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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Sie siegelte das Schreiben und trug es in das Zimmer ihres Mannes, auf den Schreibtisch. Das Päckchen Gedichte legte sie daneben, ebenso das Notizbuch. Was sollte sie damit? Das Dichten galt nicht ihr – es war eine leidige Angewohnheit von ihm, das hatte erst gestern der Amtsrichter verrathen. Es war hier als passendes Mittel angewendet, um die Täuschung vollkommen zu machen. Einer, der zarte Verse schreibt und dabei heimlich den Agenten um die Mitgift befragt – eine tolle Zusammenstellung, komisch-tragisch, ein Lustspielmotiv, und sie die lächerliche Heldin!

Das Fragment des schrecklichen Briefes behielt sie zurück. Dann schrieb sie ein Billet an ihre Mutter, eins an Onkel Heinrich, nahm die Uhr aus dem Täschchen und griff dann zum Kursbuche.

Wohin? Der Berliner Schnellzug, der alle Verbindung in die weite Welt hinaus vermittelte, war nicht mehr zu erreichen. Also warten bis morgen – Und dann? Irgendwo hin – allein sein! Nur nicht mit Mama und Jenny zusammen, nur weit fort von hier!

Sie sprang plötzlich auf mit erschrecktem Gesichte, sie hatte eine Stimme gehört, seine Stimme. „Ist meine Frau zurück?“ Dann ein lustiges Pfeifen, ein paar Takte aus dem Boccaccio- Marsche – und eilige Schritte vom Korridore herauf. Nun drückte seine Hand auf die Klinke –. Verschlossen!

„Trudchen!“ rief er.

Sie stand mitten im Zimmer, die Lippen auf einander gepreßt, starr die Augen; aber sie rührte sich nicht.

Er nahm nicht an, daß sie drinnen; ruhig ging er in sein Zimmer. Sie hörte, wie er die Thür der Schlafstube öffnete.

„Trudchen?“ klang es fragend.

Nun wieder in seinem Zimmer, er sprach mit dem Hunde, pfiff wieder ein paar Takte. schritt hin und her, und nun blieb er stehen – jetzt riß ein Papier – jetzt las er.

„Gertrud! Gertrud, ich weiß, Du bist in dem Zimmer! Oeffne!“ Es klang ruhig und freundlich, aber sie verharrte wie zu Stein geworden auf ihrem Platze.

„Ich bitte, öffne!“ scholl es jetzt befehlend.

„Nein!“ antwortete sie laut und richtete sich empor.

„Du bist in einem grenzenlosen Irrthum! Man hat Dir irgend etwas vorgeredet – laß mich doch mit Dir sprechen, Kind!“

Sie kam einen Schritt näher. „Ich kann nicht!“ sagte sie.

„Ich bitte dringend darum. Man hört doch auch einen Verbrecher, ehe man ihn verurtheilt!“

„Nein!“ erklärte sie, schritt zum Fenster und blieb dort stehen.

Zum Henker mit diesem verfl.... Unsinn!^ klang es jetzt in ihre Ohren. Dann ein Krach, ein Splittern – die Thür war gesprengt und Franz Linden stand auf der Schwelle.

„Ich bitte um Aufklärung,“ sagte er gereizt, und die Zornader auf der weißen Stirn, die seltsam abstach von dem gebräunten Antlitz, war ihm mächtig geschwollen.

Sie hatte sich nicht umgewandt. „Onkel Heinrich wird Dir das Nähere sagen,“ erwiderte sie kühl.

Er schritt zu ihr hinüber und legte die Hand auf ihre Schulter, aber da trat sie zurück, und die blauen, sonst so milden Frauenaugen sahen ihn an, so kalt und fremd und so glanzlos matt, daß er tief erschreckt inne hielt.

„Ich hätte Dich getäuscht? Dich, Trudchen?“ fragte er. „Was habe ich Dir gethan? Worin besteht mein Unrecht?“

„In Nichts –“

„Das ist keine Antwort, Gertrud.“

„O, es handelt sich ja um eine Kleinigkeit nur – ich kann nicht mit Dir darüber sprechen.“

„Gut! So will ich noch heute zu Onkel Heinrich.“

Sie antwortete nicht.

„Und fort willst Du? Mich allein lassen?“ fragte er wieder.

Sie zogerte einen Moment. „Ja, ja!“ sagte sie dann hastig, „fort!“

„Wozu die Komodie, Trudchen?“

„Komodie?“ Sie lachte kurz auf.

„Trudchen. Du thust mir weh.“

„Nicht mehr, als Du mir gethan.“

„Aber, zum Donnerwetter, ich frage Dich – womit?“ rief er außer sich.

