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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Glied, knotet die Enden gut zusammen, schiebt einen Knebel (Stock, Waschschlüssel, Mörserstempel, Axt, Degen mit Scheide, Ladestock) unter das Tuch und dreht denselben so lange herum, bis die Blutung steht (Knebeltourniquet).

Aber eine elastische Umschnürung ist in allen Fällen vorzuziehen, weil die Wirkung derselben kräftiger und von größerer Dauer ist.

Ich habe neuerdings elastische Hosenträger anfertigen lassen, deren Gurt aus einem Stücke besteht und so lang ist, daß man damit bei dem kräftigsten Manne die Schenkelpulsader zusammenschnüren kann. Wer ein solches Tragband trägt, wird also im Stande sein, jede Blutung aus Armen oder Beinen an sich selbst oder Anderen mit Hülfe desselben zu stillen.

Die Veranlassung zur Erfindung dieses Tourniquet-Hosenträgers gab mir der Verblutungstod des Kaisers Alexander’s des Zweiten von Rußland. Wer erinnert sich nicht mit Entsetzen des schrecklichen Endes dieses unglücklichen Monarchen? Durch die von verruchter Mörderhand geschleuderte Bombe wurden beide Beine des Kaisers zerschmettert; aus den zerrissenen Adern strömte das Blut, aber Niemand war zur Stelle, der es verstanden hätte, den Blutstrom zu hemmen. Ohne daß ein Verband angelegt worden, fuhr man den ohnmächtigen in einem Schlitten zum Winterpalast. Während der Fahrt rieselte das Blut unaufhaltsam aus den gräßlichen Wunden, und fast leblos kam der Kaiser im Schlosse an. Erst hier suchten die herbeigerufenen Aerzte durch Einwicklung mit elastischen Binden das wenige noch im Körper vorhandene Blut nach dem Herzen zu drängen; darnach wurden die Herztöne wieder hörbar, die Athemzüge tiefer. Der Kaiser schlug noch einmal die Augen auf. Man reichte ihm das Abendmahl und schickte nach Instrumenten, um fremdes Blut in die Adern zu spritzen. Aber ehe dieselben ankamen, wurden Herzschlag und Athembewegungen wieder schwächer und hörten plötzlich ganz auf – der Kaiser war todt.

In einem Berichte, welchen Dr. Dworjaschin in der „St. Petersburger Zeitung“ über die Verwundung des Kaisers veröffentlichte, heißt es : „Wäre ein sachverständiger Mann in der Nähe gewesen und hätte die Umgebung Seiner Majestät nicht den Kopf verloren, wäre eine Compression der Pulsadern oder eine feste Einschnürung der Schenkel vorgenommen, so wäre der Kaiser wahrscheinlich gerettet gewesen.“ (?)

Dieses traurige Ereigniß beschäftigte lange meine Gedanken. Es war mir unbegreiflich, daß bei der Lebensgefahr, von welcher der Kaiser stets bedroht war, man nicht seine Umgebung, Lakaien, Kutscher, Reitknechte oder Leibkosaken mit elastischen Schläuchen versehen und darin unterrichtet hatte, in solchem Falle die erste Hülfe zu leisten, nachdem ich doch schon vor acht Jahren gelehrt hatte, wie jeder Laie auch ohne anatomische Kenntnisse mit Hülfe eines solchen Gummischlauches jede Blutung aus verletzten Pulsadern an den Gliedern stillen könne.

Da fiel mir ein, daß es zweckmäßig sein dürfte, einem allgemein gebrauchten Kleidungsstück eine solche Construction zu geben, daß es in derartigen Nothfällen mit gutem Erfolge gebraucht werden könnte, und so entstand der „Tourniquet-Hosenträger“.

Ich wendete mich an den Inhaber der rheinischen Gummiwaarenfabrik, Herrn Franz Clouth in Nippes bei Köln, und veranlaßte ihn, derartige Träger herzustellen, die nunmehr nach vielen Versuchen zu meiner Zufriedenheit ausgefallen sind, sodaß ich Herrn Clouth die Erlaubniß gegeben habe, jedem Exemplar eine von mir verfaßte Gebrauchsanweisung beizugeben. (Preis pro Paar 2,50 M.)

