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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

und das wahrhaft großartige Panorama der Stadt an den Ufern der Außen- und Binnenalster hat die „Gartenlaube“ erst vor Kurzem ihren Lesern in trefflichem Bilde vorgeführt (vergl. Nr. 30). Den Hauptreiz für den Binnenländer bildet jedoch unstreitig der Hafen Hamburgs neben den damit verbundenen Anlagen. Dort erhebt sich vor den staunenden Blicken „der Schiffe mastenreicher Wald“, von allen seefahrenden Nationen der Welt hierher gesandt, wie die bunten Flaggen verkünden; dort erstrecken sich die gigantischen Quai-Anlagen mit ihrem rastlosen Getriebe; dort liegen die Werfte, auf denen die kunstreiche Menschenhand jene schwimmenden Kolosse zusammenfügt, welche die Länder der Erde unter einander verbinden.

Und welch eine fast sinnverwirrende Geschäftigkeit herrscht hier überall! Tausende von Händen regen sich unausgesetzt, und ein wahres Tohuwabohu von Geräuschen erfüllt die Luft. In directem Zusammenhange mit dem Hafen stehen die zahllosen hohen Speicher in der Stadt, die ihre Hintergiebel den dunklen Canälen, hier „Fleete“ genannt, zukehren und in deren Räumen Millionen über Millionen an Werthe lagern in den vielfältigen Artikeln, die der Handel vertreibt, den Erzeugnissen aller Himmelsstriche von den arktischen Eisregionen bis zu den Gegenden, wo die Sonne des Aequators ihre sengenden Strahlen zur Erde sendet.

Das dritte deutsche Sängerbundesfest in Hamburg: Festzeichen am Bug des Schiffes.
Originalzeichnung von P. Duyffcke.

Es ist völlig naturgemäß, daß der Charakter der Stadt auch dem Charakter ihrer Bewohner seinen Stempel aufgedrückt hat, und in der That zeichnet den eingeborenen Hamburger durchweg ein ernster, ruhiger Geschäftssinn aus, dem einst der boshafte Poet Heine so viele komische Gesichtspunkte abzugewinnen wußte. Wer sich indessen die Hamburger und ihr Wesen mit unbefangen prüfendem Blicke betrachtet und nicht im Hohlspiegel der Satire, der wird sich von jenem Wesen eher angezogen als abgestoßen fühlen. Freilich, alles Windige ist dem gesetzten Hamburger verhaßt, und Dinge, deren absolute Nützlichkeit er nicht einzusehen vermag, bezeichnet er mit einem ornithologischen Gleichnisse gar zu gern wegwerfend als „Hühnerkram“. Dabei ist er jedoch keineswegs so in Materialismus versunken, wie die böse Welt ihm häufig nachzusagen beliebt. Im Gegentheil, in Hamburg ist der Sinn für die idealen Güter des Lebens, für Kunst und Kunstbestrebungen stets außerordentlich rege gewesen. Kunst und Künstler haben hier stets offene empfängliche Herzen und offene freigebige Hände gefunden. Zum Beweise dessen mag die hohe Blüthe dienen, deren sich hier das Theater von jeher erfreut hat und sich bis auf den heutigen Tag noch erfreut. Speciell auch die Tonkunst fand in Hamburg stets die ausgiebigste Pflege und zahlreiche Freunde. Die Concerte der „Philharmonischen Gesellschaft“ genießen in der Musikwelt mit Recht großer Berühmtheit.

Es war darum gewiß nicht ungerechtfertigt, wenn man Hamburg als Nachfolgerin von Dresden und München zum Orte für das dritte deutsche Sängerbundesfest ausersah. Das erste Fest mußte selbstverständlich dort gefeiert werden, wo des deutschen Sängerbundes eigentliche Wiege steht, in dem liederfrohen Sachsen; das zweite wurde begangen im deutschen Süden, wo Sang und Klang ihre uralte Heimstätte haben. Zum dritten Feste wurde das Banner des Bundes hinaufgetragen nach dem deutschen Norden, um die deutsche Einheit auch im Reiche der Töne zu manifestiren und der Welt zu zeigen, daß auch dem Norddeutschen wie seinem süddeutschen Bruder „schenkte des Gesanges Gabe, der Lieder süßen Mund Apoll“. Als die Beschlußfassung über das Fest getroffen war, trat sofort in Hamburg eine Reihe der angesehensten Männer zusammen, um dasselbe in einer ihrer Vaterstadt würdigen Weise vorzubereiten.

