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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

die letzt bezeichnete Weise zu einem stolzen Bewußtsein seiner Bedeutung gelangt, fühlt es nichts von den heilsamen Empfindungen, die mit der Opferwilligkeit unzertrennlich verbunden sind.

Alle diese Vorschriften werden freilich fruchtlos bleiben, wenn Eines nicht vorausgesetzt werden darf, Eines, welches die Vorbedingung jeder guten Erziehung ist: das Beispiel; denn was nützt alle Erziehung, wenn das Kind nicht in der Familie selbst ein Vorbild von siegreichem Anpassen an die gegebenen Verhältnisse sieht, wenn die Mutter es nicht versteht, auch um das Kleine „Glanz und Schimmer zu weben“, wenn der Vater es für nobel hält, jedes Jahr große Gesellschaften zu geben, welche der Familie die größten Entbehrungen auferlegen, den Töchtern ihr Erbtheil nehmen und sie oft zwingen, das Brod der Erzieherin oder Gesellschafterin zu essen! Dann freilich muß das Kind in der Sparsamkeit etwas Widerwärtiges, in der Gastfreiheit ein Uebel sehen. Welch ungeheure Vermehrung des Nationalwohlstandes und des häuslichen Glückes aber, wenn Tausende von Familien ihren gesellschaftlichen Pflichten weniger gewissenhaft nachkämen, und ihre Pflichten gegen ihre Kinder sorgfältiger erfüllten, wenn sie auf periodische Abfütterungen verzichteten und eine bessere tägliche Tafel hielten, die der ganzen Familie gesunderes Blut, stärkere Muskeln und Nerven verschaffte! Wahrlich, manche deutsche Gewohnheiten sind unsolide Gewohnheiten. Wer in den neuen Vierteln unserer großen Städte in den Miethcasernen Wohnungen gesucht hat, der hat oft genug Gelegenheit, Stockwerke zu sehen, welche ein paar schöne Zimmer nach vorn enthalten, die bekannten „guten“, das ganze Jahr nie von der Familie benutzten Stuben, und einige kleine Räume in einem Hinterbau, wo Küche, Wohnzimmer und Schlafzimmer friedlich neben einander liegen. Man kann mir nicht erwidern: das ist der Fehler der Häuserspeculanten; denn die Häuserspeculanten lassen eben die Häuser bauen, wie sie die Mehrzahl ihrer Miether wünscht. In diesen Häusern leben nun Leute mit verhältnißmäßig kleinem Einkommen, die es trotzdem für richtig halten, in den Staatszimmern Gesellschaften zu geben und in den Wohnräumen ein beschränktes Leben zu führen.

Ist es da zu verwundern, daß das aufwachsende Kind in der Sparsamkeit nichts sieht, als eine Entbehrung des Nothwendigen, um das Ueberflüssige zu besitzen, nichts als ein Mittel trauriger Heuchelei, um mit Glanz und Schimmer Leere und Mangel zu verdecken?

Unsere jungen Leute sind, wenn sie mit einer gewissen Selbstständigkeit in’s Leben treten, meistens nicht gehörig daran gewöhnt, mit Geld umzugehen. Relativ unbedeutende Summen erscheinen ihnen unerschöpflich, und sie wirthschaften darauf los, bis sich die Endlichkeit derselben erweist. Sie verstehen es nicht, zu veranschlagen, zu berechnen, das Nothwendige zu erreichen und das Ueberflüssige zu missen.

Ungenügend wirthschaftlich vorbereitet tritt mancher junge Mann in ein Studenten- oder in ein Officiercorps ein. Der Ton, die Sitten und Anschauungen dieser Kreise sind ein Erbtheil der kleinen Aristokratie unseres Vaterlandes, und indem eine Menge Bürgerlicher in dieselben eindringt, werden die mannigfachen Fehler und schwachen Seiten unserer kleinen Aristokratie in weite Schichten des Bürgerthums getragen.

