitete:

„Trisch deine Garben hübsch und rein,
So wird die Ehre deine sein.“

Interessant ist es vom objektiven Standpunkte aus zu betrachten, wie nach der Zersplitterung und Auflösung der alten Zünfte und Innungen und dem Uebergange zur Gewerbefreiheit sich jezt eine große Strömung wieder Geltung schafft, die in ihrer äußerlichen Gestalt ein ähnliches, nur der Neuzeit angepaßtes Gewand trägt. Es ist dies die Vereins- und Genossenschaftsbildung, welche sich in allen Ständen, in allen Schichten der Bevölkerung über die Gaue hin erstreckt.

Diese mächtige Bewegung, welche schon jetzt in voller Blüthe steht, hat sich auch auf das landwirthschaftliche Gewerbe ausgedehnt und ist mit der Grund zu der Bildung der vielen landwirthschaftlichen Vereine geworden. Unter ihnen finden wir nun einige, die man wohl mit Recht als „Drescherzunft der Neuzeit“ bezeichnen kann. Es sind dies die Druschgenossenschaften, die, wenn sie auch jezt erst vereinzelt auftauchen, sich bald mehr ausbilden werden, um das Verleihen der Lokomobilen und Dreschmaschinen von Seiten der Fabriken nach einem bestimmten Leihsysteme auf praktischere und namentlich billigere Weise zu ersetzen. Die Mitglieder der Druschgenossenschaften bestehen in erster Linie aus Landwirthen, welche nur kleinere Güter oder Bauerhöfe besitzen und die nicht in der Lage sind, für ihren eigenen Bedarf sich derartige theure Maschinen anzuschaffen. In der Genossenschaft steuert jedes Mitglied im Verhältniß der Größe seines Besitzes zum Ankauf der Dreschmaschine bei, und diese drischt alsdann in einer Reihenfolge, welche nach dem Bedarf vereinbart oder durch das Los bestimmt wird, das Getreide bei den Genossen aus. Unser Zeitalter des Dampfes, der Elektricität und der Konkurrenz verlangt gebieterisch in der Industrie und ebenso in der Landwirthschaft einen schnelleren und rationellen Betrieb.

Auch der Bauer, der sich lange gegen alle Neuerungen gesträubt, ist jetzt von dem Zuge der Zeit mit erfaßt worden, und eine treffliche

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 611. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_611.jpg&oldid=- (Version vom 28.3.2024)