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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

mit allerlei schlechten Wärmeleitern ausgefüllt wird? Die Sache ist nicht so einfach, wie man sie sich vorzustellen pflegt. Wir befinden uns zwar im unbestreitbaren Besitze von acht Monaten Kälte, und man sollte meinen, es möchte nicht so schwer sein, es den Ameisen, nur umgekehrt, gleich zu thun und von der so freigebig gespendeten Kälte so viel aufzustapeln, daß der Vorrath für die wenigen warmen Tage ausreicht. Hier zeigt aber unser Klima seine ganze Tücke. Heizen müssen wir zwar vom September bis in den Mai hinein; es kommt aber sehr häufig vor, daß die Quecksilbersäule in dem langen Zeitraume nur selten und auf kurze Zeit unter den Nullpunkt sinkt, daß von einer Eisernte somit nicht die Rede sein kann und daß nicht blos die Hausfrauen, sondern auch, und zwar in einem viel höheren Grade, die auf künstliche Abkühlung angewiesenen Gewerbszweige in eine arge Verlegenheit gerathen. Bierbrauer, Senner, Spiritusfabrikanten, Konditoren, Schlächter, Gastwirthe und wie sie alle heißen mögen, können ohne Eis ebenso wenig leben, wie Aerzte, und es gilt daher, um jeden Preis das Verschulden des Thermometers wieder gut zu machen.

Hierzu bieten sich zwei Wege: entweder man beschafft Eis aus den Gegenden. wo der Winter nicht blos Kälte, sondern Frost bringt, oder man stellt Eis, beziehungsweise eine niedrige Temperatur künstlich her.

Wir wollen zunächst auf das erste Mittel der Eisbeschaffung einen Blick werfen.

Daß der Mensch überhaupt noch zu diesem Mittel seine Zuflucht nimmt, liegt in der Macht der Gewohnheit. Es giebt viele sonst kluge Leute, welche sich immer noch einbilden, es verhalte sich mit dem Eise wie mit dem Weine, nur Natureis besitze die erforderlichen Eigenschaften, und künstliches Eis gehöre zu den vielen Erfindungen der neuesten Chemie, vor denen man sich zu hüten habe. Diesen Fortschrittsfeinden zu Liebe wird daher noch immer, wenn die einheimische Eisernte fehlschlägt, gefrorenes Wasser in gewaltigen Mengen über unsere Grenzen eingeführt. Wo liegen nun die Stapelplätze dieses Natureises? Eine Aktiengesellschaft zur Ausbeutung der Polareisfelder wurde unseres Wissens bisher nicht „gegründet“; dafür arbeiten aber in den Hochalpen und in Norwegen zahlreiche Unternehmer an der Eisgewinnung, und ginge es nach deren Wünschen, so wären die Alpen bald ihres Hauptschmuckes beraubt. Glücklicher Weise ist das Zersägen und Fortschaffen solcher gefrorenen Flächen eine harte Nuß, und es haben bisher die Eisfuhrunternehmer in den Eispanzer des Hochgebirges nur unbedeutende Breschen gelegt.

Siesta.
Nach dem Oelgemälde von Prof. Otto Heyden.

Was die Gletscher hauptsächlich vor der zerstörenden Hand des Menschen rettet, das ist die Schwierigkeit der Fortschaffung der gewonnenen Waare. Gletscher pflegen in ziemlich unzugänglichen Gebirgswinkeln aufzutreten, und zu ihnen führen in der Regel nur für Fußgänger oder Pferde – der Gemsen zu geschweigen – gangbare Pfade. Auch der kräftigste Bergbewohner und das tüchtigste Thier würden aber nur eine winzige Menge Eis auf dem Rücken fortschaffen und überdies wegen des Schmelzens bedeutend erleichtert unten ankommen. Die Gletschereisgewinnung bedingt daher, wenigstens in den Alpen, zunächst den Bau von fahrbaren Straßen nach dem unteren Ende des Gletschers, und Straßen kosten viel Geld, ebenso die benöthigten Gespanne und Fuhrwerke. In Norwegen. wo die Gletscher vielfach bis an den Meeresstrand reichen, hat man es freilich leichter. Die Eisblöcke werden unmittelbar auf Schiffe verladen und also lediglich zu Wasser transportirt.