Unser zahlreicher kleiner Adel ist wegen seines Reichthums bekanntlich nicht gerade berühmt, auch nicht wegen seiner Haushaltungskunst. Eine seiner Maximen ist es nun aber leider „in Geldsachen nobel zu sein“. Wenn man diese Noblesse richtig versteht, ist sie unzweifelhaft ein gutes Ding, z. B. wenn man es für nobel hält, Schuster, Schneider und alle Leute, welche mit geringem Geldcapital arbeiten, nach Ablieferung der Waare zu bezahlen, nothleidende Bauern dem Wucherer zu entreißen, sich nicht in zweideutige Geschäfte einzulassen etc. Das ist aber nur allzu oft nicht das, was unter Noblesse in Geldsachen verstanden wird. Im Gegentheil: man glaubt nobel zu sein, wenn man mehr kauft, als man bezahlen kann, Luxusgegenstände an sich bringt, aber dringendere Bedürfnisse nicht zu bestreiten vermag, wenn man dem armen Verwandten Champagner mit Austern vorsetzt, da ihm dreißig Mark willkommner wären, wenn man sich von dem Ladeninhaber auf das schmählichste übervortheilen läßt – ein Gentleman darf nicht sagen: das ist unverschämt theuer – und leckere Mähler hält, indeß der Schuster demüthig vor der Thür steht und um Bezahlung bittet, obgleich er sie fordern kann. Es wäre falsch, wenn man all diesen Leuten ihre Verschwendung hart vorwerfen wollte. Manche von ihnen sind in Verhältnissen aufgewachsen, wo man daran gewöhnt ist, aus dem Vollen zu schöpfen, sodaß es ihnen wirklich schwer fällt, auszukommen, wenn ihnen dieses „Volle“ eben nicht zu Gebote steht. Solche Momente des Mangels verwöhnter junger Herren sind die Geburtsstunden des Schuldenmachens. Eine Anleihe folgt der andern, und wer dieses Leben einige Jahre fortsetzt, kann leicht so weit kommen, daß er seine Schulden nicht mehr allmählich abtragen kann. Der gähnende Abgrund muß plötzlich aufgefüllt werden, wenn er nicht ewig dem Schuldigen entgegengähnen soll. Da bietet sich der Spieltisch oder eine reiche Heirath, oder der Name und Titel deckt eine schmachvolle Gründung. Dahin führt die Noblesse in Geldsachen.

Doch genug davon! Wer offene Augen hat, muß sehen, daß immer Zweierlei nöthig ist: die Kunst, bei geringen Mitteln mit fröhlichem Gemüthe hauszuhalten, und der ernste Wille, aus unsern Sitten und Gewohnheiten alles Unsolide, auf den Schein Berechnete zu entfernen und die falsche Noblesse mit Ernst und Spott über Bord zu werfen. Zur Erreichung dieses Zieles muß aber vor allem Eines mitwirken: eine gute Erziehung, die gerade auf die Beseitigung dieser schreienden sozialen Uebelstände ihr Augenmerk richtet.




Blätter und Blüthen.


Das Jubiläum des Gregorianischen Kalenders (1582–1882). In den Tagen, da die vorliegende Nummer unserer „Gartenlaube“ in die Welt hinausgeht, vollendet sich das dritte Jahrhundert seit der Einführung einer ebenso tiefgreifenden wie heilsamen Reform, deren Gedächtniß wir nicht unbeachtet mögen vorübergehen lassen. Wir sprechen von der großen Kalenderverbesserung Papst Gregor’s des Dreizehnten, und wir vermitteln unsern Lesern das Interesse für die Bedeutung dieses Actes durch nachstehende kurze und allgemein verständlich gehaltene Darstellung.

Wie man weiß, hatte Julius Cäsar in Verbindung mit dem alexandrinischen Astronomen Sosigenes anstatt des früheren, in arge Verwirrung gerathenen, altrömischen Kalenders im Jahre 47 v. Chr. Geburt den verbesserten, nach ihm benannten Julianischen Kalender eingeführt, wonach das Jahr in der Regel in 365 Tage zerfiel, jedes vierte Jahr aber als Schaltjahr einen Tag mehr erhielt, und demnach die mittlere Dauer des Jahres 365¼ Tag betrug.

Cäsar gab ferner den Monaten diejenige Zahl von Tagen, welche sie noch gegenwärtig haben, und setzte zuletzt den Beginn seines ersten Jahres auf den Neumond nach der Wintersonnenwende (46 v. Chr.), den er als 1. Januar bezeichnete, während die Frühlings-Tag- und Nachtgleiche auf den 24. März fiel. Statt der bisher üblich gewesenen Monatsnamen Quintilis und Sextilis aber führte später der römische Senat, Julius Cäsar und Augustus Octavianus zu Ehren, die noch jetzt gebräuchlichen Bezeichnungen Juli und August ein.

Nachdem diese von Cäsar ins Leben gerufene Einschaltungsmethode, welche sich durch das ganze römische Reich hindurch erhielt und später ohne Aenderung auch auf die christliche Kirche überging, länger als sechszehnhundert Jahre beibehalten worden, wurde sie endlich verdrängt durch jene mathematisch weit genauere Zeitberechnung Papst Gregor’s des Dreizehnten, welche noch gegenwärtig die Grundlage des nach ihm benannten und zuerst im Jahre 1582 eingeführten Gregorianischen Kalenders bildet.