An die Spitze trat Dr. Kirchenpauer, der würdige und gelehrte Bürgermeister der freien Hansastadt, ein Mann, der in seinem langen Leben sich viele Verdienste tun Wissenschaft und Kunst erworben und dessen Name in Hamburg zu den gefeiertesten gehört. Zum ersten und zweiten Präsidenten wurden auserkoren Senator Haye und Dr. Hachmann, Präsident der „Bürgerschaft“. Es bildeten sich die nöthigen Ausschüsse, die ungesäumt eine energische Thätigkeit entwickelten. Die Bogen, welche der Finanzausschuß zur Zeichnung der erforderlichen Fonds circuliren ließ, bedeckten sich rasch mit gewichtigen Unterschriften, und bald konnte der Ausschuß constatiren, daß die Baarmittel für das Fest gesichert seien. Mit schwierigeren Umständen hatte der Quartierausschuß zu kämpfen. Es bedurfte von seiner Seite wiederholt eines dringenden Appells an die Gastfreundschaft der Bevölkerung, um die große Zahl der nothwendigen Freiquartiere zu beschaffen; denn darin hat der Hamburger, ungeachtet seiner sonstigen guten Eigenschaften, etwas unverkennbar Englisches, daß er sein Haus gern als eine Welt für sich behütet. Auch er sagt: „Mein Haus ist meine Burg.“

Zuletzt indessen wurde der Quartierausschuß jeder Sorge enthoben, als die „Hamburg-Amerikanische Paketfahrt-Actien-Gesellschaft“ in liberalster Weise ihm ein schwimmendes Hôtel zur Verfügung stellte, nämlich ihren großen transatlantischen Dampfer „Lessing“, der, wie alle Auswandererschiffe der Gesellschaft, bekanntlich mit höchstem Comfort eingerichtet ist. Ferner bot die Oberschulbehörde dem Ausschusse ihre Volksschulen, sämmtlich erst in den letzten Jahren erbaute schöne Gebäude, mit hohen luftigen Räumen, zur Einrichtung von Massenquartieren an. Es bedurfte so vieler Quartiere, weil die Zahl der angemeldeten Sänger eine unerwartet große war. Nicht weniger denn 8620 Mitglieder des deutschen Sängerbundes meldeten sich an. Davon stellte allein das Königreich Sachsen 2833. Alle diese Sänger zusammen bilden gewiß ein gewaltiges Sängerheer, und es muß majestätisch erklingen, wenn aus all diesen Tausenden von Männerkehlen vierstimmig kunstvoller Gesang brausend schallt und auf prächtigem Klanggefieder sich in die Lüfte erhebt.

Als der geeignetste Ort zur Abhaltung des Festes wurde die sogenannte Moorweide vor dem ehemaligen Dammthore ausersehen. Die dort vor zwei Jahren errichtete permanente Ausstellungshalle, ein ganz aus Holz und Eisen construirter stattlicher Kuppelbau, wurde zur Festhalle umgewandelt, der weite Platz ringsum eingehegt, mit den nöthigen Restaurations- und Erfrischungshallen versehen und zum Festplatze erhoben. Unser Künstler hat die Festhalle und ihre Umgebung für die Leser der „Gartenlaube“ mit getreuem Stifte wiedergegeben. Der im Innern wie von außen für das Fest prächtig decorirte Bau ist von kolossalen Dimensionen, und das ist auch nöthig für die beiden Riesenconcerte, die darin abgehalten werden sollen. In dem nach dem Dammthore gerichteten Flügel ist die Estrade aufgebaut, aus der sich die Sänger aufstellen. Dieser gegenüber befindet sich eine Tribüne mit 934 Balconsitzen, und in der Mitte der Halle sind 6390 Parquetsitze eingerichtet. Außerdem bietet die Halle noch Raum für 2200 Stehplätze. Vor der Halle ist auf dem Platze

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 532. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_532.jpg&oldid=- (Version vom 14.8.2023)