Seite:Die Gartenlaube (1885) 276.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Jetzt glitt doch auch ein schwach lächelnder Zug um ihren Mund. Trotzdem sagte sie abweisend: „Nein, es muß dabei bleiben! Was würde auch die Großmama sagen, wenn ich in meine ‚Kinderunart‘ zurückfiele?“

„Das wäre doch am Ende lediglich Deine und meine Sache.“

„O nein, so unbedingt ganz gewiß nicht! Die Großmama wird ihre Obervormundschaft über uns Alle, so lange sie lebt, nicht aus den Händen geben, das weiß ich!“ antwortete sie bitter. „Und Du kannst von Glück sagen, daß sie Deinen Besuch im Packhause nicht bemerkt hat; sie würde sehr böse sein.“

Er lachte. „Und was würde die Strafe für den alten Knaben sein? In der Ecke knieen, oder kein Abendbrot bekommen? Nein, Margarete,“ setzte er ernst hinzu, „so sehr ich auch bestrebt bin, Aergerniß und Verdruß von meiner Mutter fern zu halten und ihr das Leben nach Kräften leicht und angenehm zu machen, so wenig darf ich ihr aber auch entscheidenden Einfluß auf meine Handlungen gestatten. Und deßhalb wirst Du mich noch öfter aus dem Packhaus kommen sehen.“

Sie sah hellen Blickes zu ihm auf. „Hätte sich vorhin ein Zweifel in meine Seele geschlichen, vor Deinem ruhigen Urtheil wäre er geschwunden! Der alte Maler, den ich von meiner Kindheit an lieb gehabt habe, kann nicht unser Feind sein!“

„Wer sagt das?“

„Die Großmama. Ist es wahr, daß er Nachforderungen an uns Geschwister stellt?“

„Ja, Margarete, es ist wahr,“ bestätigte er sehr ernst. „Er hat viel von Euch zu fordern. Würdest Du das ohne Protest über Dich ergehen lassen?“

„Wie könnte ich anders, wenn die Forderung eine gerechte wäre?“ versetzte sie ohne Zögern; aber die Röthe eines plötzlichen Befremdens schlug über ihr Gesicht.

„Auch wenn diese Forderung Dein Erbtheil bedeutend schmälerte?“

Sie lächelte flüchtig. „Es ist bisher immer von Seiten Anderer für mich gesorgt und gezahlt worden; ich kann deßhalb den eigentlichen Werth des Geldbesitzes nicht beurtheilen; darin aber bin ich meiner selbst gewiß, daß ich tausendmal lieber mein Brot mit Nähen verdienen, als auch nur einen Groschen haben möchte, der mir nicht zukäme … Ich weiß ja auch, daß Du nichts Unbilliges unterstützen würdest, und deßhalb bin ich zu jedem Opfer bereit!“

„Kleine Tapfere, die den Fuß sofort im Bügel hat, wenn es gilt, eine brave That auszuführen!“

Ihr Gesicht verfinsterte sich.

„Ein schlechtgewähltes Bild für mich, die ich nicht reiten kann,“ warf sie herb und achselzuckend hin. „Die vornehme Welt spielt in alle Deine Gedanken hinein, Onkel!“

Er verbiß ein Lächeln. „Was willst Du? Dem Bann der Sphäre, in der man viel lebt, entzieht sich so leicht Keiner. Wärst Du die Freiheitsdurstige, die glühende Verfechterin eines stolzen, starken Bürgerthums geworden, wenn Du nicht im Hause des Onkels Theobald gelebt hättest? Ich glaube schwerlich.“

„Du irrst! Das ist nicht angeflogen, nicht eingeimpft, das ist mit mir geboren. Es wäre Eigenthum meines Blutes, meiner Seele gewesen, auch ohne den erweckenden äußeren Einfluß, ohngefähr so wie man sagt –“ ein Zug ihres ehemaligen Muthwillens umspielte ihren Mund – „daß Raphael ein großer Maler gewesen wäre, auch wenn er ohne Hände das Licht der Welt erblickt hätte.“ Sie wurde aber sofort wieder ernst und kam auf Herbert’s Mittheilung zurück. „Auf welches Recht stützt der alte Lenz seine Ansprüche?“ fragte sie unumwunden. „Inwiefern ist er unser Gläubiger?“

„Du wirst kurze Zeit Geduld haben müssen,“ antwortete er zögernd, und seine Augen streiften prüfend ihr Gesicht, als schwanke er, ob er jetzt schon sprechen solle oder nicht.

„Ach, das ist wohl eigentlich Sache meines Vormundes?“ fragte sie scheinbar gleichgültig, aber ihre Wangen färbten sich, und die Stimme klang geschärft.

„Noch hast Du keinen Vormund,“ entgegnete er leise lächelnd.

