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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

„War es,“ entgegnete das junge Mädchen nun mit einem Male traurig. „Er kränkelte seit dem Krieg und starb dann sehr bald. Seitdem hasse ich den Krieg und alle Soldaten.“

„Aber das ist nicht patriotisch. Die Tochter eines Vaterlandsvertheidigers sollte so nicht sprechen.“

„Ich weiß es wohl, aber ich kann mich nicht zu der Höhe solcher Auffassung aufschwingen. Ich bin ja keine Spartanerin oder Römerin, ich werde es nie begreifen lernen, daß der liebe Gott die Menschen geschaffen haben soll – damit sie sich einander todtschießen. – Ach, mein Herr, Sie wissen nicht, wie schrecklich der Krieg ist, mir nahm er Vater und Mutter, denn Mama starb über den Gram um Papas Verlust. – Nun haben Sie gewiß nimmer das Herz, von mir zu verlangen, daß ich für einen so gefährlichen Beruf schwärme?!“

„Mindestens aber, daß Sie ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen und seinen hohen Standpunkt anerkennen. – Aber ein so ernstes Gespräch paßt nicht für eine kurze Unterhaltung im Eisenbahnwagen. Mit der Zeit werden Sie schon von selbst den Werth unseres Berufes schätzen lernen.“

„Nein, ich weiß gewiß, daß ich den Krieg immer für eine große Sünde halten werde und eher in’s Wasser springen, als eine Soldatenfrau werden würde.“

Das kleine Köpfchen nickte so energisch, die braunen Augen blickten den Nachbar so fest an, und die Worte gingen so bestimmt über die rothen Lippen, daß der Fremde bei sich selber sagte:

„Sie ist doch ein echtes Soldatenkind, die frische, muthige Kleine; sie weiß, was sie will.“

Ein Weilchen stand das Plappermäulchen still.

„Die Berge, o die himmelhohen Berge!“ rief es dann.

Ja, da tauchten sie auf, noch nebelhaft, wie mit duftigen Schleiern überzogen. Der Fremde kannte die Namen jeder Bergspitze, jedes Grates des immer deutlicher hervortretenden Höhenzuges, und Mimi hörte aus seine Erklärungen mit strahlenden Augen und grüßte mit jubelnder Erwartung die winkende Ferne.

Dann wieder deckte dunkler Wald das vielversprechende Bild; die Bahn umzog nun einen der vielen kleinen Seen, die dem baierischen Hochlande so viel Frische und Abwechselung verleihen, darnach schlängelte sie sich ein gutes Stück durch den Forst dahin.

Zu sehen gab es jetzt nichts, die kleine Unruhige suchte sich andern Zeitvertreib, sie begann mit dem ganzen Appetit der sechszehn Jahre Bonbons zu naschen, die sie in mehreren Düten aus der Tasche zog. Sie präsentirte sie zuerst ihrer Lehrerin, dann der dritten Dame mit dem Kinde und zuletzt auch dem Nachbar. Ungenirt griff dieser zu und wollte nun auch die Spender dieser Gaben kennen lernen.

„Meine Freundinnen,“ entgegnete Mimi stolz. „Wir halten in der Pension treue Freundschaft und sind nicht halb so schlimm, wie es in Erzählungen, die in Instituten spielen, geschildert wird. Wir sind sehr lieb mit einander – nicht wahr, Mademoiselle?“

Die arme gefolterte Französin, die in jedem Augenblicke über die Ungenirtheit ihrer Pflegebefohlenen erröthete und doch kein Mittel wußte, das harmlose Kind vor den Augen des jungen Mannes zu hüten, lächelte eine unbestimmte Antwort, der Fremde aber sagte:

„Wenn es erlaubt ist, von Ihnen, kleines gnädiges Fräulein, auf die Andern zu schließen, so verdienen Alle Nummer Eins!“

„O, wenn Sie ein Lehrer wären, dann würden Sie nicht so liebenswürdig urtheilen, auch nicht mit mir lachen und scherzen, sondern so aussehen.“

Dabei zog Mimi ihr Gesicht in grämliche Falten und hob den Finger warnend gegen den Nachbar empor.

Jetzt riß denn endlich der letzte Geduldsfaden der guten Mademoiselle.

Mimi, vous êtes une –

„Ich bin eine –?“ ja, was Mimi eigentlich war, erfuhr sie nicht mehr, denn der Conducteur rief:

„Prein!“

Erschrocken sprang das junge Mädchen empor, Hut und Tasche herunternehmend; denn das war ja schon die ersehnte Station, auf welcher sie ihre Verwandten finden sollte. Auch der junge Mann erhob sich.

„Steigen Sie hier auch aus?“ fragte Mimi verwundert.

„Ja, ich will hinüber nach der Fraueninsel des Chiemsees.“

„Nein, wie reizend! Dahin gehen wir ja auch.“

„Nun, so werde ich die Ehre haben, meine liebenswürdige Reisegefährtin bald wiederzusehen.“

Eine höfliche Verbeugung, und er war verschwunden.

