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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

ein Kopfgeld erheben, aber das Bundesgericht hat dieses Gefälle im Jahre 1876 für unconstitutionell erklärt, und so ist die Gesellschaft bezüglich der Erhaltung des Institutes, so lange nicht die Einwanderungsfrage von Congreßwegen geregelt wird, was schon mehrmals angeregt, aber noch nicht zum Austrag gebracht ist, auf ihre eigenen Kräfte angewiesen.

Die Auswanderungs-Commissäre üben ihr mühevolles Amt mit aufopferungsvoller Hingebung unentgeltlich, und nur dadurch ist es bisher möglich gewesen, das für die Sicherheit und den Schutz der Einwanderer so nothwendige Institut am Leben zu erhalten. Wer also nach den Vereinigten Staaten über New-York einwandert, ist heutigen Tages gottlob! nicht rath- und schutzlos. Niemand versäume im Local der „Deutschen Gesellschaft“, Broadway 13, vorzusprechen, wo er bis in die Details hinein jedenfalls mit gewissenhaftem Rathe, wenn nöthig aber auch mit materieller Unterstützung ausgerüstet werden wird.

Ein volles Menschenalter dauerte es, bis mit gleichen Tendenzen, wie die beiden vorigen, die „Deutsche Gesellschaft von Maryland in Baltimore“ entstand (1817), und wieder ein weiteres Vierteljahrhundert, bis, diesmal speciell in dem Sinne, in welchem zur Zeit alle europäischen Hülfsgesellschaften thätig sind, der „Deutsche Wohlthätigkeitsverein in St. Petersburg“ in’s Leben gerufen wurde (1. December 1842), zu dessen Gründung der inzwischen verstorbene Dr. Spieß die erste Idee gab. Wer die Schwierigkeiten kennt, welche sich der Gründung von ausländischen Vereinen und Gesellschaften in Rußland unabweisbar entgegenstellen, der muß die bei der Schöpfung dieses Verbandes entwickelte Energie bewundern, zumal das Gründungsjahr in die Zeit der Machtfülle des gewaltsamen und rücksichtslosen Kaisers Nicolaus fällt. Der Verein besitzt ein Asyl (Armen- und Erziehungshaus) sowie ein Arbeitsmagazin und zeichnet sich durch eine musterhafte Wirksamkeit aus, die sogar vor Opfern an der Substanz des Gesellschaftsvermögens nicht zurückscheut, wenn es gilt, wahrhaft nützlich zu wirken. Es gab eine Zeit, wo auch die Kraft dieses Vereins erschlaffte – in den letzten der sechsziger Jahre – und die Mitgliedschaft im Verwaltungsausschuß nur als eine Brücke für eine Ordensgewährung betrachtet wurde, während die Sorge für die Thätigkeit und für die Mehrung der Kräfte des Vereins wenig galt. Herrn Friedrich von Stein gebührt das Verdienst, die Reorganisation der Gesellschaft angeregt zu haben; freilich wurde dieselbe dann von Anderen mit Umgehung seiner Person durchgeführt. Seitdem haben sich die Einnahmen des Vereins vervierfacht, und das Grund- und Reservecapital hat sich um das Anderthalbfache vermehrt.

Zwei Jahre später (1844) wurden in Paris mit allgemeinen, denen des Petersburger Vereins entsprechenden Tendenzen und in Constantinopel speciell für Hospital- und Krankenzwecke Hülfsvereine gegründet. Subventionen genießt der letztere Verein nicht, hat aber die freie Benutzung des vom Reiche erbauten Krankenhauses, in welchem Diakonissen wirken.

Die beiden folgenden Gründungen entstanden auf englischem Boden: das „German-Hospital in Dalston“ (1845) und die „Deutsche Gesellschaft der Wohlthätigkeit in London“. Ersteres, in gesunder, anmuthiger Gegend und in der Nähe des großen Platzes am Westend von London belegen, ward auf Grund einer unter Protection der verstorbenen Königin Elisabeth von Preußen, Gemahlin des Königs Friedrich Wilhelm des Vierten, weiter verfolgten Idee am 15. October 1845, dem Geburtstage des Königs, dem Verkehr übergeben. Das Provinzialcomité, welches den ersten Bau und die Verwaltung geleitet, erkannte im Jahre 1860 die Nothwendigkeit einer Vergrößerung desselben und beschloß einen Neubau, der auch im großen Garten des alten Hospitals unter Leitung des Herrn Architekten Grüning und Professor Donaldson im Jahre 1863 begonnen und 1866 vollendet wurde. Das neue Hospital wurde genau 20 Jahre nach der Eröffnung des alten mit 100 Betten dem Verkehr übergeben, denen später 5 Betten hinzugefügt wurden. Das Hospital kostet mit allem Zubehör 400,000 Mark.

Die „Deutsche Gesellschaft der Wohlthätigkeit in London“ ist zwar schon 1817 gegründet, beschränkte aber ihre Wirksamkeit bis zur Statutenänderung 1847 lediglich auf Mitglieder der Gesellschaft selbst. Dieses Institut sowohl wie das zu Dalston ist so bedeutend und großartig, wie die vorerwähnten Schöpfungen, und die Wirksamkeit des Präsidenten des Londoner Vereins, H. Charles Tuchmann, muß, nach den allgemein rühmenden Erwähnungen seiner Person, eine ungemein erfolgreiche gewesen sein.

