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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


Als die Herren wieder den Park betraten, blieb Bob hinter ihnen zurück und schlug einen Nebenweg ein, der, wie er wußte, in einer geschorenen Buchenhecke dicht am Hause endete. Es verlangte ihn darnach, noch einige Augenblicke mit sich allein zu sein; denn wenn das Große, was gewesen, die Fluth seiner Gedanken, auch längst wieder stillem Besinnen Platz gemacht hatte – ein Hauch davon war noch immer um ihn, und schon dieser Hauch schien so köstlich, daß er beachtet sein, genossen werden mußte.

Wenn ein lieber Zufall sie doch auch ihn suchen ließe, er sie gerade auf diesem Wege fände!

Seine Phantasie stellte ihm Alma so treu vor; er sehnte sie herbei, daß es ihm war, als dürfe er nur noch jene Biegung erreichen – da werde sie stehen in all ihrer Schöne. Wie möchte das von der untergehenden Sonne erglühende Laub da hineinstimmen! Es wäre, als stiege sie aus dem Himmel zu ihm hernieder.

Doch er kam an die Biegung und an noch eine – Niemand, so weit er sehen konnte; nur Sonnenfunken tanzten am Boden vor ihm hin, und der Abendwind raschelte in den Blättern.

Er war rasch zugegangen. Diese Eile, sein ganzes Gebahren erschien ihm plötzlich ein wenig lächerlich. Hatte er nicht überhaupt zu viel gesehen? Oder sein heißes Wollen nur vergrößert, was irgend ein Ungefähr heraufbeschworen hatte? In Gegenwart von Kindern war sie stets eine Andere. Aber nein! Diesmal war es mehr gewesen – viel mehr. Darum war an seinem Treiben auch nichts lächerlich, sonst wäre alles Empfinden lächerlich. Und daß der Gatte endlich die Gattin finden sollte – gab es Höheres? Entschuldigte diese Hoffnung, die Möglichkeit solchen Erringens nicht jedes Thun? Was bedeutete es also, sich wie ein Liebender anstellen zu müssen, nicht wie ein Ehemann von Jahren? War er nicht noch ein Liebender? Ist der etwas Anderes als ein Werbender? Und warb er nicht heute noch?

Während er sich so beschwichtigte und die dunkle Empfindung, er sei dennoch zu weit gegangen, zum Schweigen bringen wollte, war er an die letzte Biegung des Heckenweges gekommen und stand nun dem Hause gegenüber. In dem Ausgange der Hecke, wie in einem Rahmen gefaßt, lag eines der breiten Fenster des Gartensaals vor ihm. Der eine Fensterflügel stand offen, und an demselben lehnte der Officier, welcher vorher behauptet hatte, ihm bereits einmal vorgestellt worden zu sein. Die ernste Würde seines Kopfes fiel jetzt besonders auf: Das Profil schien von classischer Reinheit, und der dunkle, kurze Vollbart gab dem Ganzen etwas kraftvoll Männliches. Er mußte eindringlich sprechen; sein Mienenspiel war so erregt. Unwillkürlich schritt Bob mehr nach links hinüber, um zu sehen, mit wem er spräche. Solch ein blaßblaues Kleid, die vielen Spitzen trug nur Eine. Noch aber konnte er das Gesicht nicht sehen. Da – als vermöchte sein Wünschen doch in die Ferne zu dringen, bog sich Alma mehr vor und stand, die Hände leicht vor sich hin geschlossen, in einer Haltung vor dem Officier, welche Bob athemlos an der Stelle haften ließ. Wie unaussprechlich reizend sie war! Diese holde Jungfräulichkeit! Doch der Kopf – so demuthsvoll gesenkt? Ihr ganzes Sein wie völlig an den Fremden hingegeben? Er mußte sich täuschen. Nun sah sie aber auf. Zu dem Officier auf. Dieser nicht endende Blick!

Bob’s Rechte krampfte sich zusammen; seine andere Hand faßte nach den Buchenzweigen. Und in heiserem Flüstern kam es über seine Lippen:

„Der also war es? Nichts weiter? Und dennoch! Nichts ist’s – blankes Nichts! Wie könnte Eine so jungfräulich rein aussehen und Gedanken im Herzen tragen – Gedanken! Nein – nein! In solchem kleinen Nachmittage kommt Keine so weit, die immer ehrbar gewesen. Da ist es auch fort – das Bild! Der Officier stand wieder allein am Fenster. War er vielleicht vorhin auch allein gewesen? Hatte nur das überhitzte Blut – –? Nicht – nicht doch! Da gestanden hatte auch sie.“

Bob kehrte sich jäh um und ging den Weg zurück, den er gekommen war.

Erst nachdem man Licht angezündet und die älteren Herren sich zum Spiel niedergesetzt hatten, stand er plötzlich an einem der Spieltische.




