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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

No. 35.   1882.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Der Krieg um die Haube.
Von Stefanie Keyser.
(Fortsetzung.)

Staub wirbelte auf, und die Nürnberger sprengten heran. Sie waren schön anzusehen, mit Arm- und Beinschienen, Harnisch und Stahlhaube gerüstet, in köstlichen Kleidern von Sammet und Seide, mit atlasnen Borten vergittert, mit Fransen verbrämt. Die Rosse prunkten im Erzpanzer mit stählernen Stirnen. Und hinter jeglichem Herrn ritt ein Gefolge von Knechten in seinen Farben und ein Bube mit der Fahne.

Nun stiegen die zur Begrüßung Erwählten von ihren Pferden und gingen dem Erzherzog entgegen, der seine Handschuhe auszog und ihnen die Hände reichte.

Der Blick des lustigen Rathes glitt durch ihre Reihen. An den Zügen der älteren Herren blieb er haften; es lag etwas wie scheue Sorge in seinem Gesichte. Als aber aller Augen gleichgültig über ihn hinglitten, athmete er auf. Er lächelte, da er vernahm, wie dem hochmögenden Herrn Muffel die Stimme bebte, als er in langer Rede die Einladung in die Stadt sprach.

„Gleicht die Durchläuchtigkeit nicht dem Maxel, seinem Großvater?“ flüsterte es hinter ihm.

Er wandte sich um. War das nicht der Wilibald Pirkheimer, der Rath des in Gott ruhenden Kaisers Maximilian? Aber wer war der Greis neben ihm, der mit Rührung auf den Erzherzog blickte?

Er nickte dem Fragenden zu und antwortete:

„Die gebogene Nase, das freundliche Auge hat er von ihm, und auch die starke Lippe.“

An dem Tone erkannte der lustige Rath den Probst Pfinzing, der mit dem verstorbenen Kaiser den Teuerdank gedichtet hatte. Er hatte ihn vor Augen als einen noch rüstigen Mann. Wie schnell die Menschen doch alt werden!

Dicht neben sich hörte er flüstern:

„Der soll lustiger Rath sein? Schaut ja aus wie eine arme Seele, die irre geht.“

Er raffte sich auf.

Jetzt schmetterten die Trompeten; die Nürnberger Reiterschaar schwenkte rasselnd ab und gab den Weg frei.

Da war das Feldgeschütz aufgefahren. Ein Commando erschallte: die Nachtigallen und Singerinnen, wie die größten Geschütze genannt wurden, die Nothschlangen und Falkonetlein donnerten dem fürstlichen Gast ihren Gruß entgegen. Und dahinter stand die wehrhafte Bürgerschaft der freien Stadt in gevierter Schlachtordnung mit gesenktem Spieß, einen ungeheuren Würfel bildend.

Der Erzherzog winkte überall hin dankend mit der Hand.

Der Narr spähte zu den Feldgeschützen hinüber. Nein! Hinter dem berühmten Basilisk stand nicht mehr der alte Konz. Ein junger Büchsenmeister trug den weißen Wappenrock, der mit gemaltem Andreas-Kreuz und Feuereisen geziert war, und hielt die brennende Lunte.

Aber der Thurm des Frauenthores vor ihm war noch der alte trotzige, wenn auch jetzt ein Büschel Fahnen lustig von seinen Zinnen herabwallte. Wehmüthig schaute der Narr zu ihm hinauf. Das Herz wurde ihm weit, und er flüsterte: „Daheim in Altnürnberg.“

Da stockte der Zug. Der lustige Rath schaute um sich. Er sah, wie die Bürger, die, vor dem Erzherzog einziehend, Spalier bilden sollten, sich zu einem Knäuel verwickelten; er hörte, wie die Lebküchler und Spielzeugmacher um den Vorrang stritten und welche Mühe der kriegskundige Tylmann von Prem hatte, ehe er den ungefügen Haufen wieder in eine richtige Ziehordnung brachte. Der lustige Rath fühlte, wie das Herz sich ihm wieder eng zusammenzog, und als endlich die ehrsamen Meister in ihren funkelnagelneuen geschlitzten und gepufften Wämsern gassenbreit fürbaß wankten, sprach er in beißendem Spott für sich:

„Der Kastengeist ist auch noch derselbe wie ehedem daheim in Altnürnberg.“

Zinken, Posaunen, Kesseltrommeln spielten und übertönten das Getrappel der Hufe auf dem Balkenwerk der Zugbrücke, die über den tiefen Graben führte.

Durch eine hohe Ehrenpforte, die zwei Thürme krönten, schaute der Erzherzog in die festliche Stadt hinein, und es war ihm nicht zu verdenken, daß er einen Augenblick sein Rößlein anhielt, um sich an dem Bilde zu ergötzen. Eng wand sich die Straße dahin; ein vorspringender Erker, mit grünen Tannenkränzen behangen, ein geharnischtes unter spitzem Dach hervortretendes Ritterbild mit einer grünen Maie in der Hand schien sie hier und da gänzlich zu versperren. Doch so weit das Auge reichte, bildeten an beiden Seiten Gilden mit ihren Fahnen, Bürger mit Eisenhelm und Stachelpiken ein lebendiges Spalier für die einziehenden Gäste. Der Erzherzog aber wandte das Haupt über die Diensteifrigen hinweg nach den mit grünen Zweigen besteckten Laubengängen, wo sich die Häubchen der Bürgermädchen neben einander drängten, und hinauf nach den mit Blumengewinden geschmückten Fenstern der hohen Patricierhäuser, in denen bis unter die abgestuften Giebel glitzernde Mieder, wehende Schleier sichtbar waren.

„Giebt’s viele schöne Frauen in Nürnberg?“ fragte er den Probst Pfinzing.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 569. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_569.jpg&oldid=- (Version vom 11.4.2023)