Ausdrücklich warnen muß ich noch vor der Anwendung der sogenannten Blutstillungsmittel, welche so oft in die blutende Wunde hineingestopft werden, seien es nun die aus der Apotheke bezogenen (Eisenchlorid, gelbe Charpie, Pinghawer-Yambi etc.) oder seien es Volksmittel (z. B. Spinnengewebe, welches gewöhnlich aus den staubigsten Ecken geholt wird). Man kann mit solchen Mitteln wohl unbedeutende Blutungen zum Stehen bringen, aber ein zweckmäßig angewendeter Druck erreicht diesen Zweck viel besser, und nach dem, was ich über die schädliche Einwirkung jeder Art von Verunreinigung auf die Wunden gesagt habe, wird es klar sein, daß solche Mittel meist nur Schaden anrichten können, jedenfalls die rasche Heilung durch erste Verklebung verhindern müssen.




Ueber Rechte und Pflichten der Eisenbahnreisenden und der Eisenbahnverwaltungen.

Seitdem der Dampf den Verkehr der Menschen neugestaltet hat, ist das ganze Jahr hindurch Reisezeit. Wenn auch der Sommer für die Vergnügungsreisenden seinen natürlichen Vorzug behauptet und namentlich für die kurzen Fahrten, die Tagesausflüge, Tausende in Bewegung setzt, so werden doch in den übrigen Jahreszeiten durch die Gebote der Arbeit und Pflicht in deren zahllosen Verzweigungen die Bahnhöfe bevölkert, während „das Geschäft“ diejenigen, welche sogar den Titel „Reisende“ führen, das ganze Jahr auf allen Bahnen herumhetzt. – Zwischen diesen und den Vergnügungsreisenden, welchen das Glück es gestattet, jedes Jahr in die Bäder oder in schöne Länder zu eilen, und die eben deshalb auf den Eisenbahnen nach und nach „wie zu Hause sind“, bewegt sich eine nicht geringe Anzahl Anderer, denen man es auf den ersten Blick ansieht, daß ihnen eine Eisenbahnfahrt, wenn auch nicht etwas Neues, so doch etwas Seltenes ist. Solchen Reisenden, zu denen ganz gebildete und sogar gelehrte Leute gehören können, erwachsen nun sehr leicht Unannehmlichkeiten aus der Unkenntniß der mancherlei gesetzlichen Eisenbahn-Anordnungen. Selbst Vielgereiste wissen vielfach nicht, daß Specialbestimmungen einzelner Eisenbahnverwaltungen neben denen der Reglements vom 1. Juli 1874 und vom 1. Juni 1876, in Uebereinstimmung mit dem Bahnpolizei-Reglement vom 4. Januar 1875, respective vom 12. Juni 1878 nur noch in so weit Geltung haben, als sie mit demselben nicht im Widerspruch stehen, dasselbe vielmehr nur ergänzen oder dem Publicum günstigere Bedingungen gewähren.

An diese Seltenreisenden richten sich die folgenden, belehrenden Mittheilungen eines Vielerfahrenen, und wenn der reisebewandertere Leser längst Bekanntem darin begegnet, so berücksichtige er das Bedürfniß Anderer, nicht damit Vertrauter, die wir aus ihren selteneren Reisen vor dem zu bewahren wünschen, was das Störendste derselben ist, vor Aergerlichkeiten.

Als erstes hat der Eisenbahnreisende stets im Auge zu behalten, daß bei etwaigen Streitigkeiten mit dem Dienstpersonal der Eisenbahnen, wenn diese auf den Stationen stattfinden, der Stationsvorsteher, während der Fahrt aber der Zugführer die entscheidende Instanz bildet. Das Publicum ist verpflichtet, den Anordnungen des Dienstpersonals, so weit dasselbe durch Uniform oder Dienstabzeichen legitimirt ist, unbedingt Folge zu leisten; vorkommende Streitigkeiten hat dasselbe entweder mündlich bei den Vorgesetzten zur Erledigung zu bringen oder seine Beschwerden bei den Dienstvorgesetzten schriftlich anzubringen, respective in das auf jeder Station befindliche Beschwerdebuch einzutragen.