„Allerdings vorderhand nicht – Du hast es ja nicht werden wollen.“

„Ah, ist Dir das auch schon hinterbracht worden? – Nun ja, ich habe es entschieden abgelehnt, weil mir alles Zwecklose in der Seele zuwider ist.“

„Zwecklos? – Ach so, dann hat ja die Großmama Recht, wenn sie sagt, Du bedanktest Dich für diesen Posten, weil mit meinem bodenlosen Eigenwillen doch nichts auszurichten sei.“

„Nun, stichhaltig wäre diese Begründung in der That – böse genug bist Du ja!“ Er sah sie schalkhaft von der Seite an. „Indeß, ich würde mich nicht fürchten; ich würde mit diesem ‚bodenlosen Eigenwillen‘ schon fertig werden. Aber ich habe einen anderen Grund, und den sollst Du in der allernächsten Zeit erfahren.“

Sie wurden unterbrochen; ein Tapezierer trat herein. Der Landrath wollte neue Fußteppiche für seinen Vater legen lassen. Nun kam der Mann, um den Fußboden der Zimmer auszumessen, und während Herbert mit ihm verhandelte, schlüpfte Margarete hinaus.

„Ja, Recht hast Du, Jette, ’s ist ein wahres Elend!“ sagte Bärbe seufzend zu dem Hausmädchen in dem Augenblick, als Margarete drunten an der offenen Küchenthür vorüber nach der Hofstube ging. Die alte Köchin rollte Teig auf dem Nudelbrett aus. „Ja, Sünd’ und Schande ist’s, daß der Mensch hier im Hause nicht einen Finger rühren darf, um den armen Leuten drüben beizuspringen!“ ereiferte sie sich. „Was wär’s denn nun weiter, wenn ich einen Topf voll Nudelsuppe ’nübertrüge für den alten Mann und das Kind? Aber – daß Gott erbarm! – das wollt’ ich nicht probieren! Der in der Schreibstube thät’ Einem ja den Kopf abreißen!“ Sie streute zornig eine Hand voll Mehl über die breite Teigfläche. „Ja, und es muß schlecht stehen um die alte Frau, die Aufwärterin hat in aller Frühe wieder Eis vom Brunnen geholt, und den Doktor hab’ ich heute schon zweimal kommen sehen – paß auf, Jette, die Frau stirbt! Sie stirbt! Meine Kochtöpfe haben nicht für die liebe, lange Weile den ganzen Vormittag im Ofen gesungen, das bedeutet allemal Tod im Hause, allemal!“


24.

Am anderen Tage herrschte viel Rumor in der Beletage. Tapezierer, Tüncher und Ofenputzer kamen und gingen, und Margarete war von früh an viel in Anspruch genommen. Und das war gut; es blieb ihr nicht viel Zeit zum Nachgrübeln, das ihr ohnehin die Nachtruhe geraubt – sie hatte fast die ganze Nacht mit offenen Augen gelegen, und heftige Stürme waren ihr durch Kopf und Herz gegangen.

In dem rothen Salon sollten die Bilder an ihren alten Platz gehängt werden … Zum erstenmal wieder, seitdem die Todtenkerzen im Flursaal gebrannt hatten, schloß Tante Sophie den Gang hinter Frau Dorotheens Sterbezimmer auf, und Margarete folgte ihr mit Wischtuch und Federstäuber; sie wollte das Reinigen der Bilder selbst besorgen.

Ein Grauen überlief sie beim Betreten des düsteren Ganges – er war ihr unheimlich, ja, fürchterlich geworden. Das geheimnißvolle Gebahren ihres Vaters an jenem Nachmittage, da er sich in das Zimmer der schönen Dore eingeschlossen, seine räthselhaften Andeutungen in der Sturmnacht – von welcher er gesagt, daß auch sie, nicht die Sonne allein, Verborgenes an den Tag bringe – und der grauenhafte Weg, der sie selbst über diese alten, ächzenden Dielen und den Bodenraum des Packhauses hinweg an die Leiche des so jäh Hingerafften geführt hatte, dies Alles beklemmte und erschütterte sie von Neuem.

Sie trat so scheu und zaghaft auf, als müsse das Geräusch ihrer Schritte die an den Wänden hingereihten Gestalten erwecken und beleben, und alle Geheimnisse des alten Hauses, die sie ins Grab mitgenommen, würden plötzlich mit ihnen laut werden.

Noch lehnte das Bild der schönen Dore abgewendet in der Schrankecke, wie der Verstorbene es damals hingeschleudert, der Sturm hatte nicht daran gerührt … Doppelt erschütternd und herzbezwingend trat ihr beim Umwenden das schöne Weib aus dem Rahmen entgegen, nachdem sie von so manchem ausdruckslosen, alltäglichen Frauengesicht den Staub weggewischt hatte. Sie kniete vor dem Bilde noch einige Augenblicke und sann, was wohl diese mächtigen Augen, der lieblich lächelnde, rothe Mund verschuldet haben mochten, um noch nach hundert Jahren eine solche Erbitterung hervorzurufen, wie sie der Verstorbene in jenem unheimlichen Moment an den Tag gelegt hatte …

Drunten aber sagte Friedrich, der Hausknecht, der aus dem rothen Salon gekommen war und einen scheuen Blick in den offenen Gang geworfen hatte: „Unser Fräulein kniet jetzt gar vor

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 276. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_276.jpg&oldid=- (Version vom 23.3.2024)