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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Die zähe Kühnheit dieses Liguriers
Gehört Italiens Bürgergeschichte an;
Sie ruht im Rechte, strebt nach Hohem
Und sie verklärt sich im Idealen.‘“

Ja, das ist’s. Im Idealen hat Giuseppe Garibaldi gelebt und gewebt. Der Glaube an das Ideal, welcher seine selbstlose Seele bis in die letzte Falte füllte, war seine Stärke. Er war, was Göthe mit einem jener Worte, wie nur er sie zu finden wusste, bezeichnen und kennzeichnen wollte, eine Natur – eine wahre und wirkliche Heldennatur. Unter ihm lag tief, wie unter unserem Helden Schiller, „in wechsellosem Scheine das Gemeine“. Sein Tod hat eine ungeheure Lücke gerissen. So weit ich überall hin die Blicke schweifen lasse, ich sehe Keinen, der ihn ersetzen könnte.


Land und Leute.

Nr. 51.0 Die Magdeburger Börde.
Von Wilhelm Meyer-Markau.

Nicht ohne Berechtigung hat man die „Magdeburger Börde“ eine fruchtbare Wüste genannt, in der das Auge zur Sommerzeit weit und breit nichts erblicke, als Himmel und Zuckerrüben. In der That kann man jene eigenthümliche Landstrecke tagelang durchwandern, ohne Baum und Strauch anzutreffen. Nur an den großsteinig gepflasterten Chausseen paradiren die stereotypen Baumreihen, welche das liebe Deutschland so langweilig durchziehen. Aber nicht die Pappel flüstert daselbst mit neugierigem Geplapper zum Wanderer herunter, sondern breitästig, wie übermüdet von der alljährlich hervorgebrachten Last ihrer Früchte, verträumen Obstbäume hier im trägen Halbschlafe ihr einsames Dasein. „Verdeinen, wei mott’n verdeinen (verdienen, wir müssen verdienen)," scheinen sie stummen Mundes predigen zu wollen, und sie sagen damit das, was eine große Anzahl von Bewohnern jener Gegend als einzige Lebensaufgabe betrachtet.

Die „Magdeburger Börde“[1] breitet sich am linken Elbufer von der Mündung der Saale bis zu derjenigen der Ohre um die alte Feste Magdeburg aus, und wenn man den Fuß über das rechte Ufer des Stromes setzt, so befindet man sich gleich in „des heiligen römischen Reiches teutscher Nation Sandstreubüchse“. Berg und Hügel, lauschige Wäldchen und saftig-grüne Wiesen oder gar Brachen, diese Idyllen inmitten sprossender Getreidefelder, gehören nun freilich nicht zum Typus der Magdeburger Börde. So überaus munter die Bode in fröhlicher Jugendlust vom Brocken herunterhüpft, so altersträge schleicht sie durch dieses einförmige Flachland. Sie scheint es selber einzusehen, daß es verlorene Liebesmüh’ ist, diese prosaische Gegend durch schmale, üppige Wiesenstreifen an ihrem Uferrande verschönern zu wollen. Auch ihre Schwester, die Saale, hat in der Börde nicht jenen „kühlen Strand, an dem Burgen stolz und kühn“ stehen. Kann somit die Magdeburger Börde auf landschaftliche Reize nicht Anspruch erheben, so kann sie es mit vollstem Rechte auf landwirthschaftliche; denn man braucht nicht Bauersmann zu sein, auch sein ganzes Leben lang nicht ein einziges Mal agrarische Anwandelungen erduldet zu haben, und doch muß Einem das Herz aufgehen, wenn man zur Frühlings- oder Sommerszeit durch die sorgfältig bestellten Ackerflächen, an den wogenden Getreidefeldern und den weiten Breiten kräftig geblätterter Zuckerrüben und Turnipse (Runkelrüben) vorbei wandert. Ist gerade ein erfrischender Regenschauer niedergegangen und will ein Fußwanderer mit einem für Ackerbau gar zu wenig empfänglichen Gemüthe etwas übereilig vorbei an dem Segen, den die Natur so reichlich gespendet, so mahnt ihn der fast moorig-schwarze Boden zu ruhigerem Naturgenusse, indem er, ein fettig-weicher Kleister, seine Füße an die Erde festzuheften sucht.

