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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

selber kaum, wie es gekommen, daß er mit einem Male ihre Hand hielt. Beinahe hätte er dieselbe losgelassen, als Rosine jetzt in einem leichten, dreisten Tone sagte: „Ihr hattet es wohl eilig, daß Ihr nicht draußen warten konntet!“ – aber jene runde feste Hand schmiegte sich so warm in die seine; er hielt sie noch immer, als er sich jetzt langsam umwendete, um zu sehen, zu wem Rosine gesprochen habe.

Da stand er aber auch schon aufrecht, und die Hand der Jungfer Külwetter wurde so plötzlich fallen gelassen, als wäre sie ein Stück glühendes Eisen geworden. Er sah nichts, in dem ganzen weiten Gemache nichts, als zwei Augen, ein Paar graue tiefe Augen, die sich jetzt ohne Vorwurf, in schmerzlicher Ergebung vielmehr, Sekunden lang auf sein Antlitz richteten. Und seltsam, dieses traurige Entsagen in dem Blicke Hildens – denn Hilde war es, die dort an der Thür stand – fachte in dem jungen Menschen etwas wie eine plötzliche Wuth an. Hildens Augen sagten ihm so deutlich, wie es Worte nur gekonnt hätten: fürchte nichts, ich will dich deiner Braut nicht streitig machen – und nun loderte ein wilder Grimm in ihm auf, gegen sie, gegen sich selber, vor allem aber gegen Rosinen! Er hätte des Mädchens verlockende Gestalt zermalmen können, für dies abgekartete Spiel, wie er es plötzlich zu durchschauen meinte. Da sprach Hilde, und sofort wirkte der Zauber ihrer Stimme auf ihn, sodaß er wenigstens äußerlich ruhig blieb, anscheinend ein gleichgültiger Zuschauer der Weiberverhandlungen, die sich nun anspinnen sollten.

„Ihr habt mich rufen lassen und unsere Wirkereien zu sehen begehrt,“ sagte Hilde. „Ich habe Euch die schönsten Muster ausgesucht und hoffe, Ihr werdet etwas finden, was Euch gefällt … Erlaubt Ihr, daß ich sie hier aus einander lege?“

Hilde hatte ein kleines Bündel getragen und trat nun an den Tisch, die hohe Gestalt mit ihrem ruhigen Anstande, dessen Wirkung durch eine beinahe nonnenhaft einfache, sie aber wohl kleidende Tracht erhöht wurde. Rosine kniff die Lippen zusammen. Jene hatte ihre unartige Frage von vorhin, warum sie nicht in der Küche gewartet, gar nicht beachtet, vielleicht nicht einmal gehört, gewiß weil sie ganz hingenommen von der Anwesenheit des Bürgermeistersohnes gewesen war! Rosinens Fassung begann sie zu verlassen; ihre Augen, die sich auf die Fremde richteten in dreistem Anstarren, wurden grünlich – sie sah Hilden zum ersten Male in der Nähe und in dem Maße, als sie sich zugeben mußte, daß das Mädchen, ohne jeden Anspruch auf das landläufige Weiß und Roth achtzehnjähriger Jugend, etwas Besonderes, Ergreifendes in ihrer Erscheinung habe, kochten Gift und Galle höher in ihr. Kaum daß sie sich noch Mühe gab, ihre feindselige Absicht gegen den ahnungslosem Ankömmling zu verbergen.

„Ja, kramt immerhin aus – ich habe mich zwar derweil anders besonnen und werde Euch wohl nichts zu verdienen geben, aber man kann sich ja die Raritäten einmal ansehen!“ sagte sie wegwerfend.

Hilde blickte erstaunt auf; noch wußte sie diesen Ton nicht zu deuten. Auch zu Georg schweifte ihr Auge fragend hinüber, erhielt aber keinen Aufschluß. Georg hatte die Arme übereinandergeschlagen und lehnte gegen ein hohes Spind, dem Tisch gegenüber. Es zuckte um seinen bitter geschlossenen Mund bei den letzten Worten Rosinens, aber er öffnete die Lippen nicht. Still und stetig folgten seine Augen den Händen Hildens und jeder ihrer Bewegungen, als sie jetzt mit einer Geschäftigkeit, die bei dieser stillen Seele etwas Rührendes hatte, die Streifen gestickter Leinenborden, das Werk ihrer fleißigen Hände, sorgfältig neben einander auf dem Tische ausbreitete. Auf dem dunkeln Grunde seiner gebräunten glatten Eichenholzfläche kamen die durchbrochenen Muster sehr wohl zur Geltung, und Hilde, indem sie hier noch einen Streifen glätter ausbreitete, dort einen mehr ins Licht rückte, schien selbst jetzt ihre Freude daran zu haben. Auch waren wirklich manche der Stickereien schon in ihrem Entwurf wahre Kunstwerke.

