Seite:Die Gartenlaube (1882) 623.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

aus dem Institut heimkehrte und neue Anstrengungen auf geselligem Gebiete erforderte!

Unsere kleine Gesellschaft, der sich lose auch bereits Mr. Billings angeschlossen hatte, war nach Reichenhall übergesiedelt. Am Nachmittage wurde meistens ein gemeinsamer Spaziergang nach einem der vielen Wirthshäuser unternommen.

So saßen unsere Freunde eines Abends auch an einem gar anmuthigen, erhöht am Fuße des Hohenstaufen liegenden Orte, von wo aus Reichenhall mit seinen dahinterliegenden Bergen sich gar hübsch und idyllisch ausnimmt. Die milde Abendsonne vergoldete die Landschaft mit einem Heiligenscheine; es war ein reiches, romantisches, vollumkränztes Bild, das sich dem Auge bot.

In die Harmonie dieses Gemäldes wollte das blasse Antlitz einer Frau, die müden Fußes die Stufen des kleinen Abhanges hinanklomm und unter der Last einer alten Harfe fast zusammenbrach, nicht passen. Ein etwa neunjähriger Knabe schritt ihr zur Seite, blickte aus großen traurigen Augen und bemühte sich, mit mageren Händchen die Harfe tragen zu helfen.

Ein hoffnungsvolles Lächeln glitt über das Antlitz der Armen, als sie in der kleinen Wirthschaft die zahlreichen Gäste erblickte, und ohne auch nur einen Augenblick zu rasten, lehnte sie die Harfe an den Baum, der in der Mitte des mit Tischen und Bänken besetzten Platzes stand, und begann mit schwacher Stimme, welche einstige Schönheit verrieth, einfache Lieder zu singen.

Der kleine Knabe aber ließ sich auf einem Stuhl vor einem leeren Tische nieder – er brauchte diese Erholung wohl nothwendig; denn als ihm ein freundlicher Herr mitleidig ein Schüsselchen mit gestandener Milch und ein Stück Brod hinstellte, da dankte er zwar glücklich, verzehrte die Gabe aber nicht, sondern lehnte mit sichtbarer Genugthuung in seinem Stuhle, sodaß man wohl sah, die kleinen Füße hatten eine weite Wanderung hinter sich.

Da langten neue Gäste an, schauten sich nach einem passenden Platze um und machten kaum Miene den Tisch zu wählen, vor welchem der arme Junge saß, als der Wirth auch schon hinzusprang, Milchschüssel und Brod des Knaben auf den Rand des Brunnens stellte und mit einer Barschheit, die an Rohheit grenzte, zu dem kleinen müden Wanderer sagte:

„Weg da! Die Sitze sind nur für Herrschaften.“

Der kleine Junge zitterte und wurde blutroth; über das verhärmte Antlitz der armen Mutter zuckte es tief schmerzlich.

Mimi sprang plötzlich auf und trug ihren Stuhl zu dem Knaben.

„Da, lieber Junge!“ sagte sie, „ruhe Dich aus! Ich hab’ lange genug gesessen und bin gar nicht müde.“

Dann hatte sie dem kleinen Knaben noch ein Stück Kuchen, das sie gerade hatte verzehren wollen, in die Hand gesteckt und war dann zum Tische zurückgekehrt, wo erstaunte, ja mißbilligende Blicke sie empfingen.

„Mimi, was soll das heißen?“ fragte die Tante, „welch ein auffallendes Benehmen! Die ganze Gesellschaft schaut auf Dich! Wirst Du denn niemals lernen, Dich zu benehmen, wie es sich für ein Mädchen geziemt?“

Der Wirth hatte zwar sofort einen anderen Stuhl für Mimi herbeigeholt, aber die Baronin war verstimmt; es genirte sie, daß man von allen Seiten auf ihre junge Pflegebefohlene, wenn auch mit wohlwollender Neugierde, sah.

„Lernt man dieses ostentative Ausüben der Barmherzigkeit in Deiner Pension oder entspringt es Deiner eigenen Natur?“ fragte Bertha Mimi auf dem Heimwege so spöttisch, daß diese Thränen in den Augen fühlte und still hinter Allen herging, sich nun förmlich ihres menschenfreundlichen Impulses schämend.

Da gesellte sich ihr Felix zu, der sich scheinbar lange nicht um sie gekümmert; er sprach zu ihr lieb und gut wie mit einem Kinde, über Gegenstände, die ein Kind interessiren können. Aber in der Beherrschung war Mimi noch keine Meisterin; ihr Plappermäulchen war verstummt, und Waldenburg fühlte, daß dieser jungen Seele mit indirectem Troste nicht geholfen sei.

