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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Bette und hinausweisen aus dem Hause, auf daß sie nimmer wiederkehre.

Und sie sang weiter, so ruhig und so leise, so süß und so traurig; von des Jägers Liebchen sang sie, das im Wald begraben liegt, vom Ritter Ewald und seiner Lina, die vor viel großem Gram gestorben, da er hinweg zog. Mitunter aber klang ein heller Ton hindurch, gleich wie Sonnengold durch dunkle Tannen bricht, doch immer ward es wieder traurig und trüb. Ich kannt sie alle, die Liedlein; man sang sie hierorts allenthalben, doch trieben sie mir heut brennend heiß die Thränen in die Augen.

So lag er wochenlang, der Conradus; unterweilen bei Besinnung, meistens in dumpfem Sinniren; Hedwige aber weilete an seinem Bette, beruhigend mit dem bloßen Klang ihrer Stimme, geduldig und unermüdlich, schier regungslos mitunter. Und draußen zog mählich der Herbst über die Wälder, und droben auf dem Schlosse war viel buntes Leben eingekehret; Hundeblaff und Jagdruf scholl bis in unser stilles Haus; Prinzeß Liselotte aber wiegte sich holdseliger denn jemalen auf ihrem hellbraun Pferdlein, wenn sie zu Walde zog, und die fremden Cavaliere ritten ihr zur Seiten in rothem Jagdhabit.

Ob sie unser still Häuslein mit ihren blauen Augen angesehen, mit den Augen, die so lebenslustig unter dem federgeschmückten Hütlein hervorblickten, ob sie ahnete, er sei krank und siech – ich weiß es nicht; denn ich wendete mich ab vom Fenster, so sie vorbeizogen, und ging zu Conradus in das stille Stüblein, allwo nimmer ein Ton von außen hineinklang. Dem Vater aber mußt ich jetzt viel Gesellschaft leisten: denn er verfassete ein Hochzeitscarmen für Serenissimum, und da ihm schwer ward zu schreiben, so saß ich manch Stündlein an seinem Krankenstuhl, und er dictirete mir die Worte.

Das waren harte Stunden; blieb doch mein Herze oben bei unserem Kranken, und zuweilen, wenn der Vater eifrig die Verssilben zählete, legte ich die Feder hin und sprang jählings vom Tische empor. Dann schalt der Vater:

,Was sorgst Du Dich doch? Ist nicht Hedwige bei ihm, und gehen nicht die Base und die Mutter ab und zu, ihm das Trünklein zu reichen?‘

Und ich senkte den Kopf, und bitterheiße Scham stieg in mir auf, und dennoch vermocht’ ich mich einer brennenden Angst nicht zu erwehren.

Allgemach aber ward es besser mit Conradus, und die Mutter richtete ihm ein ander Gemach her, so größer war und paßlicher, und der Knecht trug ihn hinüber; denn gehen konnt er nicht ob großer Schwäche. Von Helmstädt war auch ein Kistlein angekommen mit vielen Büchern, die mußt ich auspacken und sie alle auf das Tischlein am Bette legen, und da flog das erste Lächeln wieder um seine Lippen, als er solche erblickte.

Hedwige und ich aber konnten nimmer vertraut werden; sie war gar scheu und von lässigem Wesen, hatte weder Lust zum Spinnen, noch zur Wirthschaft in Küche und Keller, und unterweilen, wenn an warmen Herbstestagen die Sonne goldig auf dem gelb- und purpurrothen Laube der Wälder ruhete, war sie stundenlang verschwunden, kam erst gen Abend heim, und in den dunklen Haaren hing verrätherisch ein gelb Blättlein oder etwas Moos; dann hatt’ sie im Walde gelegen und geträumet.

Wann wir aber an langen regnerischen Octoberabenden in des Conradus Stübchen saßen, die Lampe allda noch nicht brannte und nur das Buchenholz im Ofen einen flackernden Schein in das Gemach warf, dann konnte sie gar wunders viel erzählen von alten, längst verklungenen Geschichten; aus der Zeit des großen Krieges, wie Tilly dazumal durch den Harz gezogen, wie er oben in den Bergen gehauset und wie sich der Förster in Harzgerade sonderbarlich gerettet, indem er mit verhexter Büchse blindlings aus dem Fenster schoß, und daß er dann jedesmal ’nen Feind niedergestrecket. Es seien aber auch Freikugeln gewesen, so niemalen fehlen, und da müsse man beim Kugelgießen fein in der Stille ein Spänlein nehmen von einer Eiche, in die der Blitz geschlagen, und es hinzuthuen zu dem feurigen Brei; um Mitternacht müßten die Kugeln gegossen sein in einer der zwölf Nächte zwischen Christnacht und dem Drei-Königstag.

