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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

zeigte sich an seinem Hofe eine ähnliche Strömung. Früher waren die Franzosen die tonangebenden Factoren gewesen, und die Vorliebe des Khedives für Paris und Frankreich und überhaupt für französisches Wesen zeigte sich überall. Zunächst erklärte sich dieselbe wohl aus einer alten Familientradition; denn Mohammed Ali, der Gründer der jetzigen Dynastie und der eigentliche Schöpfer des heutigen Aegyptens, hatte stets einen treuen Bundesgenossen an Frankreich gehabt, das nur in den dreißiger Jahren unter Ludwig Philipp nicht stark genug war, um ihn gegen England und die Türkei zu schützen. Auch Saïd Pascha, der Vorgänger Ismaïl’s, hatte viele Franzosen an seinen Hof gezogen und viele Beamtenstellen mit Franzosen besetzt; Ismaïl selbst hatte sich seine europäische Bildung aus Paris geholt, wo er als junger Prinz mehrere Jahre zubrachte. Diese „Bildung“ bestand freilich nur in einem äußerlichen Firniß, aber er hatte sich doch die Kenntniß der französischen Umgangssprache und seine gefällige Formen und Manieren angeeignet.

Nach seiner Thronbesteigung im Jahre 1863 – ein Ausdruck, der, nebenbei bemerkt, in Stambul für den Regierungsantritt des Vicekönigs von Aegypten sehr stark verpönt ist – wurde Alles an seinem Hofe auf französischen Fuß eingerichtet, und, wo es irgend thunlich war, in genauer Copie des Tuilerienhofes, was in Europa und speciell in Paris oft große Heiterkeit erregte. Sogar ein Oberceremonienmeister wurde ernannt, der anfangs etwas unbeholfen war und eine auffallend dunkle Gesichtsfarbe hatte. In allen Ministerien wurde neben der türkischen, als amtlichen Sprache, auch die französische eingeführt, und am Hofe gab es, vom Cabinetssecretär bis zu den Kammerdienern und Mundköchen hinab, fast nur Franzosen.

Napoleon der Dritte war das Ideal des neuen Vicekönigs, und der Kaiser, der damals noch ein mächtiger und gefürchteter Herr war, bewies ihm stets große Freundschaft und schlichtete auch die Differenzen, die England in der Suezcanalfrage mehrfach anregte, stets zu seinen Gunsten. Das ägyptische Volk (natürlich nur die höheren Classen, denn die Fellachen „zählen“ nicht) war nicht sonderlich erbaut von der französischen Wirthschaft, und als der Khedive gar ein pompöses Opernhaus nach Pariser Stil erbauen ließ und einen Hoftheaterintendanten ernannte, der sofort ein Balletcorps und die Schneider als „schöne Helena“ verschrieb, da regte sich bei den glaubenstreuen Ulemas der Groll gegen dieses abscheuliche christliche Gebahren und mehr als einmal soll in der Nacht Feuer an das gottlose Gebäude gelegt worden sein. Man schickte aber trotzdem einen eleganten viceköniglichen Dampfer nach Marseille, um das Balletcorps zu holen und die Schneider dazu; die hübschen Damen (man hatte nur hübsche ausgesucht) verlebten in Kairo gute Tage.

Einige Operntexte, darunter auch derjenige der „Schönen Helena“, wurden sogar in das Arabische übersetzt und in der Staatsdruckerei von Bulacq gedruckt, um den Paschas und den übrigen vorurtheilsfreien Mohammedanern das Verständniß der schönen abendländischen Dichtungen zu erleichtern. Monsieur Offenbach war der Mozart von Kairo geworden, und die jungen Efendis trillerten in den öffentlichen Gärten seine leichten, losen Melodien und machten auch Fensterpromenade vor den Häusern der Sängerinnen. So zog immer mehr „abendländische Cultur“ in Aegypten ein – ob die richtige und heilsame, ist freilich eine andere Frage.

Es ließen sich noch eine Menge Beispiele citiren, als Beleg dafür, wie Ismaïl Pascha seine culturhistorische Mission auffaßte, darunter viel lustige und bunte und auch oft skandalöse Geschichten, doch das würde uns zu weit führen, zumal wir ja nur einen flüchtigen Blick auf die Vergangenheit werfen wollen, um daraus die Gegenwart zu erklären.

Eines schönen Tages war es plötzlich mit dem herrschenden französischen Einflusse vorbei, nämlich im Kriegsjahre 1870, wo den Franzosen von den Deutschen so bös heimgeleuchtet wurde: Schlacht auf Schlacht und Niederlage auf Niederlage für die Franzosen, der Kaiser geächtet und gefangen, der stolze Tuilerienthron umgestürzt, die Kaiserin, die schöne Kleopatra vom vorigen Jahre, in niederer Verkleidung aus Paris geflüchtet und in Paris selbst die Republik proclamirt – unglaublich, aber wahr!

