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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

im Osten das stattliche Schloß Karneid, welches den Eingang ins romantische Eggenthal bewacht, erblicken. Wohin das Auge schweift, begegnen uns somit ehrwürdige Bauzeugen alter Herrlichkeit. Die Rundschau von der Talferbrücke gehört zum Reizendsten, was Tirol bieten kann. Wechselnde Gebirgsformationen, Dolomiten- und Porphyrgebilde, herrliches, fruchtbares Mittelgebirge, lachende Ortschaften, Dörfer und Weiler, malerische Burgen und Kirchlein! Wer kann sich sattsehen an diesem so wechselreichen, bezaubernden Panorama! – Von der Brücke gehen wir nach dem rasch aufblühenden Kurorte Gries, wo Feigenbäume über epheuumrankte Mauern die Aeste breiten, wo schlanke Cypressen ragen und Myrthen, Agaven und Kakteen an sonnigen Felsen wildwachsend gedeihen. Kunstfreunde besuchen gerne die mit M. Knoller’s Fresken geschmückte Klosterkirche. Wir steigen aber zur schönen gothischen Pfarrkirche empor, die einen sehenswerthen Altar aus dem 15. Jahrhundert besitzt. Vor der Kirche bietet sich eine bezaubernde Aussicht auf Nah und Ferne, auf die blühenden Gefilde und die graustarrenden Gebirge.

Partie aus dem Schloßhof von Runkelstein.

Wir verlassen dies „Luginsland“ und wandeln am rechten Talferufer nordwärts zum „Gescheibten Thurme“, der am Fuße des höfebesäten Guntschnaberges an der Mündung einer Schlucht, in die ein Bergbach stürzt, erbaut ist. Ein malerisches, geschlossenes Landschaftsbild! Den runden Thurm wollte man einst als römisches Werk erklären, aber die Bauart weist auf spätere Zeit. Er ist nur der Rest einer mittelalterlichen Veste, die zur Zeit Meinhart’s II. noch gestanden hat. Daneben liegt die alte Oswald- Kapelle mit einem Bilde der „heiligen Kummernus“ (Wilgefortis). Beide mythische Heilige, die wir hier verehrt finden, bezeugen das hohe Alter dieser Kapelle. St. Oswald, der englische König, ist längst als christliche Unterstellung des heidnischen Gottes Odhin- Wuotan nachgewiesen. Welche germanische Göttin steckt aber hinter der bebarteten Jungfrau am Kreuze, die ihren Pantoffel dem armen Geigerlein spendet? Die Legende ist durch ganz Deutschland bis weit in den Norden verbreitet, und Justinus Kerner, wie Guido Görres haben die Sandalen schenkende Heilige besungen. Verfehlt ist der Versuch, in derselben eine Vernus barbata zu entdecken. – Weiter wandernd, folgen wir dem Pfade zur Talferbrücke bei St. Antoni oder Klebenstein, überschreiten dieselbe und ziehen zwischen Weinbergen oder unter breitkronigen Kastanienbäumen nach dem berühmten Runkelstein, der tirolischen Wartburg. Denn wie diese ist unser vielbesungenes Schloß ein gefeierter Sitz der Kunst und Poesie gewesen. Sei gegrüßt, du alter Musensitz, der so feierlich und traut vom mäßigen Schloßberge niederblickt, bewacht von dunkler Cypresse! Im Oktober 1847 betrat ich zum ersten Male deine heiligen Hallen, und seitdem ist die alte Liebe für dich jung und frisch geblieben.

Die Burg, auf welche J. Görres und König Ludwig I. von Bayern die Aufmerksamkeit der Künstler und „Romantiker“ gelenkt haben, war einst Besitz der mächtigen Herren von Wanga, deren Stammschloß weiter nordwärts im malerischen Sarnthale liegt. Am Schlusse des 14. Jahrhunderts kam sie an Niclas Vintler von Bozen, Herzogs Leopold von Oesterreich Rath und Amtmann, und Franz Vintler. Da begann für das Schloß die goldene Zeit. Die reichen, kunstsinnigen Besitzer erweiterten dasselbe, bauten einen neuen Flügel, zwei Thürme und eine Kapelle und schmückten Hof und Gemächer mit Wandbildern, die der Heldensage und höfischen Dichtung entnommen sind. Eine Bibliothek wurde angelegt; Heinz Sentlinger, der Schreiber aus München, schrieb hier die Weltchronik ab, und Hans der Vintler brachte 1411 die „Blumen der Tugend“ in Verse. Künstler und Dichter, besonders Oswald von Wolkenstein, gingen ab und zu. Das damalige Leben und Streben auf Runkelstein hat Herman Schmid in seinem Romane „Friedel und Oswald“ aufs Lebendigste geschildert.

Schloß Runkelstein, von der Talfer aus gesehen.

Eine zweite Blüthe erlebte das Schloß unter Kaiser Maximilian, dem „letzten Ritter“, der es selbst besuchte, der seine Freude an den alten Bildern fand und dieselben am Beginne des 16. Jahrhunderts restauriren ließ. Die sorgfältige Erhaltung Runkelsteins lag unserem romantischen Kaiser ebenso am Herzen, wie das Heldenbuch an der Etsch, welches er durch Hans Ried, Zöllner in Bozen, abschreiben ließ. Im Jahre 1501 übergab der Kaiser dem Landsknechtführer Jörg von Freundsberg die Pflege und Hut der geliebten Burg. 1538 gelangte sie an den Grafen Christoph von Lichtenstein und blieb im Besitze seines Geschlechtes bis 1754; nun wurde sie Mensalgut der Fürstbischöfe von Trient, die sich aber um den profanen Bau nicht viel kümmerten. So verfiel das berühmte Schloß mehr und mehr, – und in einer Nacht des Jahres 1868 stürzte eine Wand der mit Gemälden geschmückten Säle in die Tiefe. Manchem eingebornen „Romantiker“ ging das Unglück der vielgefeierten Burg schwer zu Herzen, und Fremde höhnten über ihr trostloses Schicksal. Es handelte sich um Sein und Nichtsein eines tirolischen Kleinods. In jenen Tagen von Runkelsteins Schmach vertraute ich auf den guten Burggeist und die Fürbitte des höchstseligen „letzten Ritters“ und beschloß endlich als Erzromantiker und „letzter treuer Knappe“ des in den letzten Zügen liegenden Schlosses ein unterthänigstes Promemoria abzufassen, dessen kurzer Sinn darin bestand: unser ritterlicher Kaiser möchte sich der Lieblingsburg eines seiner größten und berühmtesten Ahnen, des „letzten Ritters“, huldvollst erbarmen. Und siehe, meine fromme Zuversicht hatte mich nicht ganz getäuscht! – An einem schönen Maimorgen 1874 erhielt ich die hocherfreuliche Zuschrift, daß die nothwendigen Herstellungen auf Kosten des Staates vorgenommen und zur Restaurirung des Schlosses geschritten werden solle. Ein Kredit bis zu dem Betrage von 1200 Gulden sei bewilligt. Welch süßes Frühlingslied! – Wirklich wurde das Nothwendigste zur Erhaltung der Burg ins Werk gesetzt – doch sie war verkäuflich, wer wird sie erwerben und retten? Da überraschte mich Freund Alois Gabl, der berühmte Maler in München, mit der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 475. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_475.jpg&oldid=- (Version vom 7.7.2022)