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verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Und nun versank er wieder rettungslos in den Bann ihrer Augen.

Es war jenes Zweifeln über ihn gekommen, jenes Hangen und Bangen, das ein Jeder durchzumachen hat, der liebt. Und Franz Linden hatte sich in seiner Einsamkeit längst eingestanden, daß ihm nur Trudchen Baumhagen fehle, um glücklich zu sein.

Er war eine keineswegs zaghafte oder scheue Natur, im Gegentheil: er war mit jener bescheidenen Keckheit ausgestattet, wie sie liebenswürdige Leute, denen die Gesellschaft lächelnd allerlei nachsieht, so leicht annehmen. Wäre er im Besitze eines Rittergutes statt dieser Klitsche, wie der Amtsrichter Niendorf bezeichnete – er hätte lieber heute als morgen gefragt, ob sie die Seine werden wolle; ohne allzu große Furcht vor ihren Geldsäcken. Aber in dieser Lage war es ihm peinlich, er mußte zum wenigsten erst „flott“ sein, wie er sich ausdrückte, und ehe das der Fall – wer weiß, wo Trudchen Baumhagen dann geblieben? Er biß die Zähne zusammen bei diesem Gedanken – immer dasselbe Resultat! Aber galt denn am Ende ein ehrliches Herz nichts, und ein fester Wille? Wäre nur der Amtsrichter hier, und er könnte ihn fragen –.

Er hatte während dieser Gedanken die Lampe angezündet. Da lag die verbogene Visitenkarte auf dem Tische, die ihm Tante Rosalie gegeben. „Arthur Fredrich.“ Er lächelte, als er an den kleinen unbedeutenden Menschen dachte, dem die Schwester ihr Herz geschenkt, und er konnte sich Trudchen nicht neben ihm vorstellen. Endlich ein Gegenbesuch von ihm! Und da standen ja auch einige mit Bleistift geschriebene halb verwischte Worte: „Bedauert herzlich, Sie nicht getroffen zu haben, und bittet, am zweiten Weihnachtsfeiertage ein einfaches Souper in seinem Hause annehmen zu wollen.“

Es war die erste Einladung in Trudchens Vaterhaus. Er schrieb sofort ein zusagendes Billet; dann besann er sich, daß er den Schlitten bestellt habe, um einige Besorgungen in der Stadt für das Fest zu machen. Die Karte wollte er durch den Hausknecht des Hôtels hinüber schicken.




Das Weihnachtsfest war vorüber und der dritte Festtag mit Thauwetter und Regen gekommen; er nahm die leuchtend weiße Schneedecke von der Erde, als sei sie eben auch nur ein Festtagsschmuck gewesen und für die gewöhnlichen Tage der schwarze Erdboden gut genug.

Frau Baumhageu saß recht verdrießlich in ihrem Zimmer am Fenster und schaute über den Markt hinweg. Sie hatte etwas Kopfweh, und überdies – heute lag so gar nichts vor, kein Theater, keine Gesellschaft, nicht einmal ein Whist, und gestern war es bei Jenny sehr langweilig gewesen. Zu guterletzt hatte sie sich über Gertrud ärgern müssen, die sich gegen alle Gewohnheit lebhaft mit ihrem Tischnachbarn unterhielt, jenem Fremden, der ihr damals in der Kirche nachgelaufen. Es war eine Ungeschicklichkeit von den Kindern, ihr den Platz an seiner Seite zu geben.

„Ein Brief, Frau Baumhagen.“ Sophie brachte ein Schreiben in einfachem weißem Umschlage.

„Ohne Poststempel? Wer hat es abgegeben?“ fragte sie, die Handschrift betrachtend, die ihr völlig fremd erschien.

„Ein alter Diener oder Kutscher, ich kenne ihn nicht.“

Kopfschüttelnd erbrach Frau Ottilie Baumhagen den Brief und las. Mit hochrothem Gesicht stand sie dann auf und rief: „Gertrud! Gertrud!“

Das junge Mädchen kam sofort herüber in das Zimmer der Mutter.

Die kleine lebhafte Frau war schon an der Klingel gewesen und befahl der eintretenden Sophie: „Rufe die Jenny und meinen Schwiegersohn, aber rasch sollen sie kommen, rasch! – Gertrud, ich bitte Dich, was sind das für Ueberfälle! Ich muß mich erst sammeln, erst –“

„Mama,“ bat das Mädchen leicht erblaßt, „laß uns Beide allein sprechen – weßhalb Jenny und Arthur –?“

„Weißt Du denn, worum es sich handelt?“ rief die erregte Frau.

„Ja!“ erwiderte Trudchen fest und kam durch das Zimmer bis zu dem Lehnstuhle, in den die Mutter sich gesetzt.

