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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Abends auf der Flöte ihre sanftesten Weisen zum Besten geben; bald vereinigen sich Viele, um unter dem Tacte hölzerner oder mit Eidechsenhaut überspannter Trommeln mehr tumultuarische Concerte aufzuführen, denen es aber keineswegs an Rhythmus mangelt.

Musikalische Instrumente giebt es hier eine ganze Menge, darunter drei verschiedene Arten Flöten und ein Saiteninstrument; jedes Geschlecht hat seine eigenthümlichen Musikwerkzeuge für sich. Bei aller Ureinfachheit läßt sich in den Weisen und Gesängen der Melanesier ein melodischer Zug nicht verkennen, und er stellt diese „Wilden“ in ihren musikalischen Leistungen weit über alle östlichen Südsee-Insulaner, ja über das hochgebildete Volk der Chinesen, deren Musik unser Ohr auf das Aergste beleidigt. Gelegenheit zu Tanz und Festen bietet sich so oft, daß es fast scheint, als sei das Leben dieser Schwarzen nur eine ununterbrochene Kette von Lustbarkeiten und Vergnügungen. In der That ist ein solches Leben nur unter dem gesegneten Himmelsstriche, in welchem sie heimathen, und bei der natürlichen Bedürfnißlosigkeit möglich, welche diese Wilden trotz der langjährigen Bekanntschaft mit Weißen streng beibehielten. Nur so konnten sie bis jetzt ihre Freiheit und Sorgenlosigkeit bewahren.

Unter den vielen Artikeln europäischer Civilisation wußten sich bei den Eingeborenen nur Rauchtabak (und dieser noch nicht allenthalben), Glasperlen, Messer, Aexte und Feuerwaffen nebst Munition Eingang zu verschaffen, während nach Bekleidungsgegenständen kaum Nachfrage herrscht und das so verführerische Feuerwasser, welches am Untergange vieler Südsee-Insulaner die Hauptschuld trägt, in Neu-Britannien standhaft verabscheut wird. Wirklich ist der dunkle Mann sehr wohl im Stande, ohne die Hülfe seines weißen Bruders zu leben; denn das Land bietet Nahrung im Ueberfluß und befriedigt alle seine Bedürfnisse. Freilich hält die Natur auch in der Südsee nicht stets offene Tafel, wie man sich dies bei der sprüchwörtlichen Fülle der Tropen so gern einbildet, sondern es bedarf auch hier der Arbeit, wenn diese auch nicht sehr anstrengend ist: Bananen, Yams und Cocosnüsse bilden die Hauptnahrung der Bewohner Neu-Britanniens, und außerdem zeitigt der Wald eine Menge anderer Früchte, die unserem Geschmacke aber nicht sonderlich entsprechen und nicht entfernt einen Vergleich mit unseren heimischen Früchten bestehen können.

Die Neu-Britannier sind treffliche Landbauer; allenthalben sieht man geklärte und mit Hülfe von Feuer urbar gemachte Stellen, und oft wandelt man auf weite Strecken durch wohlgepflegte und gehegte Pflanzungen von förmlichen Bananenwäldern, welche für den Fleiß und die Sorgfalt dieses Volkes das günstigste Zeugniß ablegen. Entsprechend den gebotenen Verhältnissen hat sich der Neu-Britannier zum Ackerbauer entwickelt, ohne die Zwischenstufen des Jäger- oder Hirtenlebens durchzumachen, wie sonst gewöhnlich erwartet wird. Der Küstenbewohner ist dagegen außerdem ein geschickter Fischer und bedient sich zu diesem Gewerbe weit besserer Geräthe als der Mikronesier. Jagd tritt dagegen auf diesen Inseln gänzlich in den Hintergrund, weil es an größerem Wilde fehlt und die Waffen und Fanggeräthe unzureichend sind. Als vorwiegender Vegetarianer kennt der Melanesier weder Fallen- noch Schlingenstellen, welches doch die ergiebigsten Methoden für den Fang des zahlreichen Vogelwildes sein würden.

Auch seine Wohnungen versteht der dunkle Mann gut einzurichten: kleine, aber saubere Hütten, deren aus Bambu oder Stangen bestehendes Gerippe mit Binsen gedeckt und bekleidet ist, sind zu zwei, drei oder mehreren von einem Zaune umgeben und verleihen den Dörfern ein freundliches Ansehen, das durch überraschende Reinlichkeit noch bedeutend erhöht wird. Leicht zu beschaffen ist auch das wenige und geringe Hausgeräth. Zum Kochen oder besser Garmachen von Vegetabilien und Fleisch (hauptsächlich Fisch) bedarf man keiner irdenen Geräthe oder überhaupt Geschirrs, da diese Gerichte nicht in Wasser gekocht werden, sondern es genügen glühend gemachte Steine und frische Bananenblätter zum Einhüllen der Speisen. Servirt wird ebenfalls auf frischen Blättern oder in schnell aus solchen gefertigten kleinen Gefäßen, Körben oder Matten. Als Hauptgetränk dient der Saft der Cocosnuß, die sogenannte Cocosmilch, welche man sich zu jeder Zeit frisch von den Bäumen holt. Wasser, welches man in Cocosschalen verwahrt, wird dagegen im Ganzen wenig getrunken. Waschen in unserem Sinne ist unbekannt, aber die Bevölkerung liebt es, stundenlang im Wasser zu liegen und sich unter lautem Gejauchze und Gesang mit Schwimmen und Tauchen zu unterhalten.

