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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

ihrer Ueberzeugung zufolge dazu nicht minder berechtigt gewesen, als seiner Zeit Ludwig der Dreizehnte oder eigentlich sein Minister Richelieu berechtigt war, die rebellischen Hugenotten, und Ludwig der Vierzehnte oder eigentlich sein Minister Mazarin, die Rebellen der Fronde zu bekämpfen. Es war also rein unmöglich, dem Duc d’Enghien daraus ein Verbrechen zu machen, daß er im Korps seines Großvaters mitgefochten – unmöglich nicht allein unter dem subjektiven, sondern auch unter dem objektiven Rechtsgesichtspunkt.

Dazumal, im Frühjahr von 1804, lebte der Prinz zu Ettenheim unweit Karlsruhe, ohne irgendwie nachweisbare Verbindungen mit den übrigen Emigranten, welche sich da und dort in den deutschen Rheingegenden aufhielten. Der französische Gesandte am badischen Hofe, Massias, überwachte den Prinzen, fand jedoch über denselben nach Paris nur zu berichten, daß er leidenschaftlich dem Vergnügen der Jagd nachginge und im übrigen ganz seiner zärtlichen Verbindung mit der Prinzessin Charlotte von Rohan-Rochefort lebte, einer Nichte des Halsband-Kardinals Rohan berüchtigten Andenkens. Dieser „hochwürdige“ Prälat, welcher vordem in der für Marie Antoinette so unheilvollen Böhmer-Lamothe’schen Diamanthalsbandgeschichte eine zugleich so lüderliche und so lächerliche Rolle gespielt hatte, war ein so liebevoller Oheim, daß er nicht umhin gekonnt, den leidenschaftlich in seine Nichte verliebten Duc d’Enghien im Jahre 1801 heimlich mit derselben zu trauen, obzwar König Ludwig der Achtzehnte in partibus dieser Ehe seine Zustimmung verweigert hatte. Alles zusammengehalten, muß man sagen, daß der Prinz ein liebenswürdig-harmloser Charakter war und in Ettenheim ein harmloses Leben führte. Er muß sich auch dieser Harmlosigkeit wohl bewußt gewesen sein. Denn sonst hätte er sich so nahe der französischen Gränze nicht für so sicher gehalten, daß er bezügliche Warnungen, die ihm vonseiten seines Vaters brieflich aus London zugingen, ablehnend und beschwichtigend beanwortete. Er kannte den Bonaparte wenig.

Sobald das Auge desselben auf den Prinzen gefallen, war dieser verloren. Shée, der Präfekt von Straßburg, erhielt Befehl, einen Spion nach Ettenheim zu senden, um die Oertlichkeit, den Haushalt und die Umgebung des Herzogs von Enghien auszukundschaften. Der Präfekt schickte einen verkleideten Unterofficier Namens Lamothe, welcher den Prinzen kannte, weil er früher im Hause Condé gedient hatte. Lamothe that seinen Späherdienst und meldete seinem Auftraggeber unter anderem, daß der General Dumouriez sich in Ettenheim befände. Dumouriez, was? Der weiland General der Republik mit D’Enghien, also mit den Bourbons verbunden? Ein Seitenstück zum Pichegru ganz zweifellos! Da haben wir demnach ein Stück bourbonischer Verschwörung auch in Ettenheim …. Es mochte dem Ersten Konsul so recht wohlthun, einen Schatten von Vorwand zu seinem justizmörderischen Vorgehen gegen den Prinzen gefunden zu haben. Einen Schatten von Vorwand. Denn in Wahrheit und Wirklichkeit befand sich Dumouriez nicht in Ettenheim und überhaupt nicht im Lande. Der Spion hatte den Namen des Generals und Marquis de Thumery, welcher sich in Ettenheim aufhielt, nennen hören und daraus wissendlich oder unwissendlich Dumouriez gemacht.

Am 10. März 1804 setzte sich Bonaparte hin und fertigte an den Kriegsminister Berthier die Anweisungen und Befehle aus, kraft welcher die Generale Ordener und Caulincourt, jener mit 300, dieser mit 200 Dragonern, von Straßburg und Schlettstadt aus nächtlicher Weile über den Rhein gehen und so rasch wie möglich nach Ettenheim marschiren sollten, um den Herzog von Enghien gewaltsam aufzuheben und nach Straßburg in die Citadelle zu führen, von wo er nach Paris gebracht werden müßte.

Daß dieser banditenhafte Einbruch in das deutsche Reich, bei Friedenszeiten, ein schnöder Bruch des Völkerrechtes war, kümmerte den französischen Machthaber wenig. So ein Ding wie das Recht gehörte ja überhaupt dem Bonapartismus zufolge nur in das Wörterbuch der „Ideologie“; in und mit der Politik hatte es nichts zu thun. Und auf die arme alte deutsche Reichsruine Rücksicht nehmen? Bah! Oder auf die deutschen Reichsfürsten? Ach, diese Pappenheimer kannte man sattsam in Paris. Oder auf den Kaiser des „Heiligen Römischen Reiches Teutscher Nation“, den zweiten Franz? Du lieber Gott, zu der pappendeckeligen Reichskrone paßte vollständig ihr Träger, der ja auch nur ein Kaiser von Pappendeckel war.