„Ich sehe weder Tante Waldenburg noch die Schwestern,“ klagte Mimi.

„Madame la Baronne seien in der Hôtel,“ entgegnete die Französin gemessen, nahm das junge Mädchen an die Hand, als wäre es ein kleines Kind, und schritt mit ihr über die Landstraße dem Wirthshause zu.


2.

Die Baronin Waldenburg mit ihren beiden Nichten, den Töchtern ihrer verstorbenen Schwester Ranken, kam der kleinen Ferienreisenden bis zum Eingange des Wirthshausgärtchens entgegen. Das glückliche Kind warf sich der stattlichen, schön geschmückten Dame stürmisch um den Hals und umarmte auch die Schwestern so heftig, daß die duftigen Sommertoiletten derselben in bedenkliche Gefahr geriethen.

Wer mochte es Mimi verdenken, daß sie selig war, die Ihren endlich wieder zu haben. Waren es nun doch schon sieben Jahre, daß sie unter Fremden lebte, unter Fremden, denen ihr leichtlebiges Naturell sich zwar schnell angepaßt hatte, die sie aber doch das Vaterhaus nicht vergessen machen konnten!

Als den drei Schwestern die Eltern in dem kurzen Zeitraum einiger Monate entrissen worden waren, da hatte man mit der kleinen Mimi nichts anderes zu thun gewußt, als sie auf Jahre hinaus in ein Fräuleinstift zu stecken, dessen Vergünstigungen ihr als der Waise eines Officiers überdies zugute kamen. Der älteren Schwestern nahm sich von vornherein die Tante mütterlicherseits, die Baronin Waldenburg, an, die, selbst kinderlos, neues Interesse und neuen Anhalt am Leben gewann durch die Einführung der jungen Nichten in die große Welt.

Die gute Versorgung der Pflegebefohlenen, das heißt, ihre glänzende Verheirathung, ward fortan die Lebensaufgabe der Baronin, und keine Mühe und keine Kosten wurden gescheut, die jungen Damen so vortheilhaft wie möglich zu präsentiren. So pflegte der Winter mit Bällen und Festlichkeiten in der Residenz hinzugehen, der Sommer aber wurde regelmäßig zu Ausflügen nach der Schweiz oder den italienischen Seen benutzt, denn der Aufenthalt in schöner fashionabler Gegend sollte den Nichten zugleich die Vortheile bieten, welche die Uebung in einer fremden Sprache gewährt; war es doch der Baronin Stolz und Freude, Bertha und Elfriede zu viel bewunderten Sternen der Gesellschaft zu erziehen.

Dieser Wunsch ging denn auch glänzend in Erfüllung; an Bewunderern hatte es den hübschen, eleganten jungen Damen noch nie gefehlt, wohl aber an wirklichen Bewerbern, denn es gab manchen guten Rechenmeister in der Gesellschaft, der sich ganz klar machte, daß der Luxus der Damen zum größten Theile aus der brillanten Rente bestritten wurde, welche die Baronin bezog, daß es demnach ein schlechtes Resultat liefern müßte, eine so verwöhnte Frau mit geringer Mitgift heimzuführen.

So zählte Bertha bereits zweiundzwanzig, Elfriede noch ein Jahr mehr, mancher Winter war vertanzt und noch sah die arme Tante ihren Wuusch nicht gekrönt, noch hatte keine der Nichten Aussicht, den ersehnten Namen „Braut“ zu tragen.

Aber eine Frau, die in sich den Beruf fühlt Heirathsstifterin zu sein, giebt ihr Spiel nicht so bald verloren, und so hatte denn auch die Baronin nach verschiedenen im Sande verlaufenen Plänen bereits wieder einen neuen, wie es ihr schien, leicht zu realisirenden Plan gefaßt, der hier in den Bergen mit Zustimmung einer Schwägerin gegen den einzigen Sohn derselben in Scene gesetzt werden sollte.

Eine gemeinschaftliche Reise in’s Gebirge war verabredet, auf der Fraueninsel sollte das Rendezvous stattfinden, das – die Baronin zweifelte nicht daran – die Anbahnung zu der Verlobung einer der Nichten geben würde. Die besorgte Frau war dieses Mal in der Wahl des Heirathscandidaten recht vorsichtig gewesen; Felix war der einzige Sohn aus sehr reichem Hause, der Vater todt, das Majorat also ihm zugehörig; außerdem versprach der junge Mann ein ausgezeichneter Gatte zu werden, da er seiner Mutter ein solcher Sohn gewesen war, und Tante Waldenburg lebte sich förmlich enthustastisch in den Gedanken ein, den jungen Goldfisch an der Seite einer ihrer Pflegebefohlenen – ganz im Stillen meinte sie Elfrieden – zu sehen.

Mimi aber hatte ihre Freiheitswochen nur der Ansicht der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 618. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_618.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)