Schon zeigten sich die ersten Häuser Reichenhalls; Felix hatte noch ein Rendezvous für den Abend mit einem zufällig eingetroffenen Cameraden. Scheidend reichte er seiner jungen Begleiterin die Hand und sagte tröstend:

„Seien Sie nicht traurig, Cousinchen! Unsere Tante hat von ihrem Standpunkte freilich Recht, aber der Vorwurf trifft am meisten uns Herren; an uns wäre es gewesen, die brüske Art des Bauern an dem kleinen Jungen zu sühnen. Sie aber können ganz ruhig nach dieser That schlafen, kleine Cousine; denn Ihr Herz wird Ihnen sagen, daß der kleine Betteljunge Ihre Güte gerade so dankbar empfunden haben wird, wie ein gewisser Jemand, den Sie davor schützten, in der Sonne zu rösten. Gute Nacht!“

(Schluß folgt.)




Um die Erde.
Von Rudolf Cronau.
Elfter Brief:0 Eine Fahrt durch die Prairie Dacotahs.

Westlich vom Red River of the North liegt ein Land, so groß wie manches Königreich, größer als Preußen. Bis vor Kurzem ward dieses 141,000 englische Quadratmeilen umfassende Territorium in den geographischen Handbüchern kurz abgethan, etwa mit den Worten: „gehört zu den wildesten Theilen der Vereinigten Staaten, ist zum größten Theile unbekannt, wenig bevölkert und die Heimstätte kriegerischer Indianerstämme.“ Im Westen reicht dieses Gebiet bis zur Mündung des Gelbsteinflusses, im Süden bis zum Keya-Paha und dem Niobrara; durch den wilden Missouri wird es von Nordwest nach Südost in zwei Hälften getheilt. Ungeheure Länderstrecken der östlichen Hälfte und der gesammte Westen dieses Gebietes sind noch ödes Wüstenland, bald endlose flache Prairien, wogenden Grasseen gleich, bald welliges Land, sogenannte „rollende Prairie“, die sich nach Südwesten hin zu immer höheren, wilderen Zügen emporschiebt, um endlich in den aus buntfarbigem Thon gebildeten, nur für den Naturfreund und Geologen interessanten „bad lands“ und in den nadelholzbekleideten goldberühmten „Schwarzen Bergen“ ihre höchste Erhebung zu finden. Baumlos ist dieses endlose Gebiet, nur an den zahlreichen Seen und größeren oder kleineren Strombetten finden wir spärliche Waldungen von Eichen, Baumwollen- und Hickoryholz; sonst ist alles Prairie, bestanden von dem langen, wogenden Büffelgrase, unter welches sich bunte sternförmige Astern und seltsame Sonnenblumen, die eine Höhe von acht Fuß erreichen, malerisch mischen. Das ist Dacotah, das Territorium, welches dereinst dazu berufen sein wird, eine große Rolle in der Reihe der Staaten der Union zu spielen.

Das hochinteressante Land reizte besonders meine Neugierde, und flugs bestieg ich in St. Paul, der Hauptstadt Minnesotas, einen Eisenbahnzug zur Fahrt nach dem Westen. Bei Einbruch der Nacht erreichten wir die Stadt Bismarck, von wo aus ich am nächsten Morgen per Stage meinen Ausflug nach der sechszig englische Meilen südlich am Ufer des Missouri gelegenen Standing-Rock-Agentur anzutreten gedachte. Die „Stage“ war ein kleiner viersitziger Wagen, offen und ohne Verdeck, mehr zum Transporte des Gepäcks als zur Beförderung von Passagieren bestimmt, deren es in jener Gegend freilich auch kaum zwei bis drei im Jahre geben mag.

Gegen Zahlung von 7 Dollars erstand ich von dem Agenten der „Stage-Gesellschaft“, der zugleich einen Handel mit Oefen und sonstigen Eisenwaaren unterhält, das Recht, auf diesem Vehikel einen Tag lang durch die wilden Prairien zu fahren. Als wir Bismarck verließen, lag dasselbe noch still und todt; nur hier und da eine übernächtige Gestalt von zweifelhaftem Aussehen. Der Strich Landes zwischen Ort und Fluß ist mit wüstem struppigen Gebüsch bewachsen, das den dürren, sonnverbrannten Bergen im Hintergrunde als besonders effectvoller Vordergrund dient. Oeder noch ward die Scenerie, als wir den „big muddy“, den „Großen Schlamm“, das heißt den Missouri, erreichten, dessen Fluthen gelb dahinschossen, gelb wie die Berge dort, an und auf denen sich die Gebäude des Forts Lincoln lagern. Schwarz und verkohlt ragten jenseits des Forts einige Höhen empor, auf denen das Prairiefeuer gewüthet. Die umherliegenden Steine und Felsbrocken machten den Eindruck von verstreuten Riesenknochen. Ein

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 623. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_623.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)