Sie war noch einen Schritt zurückgewichen und sah ihn groß an. „Bitte, laß anspannen, fahre zu meinem Onkel,“ klang es kühl.

„Ja, bei Gott, Du hast Recht!“ rief er außer sich, „Du bist mehr als trotzig!“

„Ich habe es Dir gleich gesagt, es ist mein Charakter.“

„Trudchen,“ begann er, „ich bin ein heftiger Mensch, mich bringt nichts sehr in Zorn, als ein passiver Widerstand. Es ist doch unsere verd.... Pflicht und Schuldigkeit, uns mit Vertrauen entgegen zu kommen – sage mir, was Dich drückt; es kann aufgeklärt werden, ich bin mir keines Unrechtes bewußt gegen Dich.“

„Das ist eben Ansichtssache,“ sagte sie.

„Nun, so ist es gut! Ich erkläre Dir, daß ich absolut nicht neugierig bin, und gebe Dir Zeit, Dich zu besinnen.“ Er wandte sich, um zu gehen.

„Das ist freilich das Bequemste in dieser Sache,“ klang es bitter hinter ihm.

Er zögerte, aber er ging wirklich, schloß die zerbrochene Thür hinter sich zu, so gut er es vermochte, und begann in seinem Zimmer auf- und abzuwandern.

Sie preßte die Stirn an die Scheiben und sah über den Garten hinweg. Es hatte aufgehort zu regnen, im Westen lichteten sich die Wolken und ließen den Glanz der untergehenden Sonne ahnen; nun brachen die schimmernden Dunstmassen und im nämlichen Augenblicke stand die Landschaft im funkelnden Sonnenglanze, wie ein holdes, unter Thränen lächelndes Weib.

Wenn sie doch weinen konnte! Die Frauen, denen Gott die Fähigkeit gegeben zu weinen, sind bevorzugt. Weinen macht das Herz leicht, den Sinn milder – aber nein, für sie gab es keine Thränen.


Noch in der allerletzten Dämmerung fuhren die Eisenschimmel vor und Frau Jenny stieg aus dem Wagen. Sie lief, flink wie ein Wiesel, die Stufen zur Veranda hinan und stand im Gartensaale plotzliach vor Franz Linden, der dort allein am gedeckten Tische saß; Trudchens Kouvert war unberührt.

„Jenny, so spät noch?“ fragte er.

„Ich möchte Trudchen sprechen.“

„Sie finden meine – Frau in ihrem Zimmer.“

Jenny warf aus ihren lustigen Augen einen raschen Blick auf ihn. Ob der Krach schon erfolgt? Sie waren zu Hause vor Angst beinahe umgekommen.

„Ist Trudchen nicht wohl?“ erkundigte sie sich scheinbar harmlos.

Er zögerte einen Augenblick mit der Antwort. „Sie scheint in der That etwas angegriffen und erregt, ich glaube, daß sie im Laufe des Tages irgend eine Unannehmlichkeit hatte,“ erwiderte er dann.

„Ach so!“ nickte die junge Frau. „Nun, ich werde selbst nachsehen.“

Sie ging über den Flur, noch war die Lampe nicht angezündet, und in der Dunkelheit stieß sie an etwas und wäre fast gestürzt. Auf ihren leisen Schrei eilte Johanne mit Licht herzu.

„Ach, verzeihen Sie, gnädige Frau, es ist der Reisekorb der jungen Dame, die vor einer Viertelstunde ankam. Dora hat vergessen, ihn in Frau Rosa’s Wohnung zu tragen.“

Jenny warf einen ärgerlichen Blick auf das bescheidene Gepäckstückchen, stieg die Treppe hinauf und klopfte an die Zimmerthür der Schwester. „Ich bin es, Trudchen,“ rief sie mit ihrer hellen klingenden Stimme. Sie hörte darauf leichte Schritte und leise, leise ward der Riegel zurückgeschoben und die Thür geöffnet.

„Du, Jenny?“ fragte Trudchen; genau so, wie vorher Franz gesprochen: „Du, Jenny?“

Es war fast dunkel im Zimmer, Jenny konnte die Züge der Schwester nicht erkennen.

„Warum sitzest Du so im Dunkeln, Trudchen? Ich bitte Dich, sage rasch, wie ist es geworden? Mama und ich vergehen vor Angst!“

„Es ist gut so,“ erwiderte die junge Frau. „Aengstigt Euch nicht!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 454. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_454.jpg&oldid=- (Version vom 18.3.2024)