Mit dem Ablösen der Eisblöcke von der Gletschermasse ist es aber noch nicht gethan. Eis ist eine dem Schwinden sehr ausgesetzte Waare, und träfe man nicht besondere Vorsichtsmaßregeln zur Abhaltung der Sonnenstrahlen, so würde von dem mühsam erbeuteten Gut nicht viel den Bestimmungsort erreichen. Die Fuhrwerke sowohl, welche die Eisblöcke von der Bergeshöhe nach der nächsten Bahnstation befördern, wie auch die demselben Zwecke gewidmeten Eisenbahnwagen und Schiffe müssen daher, wie die Eiskeller und Eishäuser, in welchen man die Eisvorräthe aufstapelt, mit besonderen Vorrichtungen zur Erhaltung einer niedrigen Temperatur ausgestattet sein. Sie sind in der Regel weiß angestrichen, weil die Sonnenstrahlen an der weißen Farbe gewissermaßen abprallen; ferner ist der Raum zwischen ihren Doppelwänden mit Häcksel, Torf, Schlackenwolle und dergleichen schlechten Wärmeleitern angefüllt; hierzu kommen Vorrichtungen zur Ableitung des Schmelzwassers, welches das Schmelzen des Eises sehr befördert, wenn es mit diesem in Berührung bleibt; endlich vielfach Lüftungsvorrichtungen, welche bisweilen durch die Bewegung des Wagens oder Schiffs selbst in Betrieb gesetzt werden. Trotzdem ist das Schwinden ein beträchtliches, und der Preis des Gletschereises wäre ein sehr hoher, käme es nicht den Händlern zu Gute, daß die Rohwaare nichts kostet.

Zu diesen Nachtheilen des Gletschereises gesellt sich noch der Umstand, daß es sich kaum, wie das ebene, gleichmäßig dicke Flußeis, auf mechanischem Wege ablösen läßt. In Nordamerika, wo der Winter sehr streng und der Sommer sehr heiß ist, und neuerdings auch bei uns, verwendet man zur Bearbeitung der Flußeisflächen Eishobel, welche die Unebenheiten beseitigen, und Eispflüge, welche das Eis zu viereckigen Platten verarbeiten. Diese Eispflüge und Eishobel werden häufig mit Dampf betrieben, und es gelingt, Dank ihrer kräftigen Hilfen bedeutende Wasserflächen in kurzer Zeit ihres Eispanzers zu entkleiden. Beide sind aber bei Gletschereis ausgeschlossen.

In Folge dieser Schwierigkeit und Unsicherheit der Beschaffung der doch nicht zu entbehrenden Eisvorräthe ist die Aufmerksamkeit der Techniker seit Jahren darauf gerichtet gewesen, Apparate zu ersinnen, die in kurzer Zeit mit geringen Kosten entweder Wasser zum Gerinnen bringen, oder, was auf ein Gleiches hinausläuft, die Luft in bestimmten Räumen bis unter den Gefrierpunkt abkühlen. Letztere Apparate sind natürlich an einen Ort gebunden und wirken nur in unmittelbarer Nähe, während die Eismaschinen Eis als Verkaufsartikel erzeugen und mit den Natureishändlern in Konkurrenz treten.

Die Erfinder von Eismaschinen hatten, wie alle Neuerer, anfangs mit vielen Vorurtheilen zu kämpfen. Es hieß namentlich, das Kunsteis sei nicht so dicht, wie das Natureis, und schmelze rascher zusammen, während das umgekehrte der Fall ist. Auch wirkte die Kostspieligkeit einer Eismaschinen-Anlage abschreckend.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 445. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_445.jpg&oldid=- (Version vom 18.3.2024)