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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

de triomphe aufzustellen. Nach dem Siege der Alliirten wurde jedoch die Quadriga 1817 nach Berlin zurückgebracht und auf ihrem ursprünglichen Platze wieder aufgestellt. Damals wurde auch dem Lorbeerkranze der Göttin das eiserne Kreuz hinzugefügt.

Aber auch der Bürgerstolz versuchte sich in der Kunst des Hochbauens, und so wurden die Städte mit hohen Rathhäusern geschmückt, unter denen neben dem Brüsseler sich das neue Berliner Rathhaus durch seine Höhe auszeichnet; es wurde bekanntlich nach Plänen des Bauraths Wasemann in den Jahren 1860 bis 1870 erbaut, und sein Thurm mißt 84 Meter, hat aber auf seinem Dache noch einen stumpfen Aufsatz, der von einer Fahnenstange gekrönt wird, deren Spitze 95 Meter über dem Straßenpflaster liegt.

Mit der Erwähnung der Rathhäuser haben wir bereits das Gebiet derjenigen Bauten berührt, welche nicht ausschließlich idealen, sondern auch praktischen Zwecken zu dienen haben.

In dem Kampfe um’s Dasein scheute der Mensch keineswegs vor der schwindelnden Höhe zurück und wußte Leuchtthürme, Brücken und Viaducte zu bauen, die selbst mit den Kirchthürmen einen Höhenvergleich bestehen können. Das alte Rom zeichnete sich vor Allem auf diesem Gebiete durch seine großartigen Wasserleitungen aus, und bis heute erregt der ziemlich gut erhaltene Aquäduct Trajan’s in Segovia allgemeine Bewunderung. Aus Granitquadern erbaut, überspannt diese Wasserleitung auf 159 Doppelbögen die spanische Stadt in einer Höhe von über 30 Meter und erfüllt noch heute ihren Zweck.

Kühner noch war freilich der Aufbau des vom Ostgothenkönig Theodorich um das Jahr 500 n. Chr. bei Spoleto errichteten Aquäducts, dessen mittlere Pfeiler, in dem Waldstrome Mareggia stehend, über 200 Meter Höhe erreichten.

Doch wir brauchen nicht in’s Ausland zu gehen, um derartige Wunder zu schauen. Auf der Sächsisch-Baierischen-Staatsbahn bei Netzschkau, zwischen Reichenbach und Plauen, finden wir in romantischer Gegend die großartige Ueberbrückung des Göltzschthals, die bei 579 Meter Länge eine Höhe von 87 Meter aufweist. Das in vier Etagen aus Granit, Sandstein und Mauerziegeln aufgeführte Werk ist unter der Leitung des Oberingenieurs Hauptmann Wilke in den Jahren 1845 bis 1851 entstanden und kostet gegen 7 Millionen Mark.

Schließlich müssen noch zwei Brücken erwähnt werden, die als die höchsten der Welt gelten: die aus gewaltigen eisernen Röhren, durch welche Eisenbahnzüge dahinbrausen, bestehende Britanniabrücke über die Menaistraße bei Bangor – ein Riesenwerk, weiches am 5. März 1849 Robert Stephenson, der Sohn des berühmten George Stephenson, vollendete, und die East-River-Brücke in New-York, welche die „Gartenlaube“ erst vor Kurzem ihren Lesern in Bild und Wort vorführte (vergl. Jahrgang 1881, Nr. 50)[WS 1].

In der mächtig emporstrebenden „Neuen Welt“ haben wir also unsere Wanderung beschlossen, die wir an den altägyptischen Pyramiden begannen. Viel Bewundernswerthes haben wir dabei geschaut, und doch bilden alle diese hohen Bauten nur einen geringen Bruchtheil jener Wunder, welche in Tausenden von Jahren menschlicher Genius und menschlicher Fleiß auf Erden zu Stande brachten.




Garibaldi.

Nachdruck verboten.
Von Johannes Scherr.
1.

Der düstere Trauerpomp, welcher im Juni dieses Jahres (1882) unter Sturmgetose und Wogengedonner den Felsensteig von Caprera herabkam, ist vorübergezogen und mit dem übrigen Apparat desselben auch der überreich dabei entfaltete Redenbombast beiseite gethan, zerschlissen und verschollen.

Der Mann im rothen Hemde, schon bei Lebzeiten in Volkskreisen zu einer mythischen Figur geworden, ruht nun aus von seinen Heldengängen, wie von seinen Irrfahrten, und genießt jenes Friedens, den nur der Tod gibt.