Sie sagte das Alles so lebendig; sie vermocht die Stimme schier so plötzlich zu ändern, daß man gar meinete, den Schrei eines geängsteten Weibes zu hören, das Röcheln Eines, so die Freikugel getroffen, oder das trostlose Weinen des Mägdeleins, von dem der Liebste Abschied nimmt, um in den Kampf zu ziehen. Dazwischen wob sie unterweilen ein Liedlein ein, traurig, wie sie es liebte, und wie’s nicht anders passen mocht für den jungen Mund unter den scheuen Augen, und dazu bewegte sie gar anmuthig die Hände beim Erzählen. Conradus aber hörte nicht minder andächtig zu wie ich, und als einmal Walther, der kommen war, nach des Bruders Ergehen zu forschen, laut lachte über Freikugeln und dergleichen Fabeleien, da fuhr er heftig auf:

‚So laß sie doch erzählen, Walther, und freue Dich, so Du keine Freikugeln brauchest und ohne solche treffen magst!‘

Vater und Mutter waren wenig erbauet von der neuen Hausgenossin, und der Vater klagete, sie habe den Kopf voll von Romanticis und Allotriis, und nimmer werde eine ehrsame Hausfrau aus ihr werden. Aber es kümmerte sie nicht viel, so man sie tadelte; sie stund geduldig da, mit gesenkter Stirn, darum die krausen, braunen Haare in leichten Wellen schatteten, und hörte die längste Strafrede gleichgültig an.

Zu Ende Octobers war es, da Conradus zum ersten Male wieder durch das Gemach schritt.

‚Ei, was bauet man dorten?‘ fragte er, am Fenster stehen bleibend, und wies auf ein Gemäuer, das, fremdartig anzuschauen, genüber in die Höhe stieg, allwo der Kegel des Schloßberges sich zu höhen beginnet.

‚Was gebet Ihr mir, Conrade, so ich es Euch verrathe?‘ fragte Hedwige scherzhaft.

Er wendete sich lächelnd um.

‚Was begehret Ihr denn, Hedwige?‘ neckte er.

‚Möcht wissen, was es für ein Büchlein ist, drinnen Ihr gar so eifrig leset. Merke, es ist kein geistlich gelahrtes Werk: denn dazu harmoniren die Bilder nimmer, so darinnen.‘ Und sie wies auf ein Buch, das er aufgeschlagen in den Händen hielt.

Er erröthete jach.

‚Also Zug um Zug,‘ scherzte er, ‚was bauet man drüben?‘

‚Was lieset man hier?‘ lachte sie.

Und so ward ein kurzweilig Spielen zwischen ihnen, da keines zuerst sein Geheimniß kund thun wollt. Dann gab er nach.

‚Eines griechischen Dichters Comoediae,‘ sagte er. Da begann sie zu lachen, daß es silbern von den Wänden zurückscholl und die Base im Vorbeigehen die Thür öffnete, zu sehen, was da vorging.

‚Schauet, Conrade, wie es sich wundersam trifft!‘ fuhr Hedwige fort. ‚Dort bauen sie ein Haus, darinnen des griechischen Dichters Comoediae aufgeführet werden sollen.‘

Conradus lachte nicht mit; er wendete sich wieder zum Fenster und schauete auf das Getriebe der Bauleute, wie sie eben einen Marmorblock von dem Wagen schaffeten, der ihn von Rübeland geholet.

Es war still geworden im Gemach; auch Hedwige schwieg.

‚Wer verrieth Euch Solches, Hedwige?‘ forschte Conradus endlich.

‚Die Silberschließerin des Fürsten,‘ erwiderte sie, und ihr Zünglein ging wie ein Mühlrad. ‚Kann Euch das ganze Märlein herbeten, wie sie es mir erzählet, da ich auf ein Stündlein bei ihr weilte gestern Abend. Sehet, unseres Fürsten künftig Gemahl kommt aus Frankreich von einem lustigen Hofe. Dorten spielet man gar oft Comoediam, und die junge Prinzessin soll keine Kurzweil höher stellen als dieses. Nun bauet der Fürst ihr zur Verehrung jenes Haus, soll auch schon eine Bande Comoedianten geworben haben, so darinnen agiren werden für vieles Geld. Die Alte sagte, er habe seine Kammerjunker sogar nach Dresden gesendet, dieweil alldort die feinsten acteurs ausgebildet würden: einen Baumeister habe er auch daher verschrieben. Wisset, der Churfürst von Sachsen hat vor etlichen Jahren ein Comoedien-Haus errichtet, und nach solchem Muster bauet man nunmehro dieses: habt Acht, es wird prächtiglich werden!‘

‚Habet Ihr noch kein Comoedien-Spiel gesehen?‘ fragte Conradus nach einer Weile, ‚auch Du nicht, Christel? Wisset auch nicht, wie man spricht und redet in solchem? – Gefällt es Euch, so kommt herauf heut Abend, ich will Euch vorlesen.‘

‚Wird es dem Vater recht sein?‘ gegenredete ich.

Er sah mich an; es war, als ob Etwas wie Zorn in seinen Augen blitzete.

‚Wenn Dir bange ist, Christel, nun so laß es,‘ sagte er dann ruhig, und kehrete mir den Rücken.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 826. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_826.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2023)