Seite:Die Gartenlaube (1882) 489.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

No. 30.   1882.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Der Krieg um die Haube.

Von Stefanie Keyser.

Das Jahr des Herrn 1521 war soweit vorgeschritten, daß der launenhafteste und wetterwendischste aller Tage, der erste April, vor der Thür stand, und wie allerorten im deutschen Lande, machte sich auch in der freien Reichsstadt Nürnberg männiglich auf einen Schalksstreich von ihm gefaßt. Vorsorglich holten die ehrsamen Bürger noch einmal den Zipfelpelz hervor und hingen ihn hinter den Kachelofen, um sich zu schützen, wenn etwa die Hagelsterne ihre vom Winter her noch vorräthigen eisigen Früchte über die ersten Frühlingskeime schütteten oder „Bäcker und Müller sich rauften“, daß die weißen Flocken stiebten; die andächtigen Frauen, welche die Frühmessen zu besuchen pflegten, hatten ein Feuerstüblein bereit gestellt, das sie bei vielleicht vorkommenden bösen Nebeln vor Leibesgebreste bewahren sollte.

Der alte Schelm machte sie alle zu Narren. Unter lachendem Sonnenschein zog er über die baierische Ebene gegen die wehrhaften Mauern heran; mit südlich warmem Hauch drehte er die Wetterfahnen auf den stolzen Thürmen von St. Sebaldus, St. Lorenzo und dem Vestnerthor herum, und kreischend stimmte die zahllose Schaar ihrer Genossen ein, Jedermann kund und zu wissen thuend, daß der Wind itzo aus einer andern Ecke pfeife.

Der gutgelaunte Gast ward freudig willkommen geheißen. In den von steinernem Blattwerk umkräuselten Erkern der Patricierhäuser schoben zarte Frauenhände die Fenster auf; und die kunstfertigen Meister öffneten die Pforten der Werkstätten, daß der Klang ihrer Hämmer hinausscholl in die klare Luft, die jungen Mägde aber holten ihre Scherben mit Hochmuth und Muthwillen, wie sie ihre Nägleinblumen benamsten, aus den Kellern und stellten sie in die hölzernen Laubengänge vor dem Haus, während die Hausfrauen auf dem Markte von den Bauern große Büschel grüner Peterla kauften, die mit Schwämmklößen auf den Mittagstisch kommen sollten, und übermüthige Junker in buntseidenen geschlitzten Wämsern wie frisch ausgekrochene Schmetterlinge um die Veilchensträuße der hübschen Gärtnermädchen flatterten; selbst der alte Pater, der im Clarenkloster die Messe gelesen, trug ein mit gelben Blüthenkätzchen bedecktes Weidenzweiglein in der Hand, das er auf dem Kirchhofe gebrochen hatte.

Nur zwei Kinder der freien Stadt wurden des Frühlingstages nicht froh, sondern rannten wie mit brennenden Köpfen und hörten und sahen nichts. Das eine dieser Stadtkinder war ein Knecht in eines ehrbaren Rathes Dienstkleid von rothem lundischem Tuche, einen Spieß in der Hand tragend, gleich einem Wanderstab; das andere die Gürtelmagd der Frau Rotmundin, einer jungen Frau aus den stolzen Geschlechtern Nürnbergs. Zum ersten Mal begegneten sich die beiden in der Sebaldus-Kirche, wo sie am Grabmale des Schutzpatrons der Stadt eine eilige Morgenandacht verrichten wollten. Mit Verdruß sah der Stadtknecht, daß die Magd das Tuch, das ihr vom Kopfe zurückgeglitten war, scheu in’s Gesicht zog, da er ihr die Tageszeit bot. Warum that das naseweise Ding so fremd? Begegnete er ihr doch täglich im Hause ihrer Herrschaft, wenn er Botschaft an den jungen Rathsherrn zu tragen hatte. Aergerlich stieg er nach der Gasse „Unter der Veste“ hinauf, aber als er in das Scheuerl’sche Haus treten wollte, stand er schon wieder ihr gegenüber; sie kam heraus – er ging hinein. Kopfschüttelnd trabte er nach St. Aegidien hinüber, da verschwand eben ihr schwarzer Mantel wie eine Fledermaus hinter der grauen Eucharius-Capelle. Auf dem Herrenmarkt schien sie Haschen mit ihm zu spielen; sobald er ein Haus betrat, verließ sie dasselbe, und wenn er in das Geheimstüblein des Herrn stapfte, schlich sie aus dem Gemach der Frau hervor. Sonderbar! Während er breitspurig auf der stolzen steinernen Brücke die Pegnitz überschritt, mochte sie sich durch das Heiligegeisthospital gestohlen haben; denn vor dem hohen Portal der Kirche des zweiten Schutzheiligen der Stadt prallten sie abermals zusammen.

„Heiliger Lorenz, behüt mich vor Versuchung!“ seufzte der Knecht. „Ich glaub halt, die Dirn hat’s auf mich abgesehen.“

Und die Magd griff nach dem Rosenkranz, der ihr am Gürtel hing. „Jesus, Maria und Joseph! Kann man den Kerl nit los werden? Schützt mich vor dem alten Fratz!“

Aber die Heiligen hatten taube Ohren. Denn als er in der Spitzbogenpforte des Nassauerhofes seinen Spieß aufstieß, klapperten über ihm ihre flinken Füße auf der Schneckentreppe, und als Beide zur Rückkehr vorsichtig den abgelegenen Henkersteg wählten, trafen sie abermals auf der Pegnitz zusammen, worauf Jedes ein Kreuz schlug und davon stob. Unter den Buden des Tandelmarktes wurden sie endlich einander los.

Während diese wundersamen Begegnungen zwischen Knecht und Magd sich abspielten, saß in dem Erker eines stattlichen Hauses, der Frauenkirche gegenüber, die Herrin der Magd. Es war ein schönes junges Weib, von Gestalt so rund und zierlich, von Gesicht so frisch und rothwangig und mit so holdseliger Schalkheit gesegnet, daß ihr wohl kein Adamssohn widerstehen mochte. Ihre dunkelblauen Augen funkelten und lachten, während sie durch die buntgemalten Fenster hinausschauten. Aber sie sahen nicht, wie die Sonnenstrahlen auf dem in gothischen Bogen sich aufschwingenden Giebel der Frauenkirche spielten und die Bildsäule der Himmelskönigin mit einem lebendigen Glorienschein umgaben, daß sie lieblich anzuschauen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 489. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_489.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2023)