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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

„Vor allen Dingen wird’s viele Stürze geben,“ antwortete der lustige Rath dazwischen.

Der Dichter nickte lachend.

„Ist das Pflaster so halsbrechend?“ meinten die Einreitenden.

Der Narr antwortete nicht. Sein Auge flog die Straße entlang. Es war gut, daß sein Füchslein so sicher schritt; denn die zitternde Hand des Reiters hätte es wohl nimmer zu lenken vermocht. Einmal nestelte er an seinem Wams, als sei es ihm zu eng. Ein andermal nickte er einem Franziskanermönch zu, der alt und gebückt und doch neugierig am Wege stand, aber der schaute schier verdrüßlich drein, als er die Würde des Grüßenden erfragt hatte.

„Wer wohnt in dem braunen Haus, das so schmal und windschief sich in die Gassenecke drückt?“ fragte der lustige Rath fast athemlos.

„In der alten Baracke? Kleine Leute; wer kennt sie?“

„Und wo ist der Thurm hin, der sonst hier an der Pegnitz stand? Im obern Stock war eine Tandelbude, wo es die schönsten Berluppungen gab.“

„Ist bei einem Sturm über den Haufen geschossen.“

Der Erzherzog schaute indessen eifrig um sich.

Jetzt kamen sie an das Imhofische Eckthürmchen. Die alte Imhofin lag im Fenster und winkte, wie ihr befohlen war, mit dem Facinetlein. Von all den Erlebnissen aus dem Gleichgewicht gebracht, hatte sie den Schleier des Sturzes nur lose geschlungen, so daß sich ihr würdiges Gesicht darin zeigte, wie in einem Hasenring hängend. Die Blicke der Herren glitten über sie hinweg zu der schlanken Mädchengestalt, die im Hintergrund stand.

Dem Wilhalm Haller aber wurde es heiß unter seiner Rüstung von blauem mit Gold eingelegtem Stahl, als er die begehrlichen Blicke der Gäste gewahrte, und er war froh, als nur Elsbeth’s blaue Augen aus dem Sturz herniederschauten. Er war in diesem Augenblicke dem altfränkischen Kopfputz von Herzen dankbar.

Die Imhofin sprach:

„Wenn i nur wüßt’, warum der Wilhalm jetzt allzeit mit den Augen herauf witscht. Ich denk’, er mag Dich nimmer.“

Elsbeth blieb die Antwort schuldig und zog sich vor den dreisten Blicken der Fremden noch mehr zurück.

Ueber den Herrenmarkt ging der Zug. Der Erzherzog blickte überrascht auf. Gerade über ihm schwebte ein sieghafter Adler mit einem Lorbeerkranz in den Klauen. Er hing an einer Schnur aus grünen Tannenzweigen, in welche abconterfeite Granatäpfel, Pomeranzen, Melonen, Feigen und Kürbisse gebunden waren.

Und da, wo das eine Ende an dem Fenster eines Chörleins befestigt war, zeigte sich, nachdem man bisher nur Frauenköpfe mit Stürzen gesehen, zum ersten Mal ein liebliches Frauenantlitz, vom Schleier nur leicht umweht, so daß man eine weiße Stirn, ein feines Näschen, rosige Wangen und, wenn der Frühlingswind ein wenig keck war, auch das schelmische Tüpflein im Kinn erschauen konnte.

„Wer wohnt in dem Hause mit dem welschen Feston?“ fragte der Erzherzog leise seinen lustigen Rath.

„Es ist das Rotmundische,“ entgegnete der wie aus einem Traum auffahrend.

Der Erzherzog lächelte.

„Rotmund? Auch der Name ist schön“ Und er blickte noch einmal hinauf. Aber im selben Augenblicke winkte der husarisch gekleidete Herr Rotmund grüßend mit seinem Fähnlein. Da verschwand Alles im Sturz; nur zwei Augen funkelten heraus wie die eines lauernden Kätzleins.

Schmetternde Fanfaren tönten von Rathhaus herab. Vor St. Sebaldus stimmte die Schuljugend das Te deum laudanus an; der Erzherzog neigte sich tief vor der offnen Kirche, und unter Sang und Klang, lustigem Spiel und lautem Zuruf des Volkes bewegte der Zug sich zur Veste hinan.

Nur der lustige Rath blieb zurück, während die Gäste durch das Thor einritten. Er hatte das Haupt hinüber nach dem Panierberg gewandt. Dort stieg über niedrigen Dächern ein dunkler Giebel empor, dessen Stufen sich scharf vom Himmel abhoben, als führten sie geradewegs in die lichte Bläue hinein. Seine Augen blickten so abwesend dorthin, als, sei er seelenallein.

„Bleibt in der Reihe, Narr!“ rief ein junger welscher Bischof. Feine Röthe schoß in die Stirn des Graukopfs. Er drückte die Faust zusammen, dann lachte er grell auf.

„Seid ohne Sorgen! Die Narrheit verläuft sich nicht weit von Euch weg,“ sagte er.