Möchte doch die Majestät dieses einsamen Heroengrabes auf dem kleinen Eiland im Mittelmeer geachtet werden! Möchte doch keine verstandlose Pietät den Todten seiner Granitgruft entreißen, um das Denkmal, welches in Rom oder sonstwo seine Ueberreste decken soll, zur momentanen Neugierstillung müssiger Gaffer zu machen, wie sie jetzo hordenweise alle Wege und Stege unsicher machen in Europa. Napoleons Grab unter den Weiden von Longwood war von einem vollen Hauch tragischer Poesie umwittert. Seine Gruft bei den Invaliden in Paris ist nichts als ein Wachsfigurenkabinett in Marmor. Laßt den Todten von Caprera ruhen, wo er selber ruhen gewollt! Verschont seine Ueberreste mit eurer Spektakelei! Ihr habt ja der Fahnen und Fackeln, der Kränze und Phrasen genug und übergenug aufgewendet. Laßt den aufrichtigen Schmerz im Stillen trauern, aber heißt die erkünstelte Ueberschwänglichkeit schweigen und gebt der Geschichte das Wort!

Denn diese tritt jetzt in ihr Recht.

Drei Männer sind es, welche das „Regno d’Italia“ geschaffen haben: Mazzini, Garibaldi, Cavour. Mazzini war das Herz, Cavour der Kopf, Garibaldi der Arm der italischen Einheitsbewegung. Mazzini hat die Saat ausgestreut, Garibaldi die Getreidemahd vollzogen, Cavour die Garben eingebracht. Ohne die beiden Idealpolitiker Mazzini und Garibaldi – wo wäre Cavour mit all seiner Realpolitik geblieben? Auf seinem piemontesischen Ministersesselchen. Gerade wie Bismarck mit all seiner Realpolitik auf dem preußischen Ministersessel oder gar auf dem Sorgenstuhl eines mäßig begüterten märkischen Junkers sitzen geblieben wäre, so ihm nicht die Propheten und Märtyrer der deutschen Idealpolitik von den Tagen Walthers von der Vogelweide, Fischarts, Logau’s, Klopstocks, Schillers, Körners und Arndts herab die Pfade gewiesen und die Wege gebahnt gehabt hätten. Dem Donner der That rollt ein lauter Widerhall nach, ja wohl – aber ist es nicht der Blitz des Gedankens, der ihm voranleuchtet? Das ist eine Wahrheit, so wohlfeil wie Brombeeren. Aber in dieser Zeit schamloser Verlogenheit darf man wohl auch solche Brombeeren-Wahrheiten scharf betonen, und die in Rede stehende sollte, scheint mir, dermalen namentlich auch unter uns Deutschen beherzigt werden. Sind doch seit 1870 in Deutschland gar viele enge Gehirne ganz und gar von der Vorstellung erfüllt, alles, was nicht sogleich prakticirt, verwerthet, in Bargeld umgesetzt, von heute auf morgen nutzbar gemacht werden könne, das sei nicht „opportun“ oder tauge eigentlich kurzweg gar nichts. In den Tagen unserer großen Denker und Lehrer waren freilich die jetzo modischen Stichwörter „opportun“ und „realpolitisch“, allwomit man alles schlichten und machen zu können wähnt, noch nicht erfunden. Auch ein drittes, heutzutage rasselndes Modewort, das Wort „Freidenker“, haben, gelegentlich bemerkt, die Hochmeister der Ritterschaft vom deutschen Geiste nicht knäbisch-renommistisch herausgehängt, wie neuestens Leute thun, welchen die Bezeichnung „Nichtsdenker“ zumeist besser anstände.

Will man dem Manne, von welchem hier nicht etwa eine Lebensbeschreibung gegeben werden soll, sondern nur eine Charakteristik mit besonderer Berücksichtigung der zwei Glanzperioden seiner Laufbahn, 1849 und 1860, gerecht werden, so muß man sich auf den Standpunkt stellen, von welchem aus er sah, fühlte, dachte, sprach und handelte – also auf den Standpunkt eines Idealisten und eines italischen Patrioten, dessen Seele vom Sonnenfeuer des Südens großgenährt worden war.

Seinem Namen und seiner körperlichen Erscheinung zufolge von germanischer Abstammung, ist dieser blonde Ligurier dennoch in all seinem Fühlen, Denken und Thun ein Romane jeder Zoll gewesen,[1] also kein Mann vor-, um- und rücksichtiger Erwägung, sondern ein Mensch augenblicklicher Impulse, kein kalter Rechner, sondern ein kühner Drauflosgänger, weit mehr den Eingebungen der Phantasie als den Bedenken des Verstandes folgend und dann doch auch wieder einer guten Dosis echtitalischer Schlauheit nicht ermangelnd. Diese Eigenschaft durfte ihm ja schon als dem Fanatiker, der er gewesen, nicht fehlen; denn ein Fanatiker war er, aber in

  1. Bekanntlich existirt eine Ueberlieferung, welche wissen will, der germanische Tropfen in Garibaldi’s Blut stamme keineswegs vom Mittelalter her, sondern aus dem 18. Jahrhundert, wo der deutsche Junker Theodor von Neuhof eine Weile König von Korsika war. Eine Abkömmlingin dieses Abenteurers sei Garibaldi’s Mutter gewesen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Der erwähnte Beitrag nebst Illustration findet sich nicht in 50/1881, sondern in Nr. 48/1881.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 666. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_666.jpg&oldid=- (Version vom 14.7.2023)