„Mit Deiner Eiuwilligung, Kind! – Gertrud?“

„Mit meiner Einwilligung, Mama,“ wiederholte das Mädchen, und nun färbte ein helles klares Roth das schöne Gesicht.

Frau Baumhagen sprach kein Wort mehr, sie fing bitterlich an zu weinen.

„Wann hast Du ihm gestattet, an mich zu schreiben?“ fragte sie nach einer langen Pause und trocknete sich die Augen.

„Gestern, Mama.“

In diesem Momente steckte Jenny den hübschen blonden Kopf durch die Thür.

„Jenny!“ rief die Mutter. Wieder stürzten ihr die Thränen aus den Augen, und der eigensinnige Zug um den Mund trat noch schärfer hervor.

„Um Gotteswillen, was ist denn geschehen?“ fragte die junge Frau.

„Jenny! Kind! Gertrud hat sich verlobt!“

Frau Jenny faßte sich sehr bald. „Mein Gott,“ sagte sie leichthin, „ist denn das ein Unglück?“

„Aber mit wem, mit wem!“ rief die Mutter.

„Nun?“ erkundigte sich Jenny.

„Mit diesem – dem – gestern – Linden heißt er, Franz Linden! Da steht es schwarz auf weiß – einem Menschen, den ich kaum dreimal gesehen habe!“

Die Augen der jungen Frau richteten sich groß und verwundert auf Trudchen, die noch immer hinter dem Sessel der Mutter stand.

„Aber, um Gotteswillen,“ sagte sie, „wie kommst Du zu dem, Gertrud?“

„Wie bist Du zu Arthur gekommen?“ fragte das Mädchen, sich hoch aufrichtend; „wie kommt man überhanpt zu einander? Ich weiß es nicht, ich weiß nur, daß ich ihn lieb habe und daß ich ihm mein Wort gegeben.“

„Wann denn, um des Himmels willen?“

„Gestern Abend, in Deinem rothen Zimmer, Jenny – wenn Du meinst, das wann thue etwas zur Sache.“

„Aber so ohne jede Vorbereitung, so plötzlich? Was hast Du für Garantien, daß er –“

„Mindestens ebenso viele Garantien,“ unterbrach Trudchen, blaß bis in die Lippen, die klagende Mutter, „als wenn ich vor Kurzem den Antrag des Lieutenants von Löwenberg angenommen hätte.“

„Ja ja, da hat sie Recht, Mama,“ erklärte Jenny.

„Nun natürlich!“ klang es zurück. „Ich soll gleich Ja und Amen sagen! Da muß ich erst mit Arthur sprechen und mit Tante Pauline und mit Onkel Heinrich; auf keinen Fall nehme ich die Verantwortung dieses Schrittes allein auf mich!“

„Mama, Du wirst nicht in der ganzen Verwandtschaft herumfragen,“ sagte das Mädchen mit bebender Stimme. „Du und ich, wir sind allein entscheidend und –“ sie schöpfte tief Athem, „ich würde schwerlich durch irgend welche Einwendung anderer Ansicht werden.“

„Aber Arthur könnte sich doch nach ihm erkundigen!“ fiel die junge Frau ein.

„Ich danke Dir, Jenny, aber spart Euch diese Mühe. Mein Herz spricht laut genug für ihn. Wäre ich nicht völlig mit mir im Reinen seit Wochen schon, ich stünde Euch nicht so gegenüber, wie in diesem Augenblick.“

„Du bist ein undankbares, ein liebloses Kind!“ weinte die Mutter, „Du denkst mich durch Deinen Starrkopf zu zwingen! Mit derselben Ruhe hat mich ja Papa auch immer zur Verzweiflung gebracht. Ich zittere am ganzen Körper, wenn ich diesen festgeschlossenen Mund und diese stillen Augen nur sehe; es ist fürchterlich!“

Trudchen stand noch eine Weile; dann, ohne ein Wort der Entgegnung, verließ sie die Stube.

„Es ist eine Spekulationsgeschichte,“ sagte Frau Jenny gelassen, „das ist unzweifelhaft.“

„Und sie hat es geglaubt, was er ihr vorgeredet,“ schluchzte die Mutter; „an allem ist diese unglückliche Taufe schuld, – so etwas imponirt ihr!“

Frau Jenny nickte.

„Da wird sie nun immer und ewig draußen auf Niendorf sitzen, denn abzubringen von ihren Ideen ist sie ja nicht.“

„Nein, Gott verzeihe mir! Sie hat den Baumhagen’schen Trotzkopf in vollstem Maße; ich weiß, was ich darunter gelitten!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 371. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_371.jpg&oldid=- (Version vom 19.1.2021)