Jetzt kam Deutschland zu hohen Ehren am viceköniglichen Hofe, und der deutsche Generalconsul, der unvergeßliche Herr von Jasmund, war dort auf einmal die bedeutendste diplomatische Figur geworden, Bismarck der erste Staatsmann und Moltke der erste Feldherr seiner Zeit. Die französische Colonie in Aegypten verlor augenscheinlich viel von ihrem bisherigen hochfahrenden Wesen, und die Deutschen, die schon wegen ihrer geringen Anzahl niemals eine hervorragende Rolle am Nil gespielt hatten, gingen ruhig wie sonst ihren Geschäften nach, wenn auch nicht ohne eine gewisse innere Befriedigung über die vermehrte Achtung und Bewunderung, die ihnen von allen Seiten entgegen getragen wurde.

Zu gleicher Zeit traten die Engländer mit sehr viel Aufsehen in den Vordergrund. Ihre Colonie, obwohl bei weitem nicht so zahlreich wie die französische, war schon seit Jahren in Aegypten sicher und gut etablirt, und ihre Banken, Handelshäuser und Agenturen, die letzteren für den Export der Baumwolle nach England und für den Import aller möglichen Waaren aus Indien, hatten mehr als andere den Ruf großer Solidität. Außerdem waren an allen Instituten und Etablissements, die zum Maschinenwesen gehörten, Engländer angestellt, sowohl auf den Eisenbahnen und Dampfschiffen wie auch bei den Wasser- und Schleusenwerken, und ganz speciell in den viceköniglichen Zuckerfabriken, deren Leitung sich ganz in ihren Händen befand. Seit Eröffnung des Suezcanals war der Zuzug der Engländer noch bedeutender geworden, wie sie auch von jeher das namhafteste Contingent an Nilreisenden geliefert hatten. Abenteurer, Stellensucher, Projectenmacher und sonstige Schwindler, von denen es im Pharaonenlande stets wimmelte, gab es unter den Engländern so gut wie gar nicht, wenigstens nicht unter den eigentlichen Engländern; denn die Malteser und etwa noch die Griechen von den ionischen Inseln gehören zu den schlimmsten Subjecten der buntgemischten Bevölkerung der großen ägyptischen Städte, einer Musterkarte aller Nationalitäten der Erde.

So hatten die Engländer also schon im Stillen gut vorgearbeitet und als praktische Leute, die sie ja von jeher gewesen sind, das Terrain nicht allein genau recognoscirt, sondern schon zum Theil im Stillen besetzt, als nach dem oben erwähnten viceköniglichen Decret der Ruf an sie erging, in den engeren Rath des Khedive zur Theilnahme an der Finanzreform einzutreten. Von da an datirt ihr officielles Mitregieren, und sie betrachteten sich schon als die Herren des Nillandes wie zu Anfang dieses Jahrhunderts in Indien. Die Franzosen wurden möglichst bei Seite geschoben, was sie sich wider ihren Willen gefallen lassen mußten. Ganz ignoriren durfte man sie nicht, um sie sich nicht vor der Zeit zu Feinden zu machen und auch um den Khedive nicht vor den Kopf zu stoßen, aber sie nahmen immer nur die zweite Stelle ein, und in streitigen Fällen gaben die Engländer stets den Ausschlag.

Es kamen nun allerlei englische und französische Finanzcommissäre in’s Land, der französische indeß stets im Schlepptau des englischen, und die Enquête begann. Derselben präsidirte der Generalzahlmeister der englischen Armee, jedenfalls ein bewährter Finanzmann, der aber trotzdem von dem schlauen Muffetisch, den der Khedive nicht entlassen wollte, dergestalt hinter’s Licht geführt wurde, daß der Rapport ganz illusorisch ausfiel. Der darauf folgende Commissar Göschen setzte wenigstens die Entfernung des allgemein verhaßten Finanzministers durch, dessen sich der Khedive denn auch endlich und zwar in echt orientalischer Weise entledigte. Auf der Spazierfahrt, wie er sie täglich mit seinem Freund und Günstling machte, besichtigten sie ein restaurirtes Dampfschiff und beim Fortgehen – die Befehle waren schon vorher gegeben worden – wurde der Muffetisch einfach am Bord zurückgehalten. Alles Weitere beschränkt sich auf Gerüchte. Nach den Einen soll der Minister sofort erdrosselt worden, nach Anderen unterwegs (denn er war nach Dongola in Nubien exilirt worden) plötzlich an einem heftigen Cholera-Anfalle gestorben sein. Gleichviel, der Khedive hatte ihn, ein zweiter Ollivier, „leichten Herzens“ beseitigt. Dergleichen geschieht heutzutage noch oft im Orient, und es kräht kein Hahn darnach. Wie viele solcher Gräuel mögen die hohen Haremsmauern in Kairo, Stambul oder sonstwo bergen! Und wurde nicht bald darauf der Sultan Abdul-Asiz mit der ominösen Scheere „geselbstmordet“?

Am nächsten Morgen enthielt die amtliche Zeitung, „le Moniteur égyptien“, die Nachricht von einer entdeckten Verschwörung, an deren Spitze der Muffetisch gestanden habe und die keinen geringeren Zweck hatte, als den Khedive zu stürzen und Halim Pascha auf den Thron zu setzen. Obwohl der Minister

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 518. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_518.jpg&oldid=- (Version vom 7.8.2023)