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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

No. 32.   1882.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Der Krieg um die Haube.

Von Stefanie Keyser.
(Fortsetzung.)


Der Schultheiß aber fuhr fort:

„Und womit haben die Frauen, welche an der guten alten Sitte festhalten, verdient, daß ihre würdige Kopfbedeckung herabgesetzt wird wie verschlagnes Geld? Ganz zu geschweigen von der Gefahr, welche unsre Frauen laufen, wenn sie sich so mit entblößtem Antlitz den fremden Gästen zeigen! Müssen sie nicht die Zielscheibe werden für die Späße des Hofnarren Seiner fürstlichen Durchläuchtigkeit?“

„Des Hofnarren, Herr Schultheiß? Auch das ist ein veraltetes Wort,“ verbesserte Wilhalm verdrüßlich. „Der Narr großer Herren heißt jetzt: der lustige Rath.“

„O tolle Zeit!“ seufzte der Schultheiß. „Der Narr wird Rath genannt, und die, welche zu Rathsherren berufen sind, sollen für Narren gehalten werden. Aber so weit sind wir noch nicht in Nürnberg. Schreibt, Herr Rotmund, daß ein wohlweiser Rath der freien Reichsstadt mit schwerem Mißfallen den Fürwitz der Frauen wahrgenommen hat, dieselben zur Ehrbarkeit und Zucht ermahnt, auch ernstlich verwarnt, ferner Rotten zu machen, und ihre Bitte abschlägig bescheidet! Von Rechtswegen!“

Da ermannte sich ein ehrbarer Rath und ging zur Tagesordnung über, welche den bevorstehenden Besuch des Erzherzogs betraf. Und nachdem beschlossen war, daß man Seiner fürstlichen Durchläuchtigkeit als römischer kaiserlicher Majestät Statthalter im heiligen deutschen Reich mit besondrer Ehrerbietung entgegenreiten und Hochdieselbe ganz tapfer und ehrlich empfangen wolle, begaben sich die Herren in die Vorzimmer, wo eine bunte Schaar ihrer harrte, welche von den Stadtknechten zusammenberufen war, um Befehle zu empfangen. Da erhielt der Zeugmeister Weisung, seine Büchsen in Stand zu setzen, auf daß ihr eherner Mund dem Erzherzoge kräftigen Gruß zu donnern vermöge; die Stadtpfeifer wurden ermahnt, den hohen Gast lieblich anzublasen; den Fischhändlern ward kund, wie viel Schaff gute Fische sie für die Tafel des Erzherzogs, den Meiern aus den städtischen Vorwerken, wie viel Hafer für seine Rosse sie zu liefern hätten, und bei den berühmten Goldschmieden wurden als Gastgeschenk vergoldete Becher und eine Credenz erkiest.

„Und nun werde ich mich auf die Veste begeben,“ sagte der Rathsbaumeister, Herr Paumgartner, „um dieselbe zu einem schicklichen Losament für Seine fürstliche Gnade herzurichten. Und werde ich die Reimlein noch einmal durchlesen, in welche unser Meister Hans Sachs allen nothdürftigen Hausrath gebracht hat, den Müttern und Vätern, so eine Ausstattung beschaffen müssen, zu Nutz und Frommen. Wofür wäre in Nürnberg nicht gesorgt? Es geht nichts über unsre hochberühmte Stadt,“ schloß er, sich stolz aufrichtend.

„Wollt nicht allzu fest auf diesen Ruhm bauen!“ widersprach ihm Wilhalm. „Mancher ist uns widerwärtig, und ich habe vernommen, daß solche, die unsrer Stadt die Ehre des fürstlichen Besuches nicht gönnen, die Burg für einen baufälligen Säustall verschreien.“

Darob entsetzte sich ein ehrbarer Rath, und Herr Obernitz rief:

„Haben die schwatzhaftigen Neidharte unsre Stadt in ein übles Geschrei gebracht, so wollen wir ihnen das Maul verstopfen. Und meine ich, daß man soll den großen Reichsadler, der seine Fittiche über die Decke des Prunkgemaches auf der Burg breitet, frisch vergolden, damit männiglich erkenne, es ist eine Behausung für einen königlichen Vogel und nicht für ein ekles Rüsselthier. Dennoch mahne ich Euch, nicht allzu hoch und allzu üppig zu rüsten, auf daß nicht die Geschlechter und ehrsamen Bürger in überflüssige Unkosten geführt werden. Was kümmert unsre freie Stadt das Gekläff welscher Hofschwänzler?“

Mannlich und stolz reckten die Rathsherren die Köpfe aus ihren feingestickten Hemdkrausen empor. Aber als Herr Haller die neue Erfindung des Meisters Peter Hele, das lebendige Nürnberger Ei, welches die Zeit verkündet, aus der Tasche zog und sagte, es sei weit über Mittag, man müsse sich heim begeben, da knickten die stattlichen Gestalten wieder zusammen, und auch dem Stadtschultheißen klang die Stimme gepreßt, da er die Sitzung aufhob. Der Rotmund meinte, er wolle zu seinem husarischen Aufzug noch die Genossen werben; der Ebner, er werde sofort seinen Rundgang antreten, die Kaufleute zu dem Reiterzug zu entbieten. Selbst den Imhof schien es nicht nach Hause zu ziehen. Er erklärte, er wolle noch heute die Stadtknechte zu den Handwerkern entsenden und ihnen kund thun lassen, daß sie vor dem hohen Gaste unter den langen Spieß treten sollten.

Wilhalm Haller ging allein nach Hause. In ihm kochte der Groll darüber, daß eine verständige Neuerung von den Vätern der Stadt abgewiesen worden war. Wie oft hatte er in der Welt draußen hören müssen, daß man alles das, was recht hinter der Zeit und neuen, freien Sitte zurück war, nach seiner nürnbergischen Heimath altfränkisch nannte! Er knirschte heimlich mit den Zähnen, wenn er daran dachte, wie erstaunt der Erzherzog, wie spöttisch die fremden Herren dreinschauen würden, wenn sie einritten in das altfränkische Nürnberg, das ihnen erscheinen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 521. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_521.jpg&oldid=- (Version vom 4.4.2023)