„Vorwärtsschreiten –
Rückwärtsgleiten,“

heißt es dann bei jedem Schritte. Zum Segen für Ritter auf Schusters Rappen ist indessen Regenwetter in der Börde etwas Selteneres als in waldreichen Gegenden und in Flußniederungen. Darin aber offenbart sich die Güte des Bodens so recht, daß auch bei anhaltend trockener Witterung die Feldpflanzen nicht so bald, vor Durst verwelkend, Stengel und Blatt neigen.

Wohl selten hat eine Culturpflanze auf Lebensweise und Beschäftigung der Bewohner einer Gegend so großen Einfluß ausgeübt, wie die Zuckerrübe in der Börde; denn sie hat in einem Zeitraume von wenig mehr als einem Vierteljahrhundert die Physiognomie derselben völlig umgestaltet: in fast allen größeren Dörfern sind zur Verarbeitung dieser zuckerhaltigen Wurzelpflanze Fabriken entstanden. Bauern, die in den fünfziger Jahren noch tief verschuldet waren oder ihr bares Vermögen nach Hunderten, höchstens nach Tausenden zählten, beziffern es jetzt als Zuckerfabrikanten auf Hunderttausende, ja, übersteigen damit mitunter gar die Million. Erhielt doch die Tochter eines solchen Zuckerbauern etwa vierzig Jahre nach der Vermählung unseres Kaiserpaares dreimal so viel Mitgift, als die Kaiserin dereinst als Heirathsgut bekommen, also 300,000 Thaler. Daß verheirathete Töchter aus geschwisterreichen Familien zu Lebzeiten ihrer Eltern jährlich bis zu 10,000 Mark „Nadelgelder" beziehen, ist dort ebenso wenig eine Seltenheit, wie ein Erbtheil von 300,000 Mark, das auf jedes Kind eines verstorbenen Zuckerfabrikbesitzers entfällt, der von seinen Eltern nichts weiter erbte, als einen nur 100 Morgen großen Ackerhof. Bewirthschaftet doch unter Anderem eine Fabrik, die in den fünfziger Jahren mit keinem einzigen Morgen eigenen Ackerlandes ihre Thätigkeit eröffnete, jetzt über 10,000 Morgen. Beispiele von gleich großen Oekonomien bei einer Fabrik sind übrigens nicht selten. So sind z. B. auf einer Oekonomie für Inspectoren und Verwalter allein 26 Reitpferde in stetem Gebrauche. Es giebt einige Fabriken, welche im Durchschnitt täglich 500 bis 600 Arbeiter, Männer, Frauen und Kinder, beschäftigen, und ganze Familien vom Eichsfelde und aus der Gegend von Landsberg stehen auf ihnen in Lohn und Brod. Für diese wurden eigens große Casernen errichtet. Doch es würde uns zu weit führen, wollten wir hier über den Reichthum der Bodenproducte dieses gesegneten Landstrichs genauere volkswirthschaftliche Studien anstellen und über

  1. Das Wort „Börde" wird von germanischen Sprachkundigen erklärt als „die sich hinziehende Ebene, besonders an einem Flusse, also Flußebene“. Man ist geneigt, es etymologisch auf das gleichbedeutende niederdeutsche bœrde zurück zu führen, das von bord „Rand“, angewandt auf Flußrand, stammen soll. Keltische Forscher leiten es vom irischen und gälischen buar, „Vieh", und vom irischen bu, „Land“, her, wonach es also „Viehland“, das ist: fruchtbares, zur Viehzucht geeignetes Land heißen würde. Immer aber bedeutet Börde fruchtbares Feldland, und außer der Magdeburger Börde giebt es noch die Warburger, die Soester und unterhalb Bremens im Binnenlande die Lamstedter und die Beverstedter Börde.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 680. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_680.jpg&oldid=- (Version vom 21.7.2023)