Da nämlich 129 Jahre des Julianischen Kalenders um ungefähr einen Tag zu groß sind, so hatte derselbe mit dem Laufe der Sonne auf die Dauer nicht in Uebereinstimmung bleiben können, und in der That fiel schon zur Zeit der großen Kirchenversammlung zu Nicaea (325 n. Chr.) das Frühlingsäquinoctium nicht mehr auf den 24. sondern auf den 21. März. Bereits im fünfzehnten Jahrhundert ging daher die Kirche mit dem Gedanken um, eine Anzahl Tage aus dem Kalender auszuwerfen, um auf diese Weise jene Differenz auszugleichen, aber erst ein volles Jahrhundert später nahm Papst Gregor der Dreizehnte, von der Kirchenversammlung zu Trient ausdrücklich hiermit beauftragt, die Sache wirklich in Angriff und berief behufs Feststellung eines neuen Kalenders eine Commission von vornehmsten Astronomen und Mathematikern. Da seit Cäsar’s Zeit ungefähr dreizehnmal 129 Jahre vergangen waren, so hatte sich die Frühlings-Tag- und Nachtgleiche um volle 13 Tage rückwärts geschoben und fiel dieselbe somit bereits auf den 11. März.

Um sie nun den Bestimmungen des Concils von Nicaea gemäß wieder auf den 21. März zu versetzen und bei diesem Tage zu erhalten, was die kirchliche Berechnung der Feste wünschenswerth machte, da das Osterfest regelmäßig am ersten Sonntage nach dem auf die Frühlingsnachtgleiche folgenden Vollmond gefeiert werden sollte – wurde durch die päpstliche Bulle vom 24. Februar 1582 angeordnet, daß im gedachten Jahre die zehn Tage vom 5. bis 14. October ausfallen und somit gleich nach dem 4. October der 15. October geschrieben werden solle. Damit aber im Laufe der Zeit sich der alte Fehler nicht wiederhole, wurde als Jahreslänge die Zeit von 365 Tagen, 5 Stunden 49 Minuten angenommen, welche den auf Anordnung des astronomiekundigen Königs Alfons des Zehnten von Castilien herausgegebenen Planetentafeln zu Grunde lag. Gleichzeitig wurde, um eine sich trotzdem ergebende geringfügige Differenz zu beseitigen, bestimmt, daß zwar im Allgemeinen, wie bisher, jedes Jahr, dessen Zahl durch vier theilbar sei, ein Schaltjahr von 366 Tagen sein, daß aber von den Schlußjahren der Jahrhunderte, wie 1600, 1700 etc. nur die mit 400 theilbaren Jahre Schaltjahre, die übrigen hingegen gemeine Jahre sein sollten.

Es blieb also im Gregorianischen Kalender das Jahr 1600 ein Schaltjahr, 1700, 1800 und 1900 aber wurden gemeine Jahre, und erst das Jahr 2000 wird wieder ein Schaltjahr sein, womit zwar die absolute mathematische Genauigkeit noch immer nicht ganz erreicht, aber doch jedenfalls den praktischen Bedürfnisse auf lange hinaus Genüge geleistet war.

Eingeführt wurde der Gregorianische Kalender oder der Kalender neuen Stils zunächst in Italien, Spanien und Portugal, wo man der obengedachten päpstlichen Bulle gemäß vom 4. October 1582 sofort zum 15. October überging. Die übrigen Länder Europas bequemten sich der Reform erst nach und nach an, und zwar in nachstehender Reihenfolge, wobei wir jedesmal die ausgefallenen Tage in Parenthese hinzufügen: Frankreich 1582 (10. – 19. December), die katholischen Provinzen der Niederlande 1582 (16. – 25. December), die katholischen Theile von Deutschland und der Schweiz 1583 zu verschiedenen Terminen, Böhmen 1584 (7. – 16. Januar), Polen 1586, Ungarn 1587, die protestantischen Gebiete von Deutschland und Dänemark 1700 (19. – 28. Februar), die protestantischen Provinzen der Niederlande 1701 (2. – 11. December), die protestantischen Cantone der Schweiz 1701 (1. – 10. Januar), Großbritannien 1752 (3. – 13. September) und endlich Schweden 1753 (18. – 28. Februar).

Die Russen und überhaupt die Bekenner der nicht unirten griechischen Kirche sind dagegen bekanntlich beim Julianischen Kalender, dem sogenannten Kalender alten Stils, stehen geblieben und aus diesem Grunde hinter den übrigen Europäern schon gegenwärtig um zwölf Tage zurück.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 651. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_651.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)