Bei dem Reichthum des Landes an den verschiedensten Bodenproducten mußte sich auch der Handel entwickeln, der bis zur Abhaltung ständiger Wochenmärkte an den verschiedenen Küstenplätzen führte. Dieser Handel blieb nicht auf der niedrigsten Stufe des bloßen Tauschhandels stehen, sondern entwickelte sich zu höheren Formen; denn die Neu-Britannier besitzen eine Münze. Sie ist zwar himmelweit verschieden von unseren geprägten Geldstücken, aber im Verkehr doch ganz denselben entsprechend. Es ist dies eine kleine, etwa acht Millimeter lange, flache, kauriartige Meeresmuschel, deren abgeschlagener Rücken eine kleine Oeffnung bildet, durch welche man diese Muscheln zu Hunderten, Tausenden und Hunderttausenden auf biegsame Pflanzenstengel reiht und so kolossale Ringe von der Größe eines Wagenrades bildet, die, in sauber gespaltenes Bambus eingeflochten, den eigentlichen Reichthum der Capitalisten dieses Landes ausmachen. Dieses Muschelgeld heißt Diwarra oder Param, ein corrumpirtes Wort nach dem englischen Worte Fathom (Faden), da es nach Klaftern (Faden), Arm- oder Handlängen gemessen wird.

Wie bei uns nach Geld, so trachtet hier Jeder nach Diwarra; denn mit demselben kann sich der Neu-Britannier Alles verschaffen, was sein Herz wünscht. Mit Diwarra kauft er sich Nahrung, Land, Cocospalmen, Waffen, Netze, Canoes, Frauen, bezahlt Vergehen bis zur Blutschuld, erwirbt sich Freunde, Anhang und kann es bis zum Häuptling bringen; denn auch bei diesem auf der Naturstufe stehenden Volke herrscht kein Communismus, und es giebt Reiche, Wohlhabende, Bemittelte, ganz wie bei uns; nur Bettler, die lediglich von dem Mitleide ihrer Nebenmenschen leben, kennt man nicht. Häuptlinge und Reiche unterscheiden sich übrigens in ihrem Aeußern durch nichts; sie leben wie die übrige große Menge, auf die sie nur gewissen Einfluß haben, aber Jeder weiß, daß sie reich sind und gelegentlich von ihrem Reichthum abgeben, und dies genügt. Aber Niemand unter dieser anscheinend gesetz- und zügellosen Bande wird auf den Gedanken einer Theilung dieser nicht immer durch eigenen Fleiß, sondern meist durch Erbschaft überkommenen Reichthümer geraten, wie derselbe unverhohlen von einer gewissen Partei in Europa zur Parole erhoben wurde, sondern bei diesen „Wilden“ ist Privateigenthum, aufgehäufter Reichthum, selbst ohne feuer- und diebessichere Schränke, unantastbar.

Diebstähle kommen unter den Eingeborenen selten vor und werden streng bestraft; denn auch dieses Volk hat, ohne gedruckte oder geschriebene Gesetze, gewisse Satzungen für Recht und Ordnung, die ihm durch Gewohnheit und Gebrauch in Fleisch und Blut übergingen und bei Jedermann als selbstverständlich gelten. Je länger man mit diesen Leuten vertraut wird, um so mehr erstaunt man über die herrschende Ordnung, welche ohne alle Vermittlung von Staat und Kirche sich überall, namentlich bei großen Festen, kundgiebt.

Der Bewohner Neu-Britanniens kennt keine Feste oder Opfer irgend einer Gottheit, da er keine Spur von Religion oder irgend einem Cultus besitzt, und so bewegen sich die Lustbarkeiten, mit Ausnahme einiger wenigen, die einer noch unbekannten geheimen Gesellschaft der Männer angehören, fast ausnahmslos im Rahmen von Familienereignissen. Diese Richtung ist bei dem engen Verbande kleiner, meist durch Blutsverwandtschaft verbundener Gemeinden vollständig erklärlich: Leid und Freud des Einzelnen oder einer Familie berührt Andere und steigert sich je nach Rang und Ansehen bis zur Theilnahme des ganzen Dorfes und selbst der Nachbargemeinden.

Unter allen Festen werden Begräbnisse am feierlichsten begangen, und die Ehren, welche man Todten erweist, übersteigen bei Weitem die den Lebenden gezollten. Der flüchtige Besucher dieses Landes, welcher gelegentlich einmal bis in ein Dorf drang, forscht vergebens nach den Orten, wo die Todten ruhen; er findet weder Begräbnißplätze, noch Ueberreste von Knochen auf Bäumen, wie dies anderwärts der Fall ist. So kam es, daß daraufhin ein Reisender flugs die Vermuthung aussprach, die Verstorbenen möchten vielleicht von den Lebenden verzehrt werden, was ja ganz mit dem Charakter der „Wilden“ verträglich schien.

In Wahrheit verhält es sich aber ganz anders; denn die Eingeborenen, weit entfernt, ihre Todten aufzuzehren, bestatten sie vielmehr mit einem Pomp, der im Verhältniß nur selten in Europa zur Geltung kommt, ein Zug, der diesen Naturkindern zur größten Ehre gereicht.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 698. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_698.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2023)