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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


No. 50.   1882.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.



Im Banne der Musen.

Novelle von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)

„Am andern Tage war es, als sei niemalen so Sonderbares geschehen. Conradus küßte demüthig den Eltern die Hand, da er zum Morgenimbiß kam; er war ruhig, obgleich er blaß aussah, und bläuliche Ringel lagen um seine Augen. Still ging der Tag herum, so der letzte war in dieser Vacanz, und früh am andern Morgen mit dem ersten Hahnenschrei wanderten die Brüder noch einmal selbander zur Schulen nach Halberstadt – das letzte Mal; denn zu kommendem October wollte Conradus die Hochschule zu Helmstädt beziehen, Walther aber sollte als Lehrling in unseres durchlauchtigsten Herrn Oberförsterei hieselbsten eintreten. Und so schieden sie, Walther voller Lachen, Conradus ernst und schweigend wie immer.

Weiß nicht wie es kam, daß meines ältesten Bruders Bild mir seit obgemeldeter Nacht nicht mehr aus der Seele wich; immer stand sein blaß Gesicht vor meinen Augen, und wie er so bitterlich geweinet. Zuweilen drängte es mich, die Mutter zu fragen, was für ein Herzeleid ihn damals gedrücket, aber ich schwieg aus Scheu, denn für naseweis Fragen hat sie nimmer gut Bescheid gehabt, und was ich wissen sollt‘, erzählte sie mir wohl freiwillig.

Und so vergingen zwo Jahre, ohne daß Sonderliches passirte. Unterweilen kam Conradus anmarschiret, und immer dünkte er mich blasser und stiller denn sonsten und dennoch mannhafter und stattlicher jedesmal. Ich konnt‘ mich nimmer satt an ihm sehen, und wenn er vor dem Vater stund und ihm berichtete von den neuesten Streitfragen, so die hochgelehrten Herren zu Helmstädt mit einander disputireten, mit leiser Stimme redend, kalt und schier gleichgültig, dann erbarmte er mich, und ich wußte dennoch nicht, warum? Dem Vater aber gefiel sein still Wesen und sein ruhig Gebahren.

‚Es wird ihm würdig anstehen, so er also auf die Kanzel tritt,‘ hörete ich ihn sagen zu meiner Mutter. Base Wieschen aber bemerkte, als der Vater gegangen:

,Dem läßt’s wie Eis,
Wo es kocht siedeheiß.‘

Am fünften Mai folgenden Jahres – den Tag zuvor hatten siebenzehn Kerzlein auf meinem Geburtstagsweck gebrennet – geschah das Unglück, daß meinen Vater ein böser Zufall traf, der ihm für kurze Zeit die Sprache raubte und seine linke Seite also lähmete, daß er nicht mehr gehen konnt noch die Arme bewegen. Es war groß Trauern in unserem Hause; Walther kam nicht herbei, und wir saßen an der Bettstatt und weineten: denn wir dachten nicht anders, als er müsse von hinnen, der gute Vater. Base Wieschen aber hatte ihre Fläschlein und Büchslein mit kräftigen Kräuteressenzen und flüchtigem Salzgeist gar hurtig bei der Hand, und als der fürstliche Herr Leibmedicus in das Krankengemach trat, hatte der Vater die Augen allbereits wieder aufgeschlagen, und sie suchten meine Mutter und dann das Bild des Gekreuzigten, so ihm zur Seiten hing.

Der Herr Medicus aber getröstete uns und sagte, ein Aderlaß würd’ ihm bald Linderung schaffen. Wir entferneten uns, und als nach einer Weile Doctor Grundmannus in die Wohnstube kam, sprach er zu meiner Mutter also:

,Hofpredigerin, sterben wird er nicht, aber das Amt kann er nimmer verwalten, denn er wird gelähmet bleiben sein Lebtag.‘

Solches machte uns große Betrübniß: denn der Vater war annoch jung und kräftig, kaum sechsundfünfzig Jahre alt, und hätte gern noch der Kirche gedienet.

Nachmittags aber schon kam ein Handschreiben Serenissimi, des Inhaltes, daß ihm ein Stellvertreter sollte gehalten werden, bis Conradus ausstudiret habe, damit er sich nicht ängstige um seine Gemeinde. Und Prinzeß Liselotte schickte täglich Hochderselben Läufer, fragen zu lassen nach des Vaters Ergehen, und auf dem Tischlein am Bette standen ohn’ Unterlaß die leckersten Dinge von der fürstlichen Tafel. Nicht viel Tage später war es, daß Conradus an mich schrieb, ich solle mich vernehmen lassen über des Vaters Krankheit. Es war das erste Brieflein, so ich von ihm erhielt, und ich las es ungezählte Male, und ob es mir schier unverständlich, hätt ich doch weinen können.

‚Es jammert mich um den Vater,‘ hieß es darinnen, ,denn es muß schwer sein mit gelähmten Gliedmaßen darnieder zu liegen, da man doch hinaus möchte in die frische Maienluft, wiewohl es nicht härter sein mag, als wenn die Seele festgehalten wird, die sich doch frei aufzuschwingen begehret, der drückenden Fesseln ledig, so ihr – –. Doch das wirst Du nimmer verstehen, herzliebes Schwesterlein, und es ist besser, diese Sehnsucht bleibet Dir fremde.‘

Es war Abend, als ich solches las in meinem Kämmerlein, das auf den Garten siehet, saß am offnen Fenster und es berührete mich seltsam, also daß ich den Kopf in die Hand stützte und hinaus starrete in die flüsternden Lindenzweige, durch die das Abendroth verglühete.

Was machte ihm sein Herze schwer, da es doch jung war und fröhlich sein durfte? Warum hatte er dazumalen gebeten, Anderes erwählen zu dürfen, denn Gottes Wort zu verkündigen? Ist’s nicht ein hoch und heilig Amt, und ist’s nicht friedlich und schön in unserer Heimath, in dem festen Hause und dem stillen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 821. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_821.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)