Aber er rührte sich nicht. Unbeweglich hielt er noch vor der Burg, als schon der Nachtrab verschwunden war und das Volk sich allmählich verlief. Ihm war zum Sterben weh.

Da sagte neben ihm eine klare Stimme, der man anhörte, daß sie beim Donner der Geschütze zu commandiren gewohnt war:

„Hätten wir solche Waffen in Preußen gehabt, wir würden uns wohl die doppelzüngigen Polen vom Halse geschafft haben.“

Der lustige Rath wandte sich um.

Bei den Hakenschützen, die am Eingang Wachtdienst thaten, hielt der Markgraf Albrecht von Brandenburg, der Hochmeister des deutschen Ordens. Er prüfte die Büchse mit dem neuen Radschloß.

„Es ist eine gefährlichere Waffe als unsere alte Armbrust,“ warnte der Söldner.

Der Markgraf erhob sich stolz auf seinem Pferde, in dessen Satteldecke der rothe Adler gestickt war.

„Gefährlich ist alles Neue, das eine große Kraft in sich trägt. Aber wer ein Recht auf die Zukunft haben will, muß bei Allem im Vordertreffen seiner Zeit stehen und in seinen Dienst nehmen, was neu und kräftig emporkeimt, sei es eine Empfindung wie diese tödtliche Waffe, oder sei es,“ fuhr er mit gedämpfter Stimme, zum lustigen Rath gewendet, fort, „ein neuer Glaube.“

Ein einverständnißvoller Blick wurde zwischen beiden getauscht. Dann athmete der Narr tief auf, als wälze er eine Centnerlast von seiner Seele, und antwortete mit tiefernster Stimme:

„Den neuen Glauben zwingt Ihr nicht in Euren Dienst. Er ist kommen als ein Befreier zu den Gebundenen und Armen, ihre Fesseln zu erleichtern, und die Fürsten und Gebieter werden sich selbst zu seinen streitbaren Dienern machen.“

Dann folgte auch er dem Markgrafen in die Burg. – –

Als der Abend dämmerte, spähte Frau Rotmundin aus ihrem Chörlein die Straße entlang, ob ihr Eheherr noch immer nicht vom Bankett auf der Burg heimkomme. Endlich tauchten Fackeln und Laternen auf, wankende Gestalten geleitend.

„Unsre Herren sind allzumal wohl bezecht,“ kicherte sie. „Selbst der Haller hat seine würdevolle Haltung aufgegeben. Er schwankt gleiche inem Irrwisch hin und her. Horch! Was singt er für ein Liedlein?“

Sie legte die Hand an’s Ohr.

„Schein uns, du liebe Sonne, gieb nun einen hellen Schein,
Schein uns zwei Lieb zusammen, ei, die gern bei einander sein!“

klang Wilhalm’s Stimme herauf. Er sah dabei die Straße entlang nach der Gegend des Imhofischen Hauses.

„Wirst Du zahm, brauner Falke?“ flüsterte die Rotmundin. „Die Els muß sich doch meine Lehren hinter die Ohren geschrieben haben.“

„Nun Herr Rotmund?“ lachte sie ihrem vorsichtig über die Schwelle schreitenden Eheherrn entgegen. „Seid Ihr brav gewesen? Ihr steigt einher wie der Storch im Lattich.“

Der Rotmund war ob des Empfanges sehr erfreut.

„Gute Botschaft!“ rief er mit schwerer Zunge und desto lauterer Stimme. „Uebermorgen ist ein Geschlechtertanz auf dem Rathhaus. Seine fürstliche Durchläuchtigkeit wünscht solches, und was sie wünscht, geschieht unweigerlich,“ schloß er fast drohend.

„Ich meine, Ihr seid Bürger einer freien Reichsstadt und braucht nicht zu gehorchen,“ sagte sie nachlässig.

„Liebes Weib, das verstehst' Du nicht,“ entgegnete er hochfahrend. „Der Kaiser ist über uns Allen, und die Durchläuchtigkeit ist sein Bruder. Aber ängstige Dich nicht vor ihm! Ich will Dir mit Rath und That beistehen, wenn Du zum ersten Mal solch fürnehmem Herrn begegnest.“ Sie lachte hell auf:

„Sorgt Euch nicht! Vor solch schönem fürstlichem Herrn fürchtet sich kein Weib.“ Herr Rotmund stutzte:

„Ach was! Er hat die habsburgische Schlarpel,“ sagte er wegwerfend und ahmte die starke Unterlippe des Erzherzogs nach.

„Die Schlarpel gefällt mir gerade,“ stritt sie trotzig.

Das schoß dem Rotmund vor den Kopf.

„Es braucht Dir nichts und Niemand zu gefallen außer Deinem Eheherrn,“ sagte er grimmig.

„Wie wollt Ihr's verhindern?“ lachte sie. „Eia der ritterliche Herr! Eia das goldbraune Rößlein!“ Neckisch gaukelte sie auf und ab.

Herr Rotmund wollte sie umfassen, stolperte und setzte sich

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