Nach an Berthier gegebenen Befehlen erließ Bonaparte auf das Beabsichtigte und Bevorstehende bezügliche Weisungen an seinen Schwager Murat, als an den Militärgouverneur von Paris, sowie an den inzwischen von Biville zurückberufenen Savary, welcher zur Vollendung des Banditenstreichs das Meiste thun sollte und, wie bekannt, auch wirklich gethan hat. Hierauf, sich die Hände waschend wie weiland der römische Oberpräsident von Judäa, fuhr der Erste Konsul mit seiner Frau und etlichen Vertrauten nach Malmaison, allwo während der nächsten Tage nur ausdrücklich von ihm bezeichnete Leute Zutritt erhalten sollten. Er wollte nicht sehen und hören, wie der Mordklapf, den er angeordnet hatte, in Paris wirken würde.

Wohlverstanden, er beharrte bei diesen mörderischen Anordnungen auch dann noch, als er über das Mißverständniß Thumery-Dumouriez aufgeklärt und als er in den Besitz der in Ettenheim geraubten Papiere des Duc d’Enghien gesetzt worden war, aus welchen dessen Nichtbetheiligung an der Cadoudal-Pichegru’schen Verschwörung erhellen mußte. Er wollte eben, das steht zu seiner Schmach für immer fest, um jeden Preis einen Bourbon zum Erschießen haben, er, der „Robespierre zu Pferd“, wie vordem der Robespierre zu Fuß einen Bourbon zum Guillotiniren haben wollte.


8.0 Wie der Bandit sich in den Komödianten verwandelte.

In der Nacht vom 14. auf den 15. März, unlange nach Mitternacht, wurde der Duc d’Enghien, welcher, ermüdet von den Jagdstrapazen des letzten Tages, eines tiefen Schlummers genoß, aufgeschreckt durch den Schreckensruf seines treuen Dieners Canonne: „Monseigneur, das Haus ist umzingelt! Gendarmen stoßen die Thüren ein und erklettern die Fenster!“

Die Generale Ordener und Caulincourt hatten ihre Maßnahmen so sorgfältig getroffen und der Gendarmeriekommandant Charlot führte dieselben so genau und rasch aus, daß von Widerstand keine Rede sein konnte, obzwar der Prinz, noch halb schlaftrunken, nach seiner Jagdflinte gelangt hat. Die Ueberrumpler hatten übrigens leichtes Spiel. Sie brauchten nur den Anweisungen des Ersten Konsuls nachzukommen, allworin ja alle Umstände zum voraus berücksichtigt und berechnet waren. Plan und Ausführung des Handstreichs machten ein so echtkorsisches Banditenstückchen aus, daß selbiges ebenso gut wie zu Ettenheim in einer „Macchia“ Korsika’s hätte spielen können.

Man ließ dem Ueberfallenen kaum Zeit, sich anzukleiden. Dann wurde er auf ein Wägelchen gesetzt und fort ging’s in aller Hast, dem Rheine zu. Am Abend vom 15. März befand sich der Entführte hinter den Mauern der Citadelle von Straßburg. Seine sämmtlichen im Schlößchen von Ettenheim zusammengerafften Briefschaften gingen mittels Kuriers unmittelbar an den Ersten Konsul ab.

Am 18. März, Morgens halb 2 Uhr, wurde der Prinz in seiner Zelle geweckt und aufgefordert, sich rasch in die Kleider zu werfen, um sofort abzureisen. „Man wird mir doch gestatten, Canonne mitzunehmen?“ – „„Ueberflüssig.““ – „Aber doch meinen kleinen Hund Mylof, der mit mir von Ettenheim gekommen?“ – „„Nun ja.““ – „Und Wäsche muß ich doch auch haben.“ – „„An zwei Hemden wird es genug sein.““

Man setzte den Gefangenen in eine verschlossene Postkalesche und unter der Bewachung eines Leutnants, eines Quartiermeisters und zwei Gemeinen von der Gendarmerie ging die Eilfahrt Tag und Nacht gen Paris. Am 20. März, Abends 6 Uhr, war der Prinz im Donjon von Vincennes eingethürmt, ganz ausgehungert, denn man hatte ihm unterwegs zum Essen weder Zeit noch Gelegenheit geboten. Der Kommandant von Vincennes, Harel, vermochte ihm nur ein dürftiges Abendessen anzubieten. Er genoß es zur Hälfte, um die andere Hälfte seinem ebenfalls hungerigen Mylof zu geben. Dann warf er sich auf’s Bett, um sogleich in Schlaf zu fallen.

Derweil er schlief, wurde drunten im Festungsgraben, am Fuße des sogenannten „Pavillon der Königin“, ein Grab gegraben. Der Oberst Savary war mit dem Bataillon seiner Elitegendarmen in Vincennes und für diese Nacht mit außerordentlichen Vollmachten versehen. Er ordnete alles an und befahl unumschränkt. In dieser Nacht mag er sich ja wohl seinen nachmaligen Herzogstitel (duc de Rovigo) verdient haben.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 375. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_375.jpg&oldid=- (Version vom 17.3.2024)