Von den weiteren Vereinsbildungen in St. Louis und New Orleans (1847) sowie in San Francisco (1854) wollen wir nur noch der letzteren speciell gedenken, weil die „Allgemeine deutsche Unterstützungsgesellschaft von San Francisco“ neben dem „German-Hospital von Dalston“ an Mitgliederzahl und Jahresbudget die größte der Welt ist. Die Gesellschaft zählt doppelt so viel Mitglieder, wie der nach ihr größte Verein von Dalston, bezicht keine Subventionen wie dieser und hat gleichwohl aus sich heraus, trotz ungestörter Wirksamkeit in ihrer statutenmäßigen Thätigkeit, im Jahre 1871 die enorme Summe von 592,000 Mark für die Kriegsverwundeten nach Deutschland senden können. Das Jahresbudget der Gesellschaft erreicht fast dasjenige von Dalston.

Sämmtliche amerikanische und der St. Petersburger Hülfsverein dehnen ihre Wohlthätigkeit auf alle Personen deutscher Zunge, also auch Deutsch-Oesterreicher und Deutsch-Schweizer aus, die Krankenhäuser in Dalston und Constantinopel und der Londoner Hülfsverein auch nöthigenfalls auf Angehörige anderer Nationen. Dasselbe geschieht Seitens der „Deutschen Gesellschaft in New-York“.

Außer den gedachten Hülfsgesellschaften bestehen noch folgende: in Chicago (1854), Zürich (1856), Brüssel, Bern, Basel (1862), Genf, Aarau (1864), Livorno (1868), Malaga, Mailand, Triest (1871), Chur, Lausanne (1872), Neuenburg, Chauxdefonds, Nizza, Boston, Madrid (1875), Stockholm (1876), Wien (1877), Chicago, Winterthur, St. Gallen (1878), Havre (1879), Kairo, Milwaukee (1880), Florenz (1881), Cincinnati, Pittsburg, Cannes, Buenos Ayres, Lima, Rio de Janeiro, Santiago, Porto Alegre, Antwerpen, Lüttich, Ancona, Rom, Genua, Neapel, Lissabon, Bukarest, Jassy, Moskau, Odessa und Barcelona. Hieran schließen sich, seit das deutsche Nationalgefühl auch auf englischem Boden lebendig geworden, d. h. seit dem Jahre 1870, folgende Londoner Institute an: die „Deutsche Herberge in Finsbury-Square“, eine wahre Wohlthat für alle Neuankömmlinge aus Deutschland, das „Deutsche Waisenhaus“, das über eine Jahreseinnahme von 16,000 Mark und ein Stammvermögen von 100,000 Mark gebietet, sowie die im vorigen Jahre gegründeten „Daheim der deutschen Gouvernanten“ („Home of German Governesses“) und „Gordon House“, in welchem deutsche Dienstmädchen billige Unterkunft, Schutz und unentgeltlichen Arbeitsnachweis erhalten.

Um einen Ueberblick über die Wirksamkeit aller dieser Hülfsvereine zu gewähren, lassen wir hier eine kurze Zusammenstellung folgen:

Die Zahl der Mitglieder aller dieser Vereine zusammen betrug im Jahre 1880 18,680, und auf jeden Verein kamen deren durchschnittlich 311. Der Jahresbeitrag schwankt zwischen 4 Mark (einige schweizerische und einige italienische Vereine) und 40 Mark (New-York und San Francisco). Es betrugen im Jahre 1880 die Gesammteinnahmen dieser Vereine 1,303,000 Mark, die Gesammtausgaben 1,162,990 Mark, während das Grundcapital und die Realitäten der Vereine einen Gesammtwerth von 4,187,606 Mark darstellen.

Unter den deutschen Hülfsvereinen im Auslande befinden sich einige, welche noch der Statuten entbehren und nur confidentiell unter Leitung der Consulate verwaltet werden, wie diejenigen in Alexandria und Havre, während andere sich nur noch Unterstützungscassen nennen und noch andere Filialvereine sind. Dagegen haben wieder die größeren Vereine Zweig- und Frauenvereine zur Seite, wie Chicago. Sämmtliche Statuten und Jahresberichte sind in deutscher Sprache abgefaßt, und nur der Verein von Dalston macht eine kaum zu rechtfertigende Ausnahme, zumal das Hospital ausschließlich deutsche Officianten hat und von deutschen Diakonissinnen bedient wird, wie auch das Hospital in Constantinopel.

Mehrere Vereine haben Vertrauensmänner eingesetzt, welche gewählt werden und die Aufgabe haben, durch Erkundigungen möglichst an Ort und Stelle die Berechtigung der Bittgesuche und die Würdigung der Petenten zu prüfen, eine vortreffliche Einrichtung, die besonders in St. Petersburg gut organisirt ist und ihre Früchte trägt. Die amerikanischen Gesellschaften haben dagegen angestellte und bezahlte Agenten und Generalagenten für diese Zwecke.

Fast alle Vereine, auch die in den entferntesten Ländern, klagen in ihren Berichten über die Belästigungen des internationalen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 723. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_723.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2023)