„Diese breite Borde,“ sagte Hilde nun, „sticken wir um die besten Tafeltücher. Jene schmälere wird für Handtücher genommen; sie ist sehr haltbar in der Wäsche und Ihr werdet sicherlich zufrieden damit sein, wenn Ihr sie bestellt. Dies und das sind Borden, die wir meist für sich, nicht in das Stück hinein arbeiten, weil das Muster ein gar feines und schwieriges ist. Man benutzt sie dann als Einsätze für die feinsten Kissenbezüge, die mehr zur Zierde als zum Gebrauche dienen.“

Ihr ehrliches Auge suchte jetzt Rosinens Gesicht, wie um an ihr weibliches, doch sicher vorhandenes Verständniß für die schönen Arbeiten sich zu wenden. Aber Rosinens Blick, von Leidenschaft verdunkelt, sah kaum, was vor ihr war. Wieder drängte sich ein schnödes Wort auf ihre Lippen, doch nahm sie sich noch einmal zusammen. Georg machte ein so wunderliches Gesicht, daß auf Augenblicke dem Haß und Aerger in ihr sich eine unbestimmte Furcht vor dem, was sie heraufbeschwor, gesellte. Und doch konnte sie nicht innehalten. Sie wendete sich sogar zu ihm und sagte in einem Tone, der leicht und lustig sein sollte, aber schneidend heraus kam: „Das wäre nichts für uns; wie, Georg? die Betten mit Firlefanz aufzuputzen, das mag wo anders als in ehrbaren Bürgerhäusern Brauch sein.“

Georg begnügte sich damit, die Achseln zu zucken. „Immer noch so schweigsam! Wahrhaftig man muß Geduld mit Euch haben, Georg,“ fuhr das Mädchen fort. „Und ich hatte gehofft, Ihr solltet mir beim Kaufe hier guten Rath geben. Gerne schaffen die Mutter und ich an, was Euch gefällt –“ ein lauernder Blick Rosinens streifte ihn bei der dreisten Anspielung, und sie sah seine Stirn sich röthen, doch ungewarnt fügte sie hinzu: „Nun, vielleicht seid Ihr ein anderes Mal besserer Laune, und die Jungfer mag wieder kommen …“

„Ich muß Euch bitten, mich aus dem Spiele zu lassen,“ fiel hier Georg ein. „Kauft oder kauft nicht – folgt ganz Eurem Gusto, Jungfer Bäschen! ich hätte diese Gelegenheit, denselben kennen zu lernen, nicht missen mögen.“

Mißtrauisch sah ihn Rosine an. Da war es ja – was bedeuteten die abweisenden Worte anders, als daß er gemeinsame Sache mit der Dirne machte! Ihre Augen funkelten grünlich und es bebte unheimlich in der Stimme, mit der sie jetzt, zu Hilden gewendet, sagte: „Nun, wenn ich auch nichts gebrauchen kann – den Weg werd’ ich Euch ja wohl bezahlen müssen, man kann nicht verlangen, daß Eures Gleichen etwas umsonst thue. Was kostet die Elle von dem Krame hier?“

„Verzeiht“, sagte Hilde, sich zusammennehmend. „Diese Borden werden nicht nach der Elle vermessen; wir sticken sie in das fertig gewebte Stück ein, Handtuch oder Tafeltuch, je nachdem, und der Preis richtet sich nach dem Muster. Nur diese könnt Ihr, wie ich schon sagte, einzeln kaufen … es ist die feinste, mühsamste Stickerei von allen, und der Besatz um einen Kissenüberzug würde Euch wohl auf einen Gulden und mehr kommen. Es arbeitet Eines Wochen lang daran,“ fügte sie, wie zur Entschuldigung des Preises, hinzu.

„Haha“ – es war ein wildes Auflachen Rosinens. „Man müßte ja von Sinnen sein, wenn man so viel für den Plunder bezahlen wollte! Bei Gott, Ihr versteht zu fordern – aber was thut es denn, wenn man Abnehmer findet!“ Und fast schreiend stieß sie hervor: „Lässest Du Dir alle Deine Künste so gut bezahlen, freche Buhldirne Du?“

Ein dumpfer Ausruf tönte durch das Gemach, aber nicht Hilde hatte ihn ausgcstoßen, denn sie stand einen Augenblick wie versteinert. Und dann hätte man den Blick wegwenden mögen, um die bittere, qualvolle Scham der jungfräulichen Seele, ihr Zucken unter dem Stich der frechen Zunge nicht zu belauschen, nicht noch schmerzlicher zu machen.

„Unverdient gebt Ihr mir den schnöden Namen!“ stieß sie endlich mit bebenden Lauten hervor. „Gott richte zwischen mir und Euch – nur Gutes, ja mein Allerbestes hatte ich Euch gegönnt bis heute … aber ich kannte Euch nicht – Ihr seid böse von Grund aus!“

Und nun wendete sie sich von der Jungfer Külwetter ab und ihre Augen trafen auf Georg. Der stand da, jeder Nerv gespannt, in athemloser Erregung wie Einer, der im nächsten Augenblick in einem erbitterten Kampfe seinen Antheil nehmen wird; während aber tiefe Verachtung der einen der Gegnerinnen um seinen Mund zuckte, hingen die Augen leuchtend am Antlitze der andern, an Hildens Antlitz, in einer Art von Begeisterung.

Die arme Hilde aber sah davon nichts vor Thränen, die ihr plötzlich den Blick verdunkelten. „Und Schande über Euch, Georg Tiedemars!“ rief sie, nun erst leidenschaftlich, „der Ihr ruhig dabei steht und laßt mir so bittre Schmach anthun! Ihr – Ihr, der von allen Menschen am besten weiß, daß ich sie nicht verdiene. Aber paart Euch, paart Euch nur, Feigheit und Lüge! es ist wahrlich eines des andern werth!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_267.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)