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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Schätze aus den Archiven der Staaten, deren Leben er erforschte, zusammenzutragen. Jetzt aber, in einem Alter, wo er das Ziel, welches der Psalmist setzt, längst überschritten hat, lebt er ganz daheim unter seinen Büchern, in der Wohnung, die seit Jahrzehnten seine Arbeitsstätte war, in immer gleich geregelter und unermüdlicher Thätigkeit, zurückgezogen von dem Getriebe der Welt, dem er doch mit freier und lebendiger Aufmerksamkeit folgt – und unter dem Blicke des Greises entrollen sich noch einmal die allgemeinen Geschicke: aus den echtesten Quellen schöpfend, durchschreitet er mit jugendlicher Kraft, ja mit stürmischem Eifer den Kreis der Nationen, in deren „lebendiger Gesammtheit“ die Geschichte der Menschheit erscheint.

Alle Welt spricht davon, daß Leopold Ranke die moderne historische Methode ausgebildet oder doch wenigstens auf die mittlere und neuere Geschichte übertragen habe; drei Generationen deutscher Forscher nennen ihn darin ihren Meister. Er selbst aber ist nicht in dieser historischen Methode groß geworden: Historiker von Fach ward er erst mit dem Buch, in dem er die Bahnen seiner Lebensarbeit und die nicht zu vertilgenden Grundlinien der deutschen Geschichtswissenschaft gezogen hat. Weltgeschichtlich allerdings waren die Ereignisse, welche die Jahre seiner Ausbildung begleiteten. Geboren in der Zeit, wo das vulkanische Feuer, welches den morschen Staatsbau des alten Frankreichs verzehrt hatte, in furchtbaren Ausbrüchen über die Grenzen hinwegschritt (zu Wiehe im Unstrutthal am 21. December 1795), erlebte er elf Jahre später, wie die revolutionäre Lava seine thüringische Heimath erreichte: die Donner der Schlacht von Jena dröhnten aus der Ferne dumpf an das Ohr des Knaben; er sah die Fliehenden, die Verwundeten, wie sie in dem Hause der Eltern kurze Rast und Erquickung fanden, und wie dann die übermüthigen Sieger raubend den friedlichen Ort durchzogen.

Leopold von Ranke.
Nach einer im Besitz des Jubilars befindlichen Photographie.

Als der Vater ihn auf die Schule nach Pforta brachte, stand Napoleon auf dem Gipfel seiner Macht; und eben war die Uebermacht des Gewaltigen auf den Feldern von Leipzig zerbrochen worden, als der Jüngling in derselben Stadt wieder von dem Vater bei seinen Universitätslehrern eingeführt wurde. Hier studirte er, während auf den Schlachtfeldern jenseit des Rheins wie durch die Verhandlungen von Wien und Paris die Karte Europas umgestaltet wurde, und mußte zusehen, wie sein Heimathland von Sachsen losgerissen und Preußen zuertheilt ward; und er hatte kaum seine Studien beendigt, als die vaterländische Romantik der deutschen Bursche sich in dem Enthusiasmus des Wartburgfestes Luft machte.

Doch dürfte man nicht glauben, daß Ranke durch die elementaren Kräfte, welche in dieser Epoche zum Durchbruch kamen und von denen jene Feier ein weithin wirkender Nachhall war, unmittelbar gepackt und beeinflußt wäre. Friedlichere Geister haben sein Leben gestaltet. In den patriarchalisch engen Verhältnissen eines kursächsischen Landstädtchens wuchs er auf. Einige Edelleute, die Officiere einer Husarenschwadron, die Pfarrer und wenige Beamte, dazu etwa noch Rektor und Apotheker, das waren die Honoratioren des Ortes. Zu ihnen gehörte Gottlob Israel Ranke, der als Anwalt und Gerichtsdirektor dreier adliger Familien wirkte. Noch steht das Wohnhaus, nahe der Stadtmauer, dort wo die Rankengasse sich zum Riesbach hinabsenkt, an dessen umbuschten Ufern in den Frühlingsnächten ein Heer von Nachtigallen schlägt. Ein stattliches Anwesen, mit Hof und Garten, Stall und Scheuer; denn zu ihm gehörte ein Landgütchen, das noch heute im Besitz des Gefeierten ist, der „Berg“, welches der Vater durch seinen Knecht, den treuen Dietsch, bewirthschaften ließ. Der Geist der Arbeit und Pflichttreue, des Frohsinns, der Wahrhaftigkeit waltete in dem Hause. Der Ernst des Vaters, die Milde der Mutter begegneten sich in der gleichen Liebe zu den aufblühenden Kindern.

Ein sonniger Glanz des Glückes, selten vom Kummer getrübt, lag über diesen Jahren im Elternhause gebreitet. Lebendige Religiosität, in den alten strengen Formen erhalten und genährt, durchdrang das Ganze. Mit ungemeiner Sorgfalt widmete sich der Vater der Erziehung seiner Knaben; staunend bemerkte er die Begabung und Schwungkraft des Erstgeborenen, den selbständigen Sinn, mit dem dieser das Heilsame und Rechte erkannte. Früh gab er ihn aus dem Hause. Zunächst nach Kloster-Donndorf, das nur eine Stunde weit auf einer Höhe vor dem Walde liegt. Oft noch sah Leopold hier die Seinen. Wenn er dann dem Bruder Heinrich auf dem Heimwege das Geleite gab, erzählte er

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Leipzig: Ernst Keil, 1885, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_228.jpg&oldid=- (Version vom 27.2.2023)