„So!“ rief der Regierungsrath Ruland, indem er die Kellerschlüssel wieder an ihr Brett hing und eine mit Spinnweben und Staub bedeckte Flasche auf den Tisch stellte. „Jetzt ist meine Alte“ – er duckte sich, wie über sich selbst erschrocken, „verrathe mich nicht! – auf den Trab gebracht, und ich habe uns ein Fläschchen vom väterlichen Steinberger – beinahe glaube ich, es ist Vierunddreißiger! – heraufgeholt. Nun wollen wir uns hier in aller Gemüthlichkeit etabliren! Vor zwei Stunden kehrt meine Frau von der Oberräthin nie zurück, und mehr Zeit werden Deine Eröffnungen wohl nicht beanspruchen.“ Er setzte auch Gläser auf und schenkte dieselben, nachdem er die Flasche behutsam entkorkt hatte, voll. „Also Bobchen – ein pereat jeder Kopfhängerei!“

Während die Gläser zusammenklangen und der Rath behaglich seinen Feuerwein schlürfte, sagte Bob, der nur am Glase genippt hatte:

„Ich hänge nicht den Kopf.“

„Qui s’excuse und so weiter!“ lachte der Rath, indem er sich gleichfalls auf’s Sopha setzte. „Und im Grunde bist Du noch nicht einmal direct angegriffen worden. Doch nun los die Klage! Ich bin wirklich sehr neugierig, da Du so dringend auf dieser Unterredung bestanden hast.“

„Es ist eigentlich blos eine Frage –“

„Schade, daß es nicht zehn sind! Der alte Junge hier“ – Ruland goß sich von Neuem ein – „löst jede Zunge, und wenn Du ein Stündchen Geduld hast, kannst Du nicht mehr als Alles von mir herausbekommen.“

„Du würdest mich verbinden, wenn Du Dich ein wenig ernster stimmen könntest.“

Der Rath sah den Schwiegersohn groß an.

„Versteht sich nun von selbst!“ Eine Falte leichten Mißvergnügens vertiefte sich dabei zusehends auf seiner Stirn.

Bob zögerte einen Augenblick, dann fragte er kurz:

„Hat Baron Hollfeld meiner Frau einmal näher gestanden?“

„Wie kommst Du auf dergleichen? Näher gestanden!“ erwiderte Ruland langsam und so voll Beherrschung, daß sich nur sein Blick ein wenig verschärfte. Er wollte durch die Gegenfrage wohl Zeit zum Ueberlegen gewinnen, oder sich doch, bevor er eine Antwort gab, möglichst darüber zu orientiren suchen, was Bob wüßte oder erfahren hätte.

„Habe ich nicht deutlich genug gefragt?“ versetzte dieser erregter. „Du thust eine Frage dagegen; das ist keine Beantwortung der meinigen. Und ich dächte, gerade mir könnte Niemand das Recht bestreiten, eine Antwort selbst zu erzwingen.“

„Ueber Dein Recht dazu will ich nicht streiten“ loderte auch der Rath auf, „doch über Deine Art – den Ton vor Allem! – Ich muß aber wohl annehmen,“ fuhr er gelassener fort, „daß etwas passirt ist, was Dir unerklärlich vorgekommen, oder gar ein falsches Licht irgend worauf geworfen hat. Darum vor allen Dingen – was ist geschehen?“

„Die Möglichkeit, daß Etwas geschähe,“ rief Bob aufspringend, „war also vorhanden? Damit wäre meine Frage ja beantwortet.“

„Ein seltsamer Schluß!“ entgegnete der Rath, die Brauen noch mehr zusammen ziehend. „Willst Du übrigens, daß wir unseren interessanten speech fortsetzen, oder wenigstens, daß ich Dir die Antwort gebe, welche Du erzwingen zu können meinst, so muß ich um größere Ruhe bitten. Ich pflege einem Menschen nie Rede zu stehen, der nicht in der Verfassung scheint, meine Argumente als das nehmen zu können, was sie sind.“

(Fortsetzung folgt.)




Lippspringe und seine Umgebung.

Zur Erinnerung an das fünfzigjährige Bestehen seines Bades.
Von Dr. Gustav Natorp.

Wer von der Weser her, da wo die alte Benedictinerabtei Corvey neben dem Städtchen Höxter aus den dunklen Bäumen hervorschaut, auf dem westwärts führenden Schienenwege dem Rhein zueilt, der erblickt, nachdem der Zug die Höhen des Osning und die mächtigen Viaducte von Altenbecken und Neuenbecken überschritten hat, sehr bald das altehrwürdige Paderborn. Das Gebiet, welches sich um diesen Ort ausdehnt und in mächtigem Bogen dort von dem Teutoburger Walde, hier von den letzten Abhängen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 476. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_476.jpg&oldid=- (Version vom 24.8.2023)