Was dann zunächst die Personenbeförderung anlangt, so muß ausdrücklich gesagt werden, daß diejenigen Reisenden, welche fünf Minuten vor Abgang des Zuges noch keine Fahrkarte gelöst haben, aus Verabfolgung einer solchen einen Anspruch nicht haben.

Häufig tritt der Fall ein, daß Zuspätkommende den Schalter bereits geschlossen finden und, ohne einen Fahrschein gelöst zu haben, im Coupé Platz nehmen. Hier treten folgende Bestimmungen in Geltung:

„Der Reisende, welcher ohne gültigen Fahrschein betroffen wird, hat für die ganze von ihm zurückgelegte, und wenn die Zugangsstation nicht sofort unzweifelhaft nachgewiesen werden kann, für die ganze vom Zuge zurückgelegte Strecke das Doppelte des gewöhnlichen Fahrpreises, mindestens aber den Betrag von sechs Mark zu entrichten. Derjenige Reisende jedoch, welcher in einen Personenwagen einsteigt und gleich beim Einsteigen unaufgefordert dem Schaffner oder Zügführer meldet, daß er wegen Verspätung keinen Fahrschein habe lösen können, hat, wenn er überhaupt noch zur Mitfahrt zugelassen wird, worauf er aber keinen Anspruch hat, einen um eine Mark erhöhten Fahrpreis zu zahlen. Wer die sofortige Zahlung verweigert, kann ausgesetzt werden.“

Nachdem der Zug sich in Bewegung gesetzt, ist jeder Versuch zum Einsteigen sowie jede Hülfeleistung dazu streng verboten, ja strafbar. Das Fahrgeld muß eigentlich und sollte stets von jedem Reisenden abgezählt bereit gehalten werden, weil am Schalter durch Wechseln größerer Geldscheine und durch Herausgeben kleiner Münze zu viel Zeit verloren geht. Auch ist wohl zu merken, daß Coupons, und zwar auch von Staatspapieren, nicht in Zahlung genommen werden, sondern daß jede solche in Reichs- oder Landesmünze, Reichscassenscheinen oder dem landesüblichen Papiergelde geleistet werden muß. Ausländisches Geld, Gold oder Silber, wird überhaupt nicht angenommen.

Uebrigens kann kein Passagier gezwungen werden, in einer niedrigeren Classe Platz zu nehmen, als er bezahlt hat, und bei etwa eintretendem Raummangel geben die Fahrbillets Anspruch aus die betreffende Wagenclasse, so weit in dieser Plätze vorhanden sind, respective beim Wechsel der Wagen vorhanden bleiben, wenn aber einem Reisenden der seinem Fahrschein entsprechende Platz nicht angewiesen und ihm auch zeitweilig ein Platz in einer höheren Classe nicht eingeräumt werden kann, so steht es ihm frei, den Fahrschein gegen einen solchen der niedrigeren Classe, in welcher noch Plätze vorhanden sind, und gegen Erstattung des Unterschiedswerthes einzuwechseln oder die Fahrt zu unterlassen und das bezahlte Fahrgeld zurückzuverlangen. Jedenfalls haben aber die mit durchgehenden Fahrscheinen versehenen Reisenden den Vorzug vor den neu hinzukommenden.

Unterwegs, also auf Zwischenstationen, kann ein Uebergehen auf Plätze einer höheren Wagenclasse nur dann beansprucht werden, wenn man einen Fahrschein auf die Bestimmungsstelle einlöst, durch dessen Preis, einschließlich desjenigen für den bereits gelösten Fahrschein, der Fahrpreis für die höhere Classe mindestens gedeckt wird.

Diese Bestimmungen sind von außerordentlicher Bedeutung insbesondere

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 486. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_486.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2023)