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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Krackow Angelangten – welcher sie im ersten Augenblick vollständig fassungslos gemacht hatte. Und doch dankte sie dem günstigen Zufall, der sie auf das Bevorstehende gleichsam vorbereitet; immerhin war es nun ein Gerüstetsein, jedes Verbergen so viel leichter.

Trotzdem überflogen ihre Blicke bei der Einfahrt in den Hof mit Bangen – und zugleich unbewußt mit heller Freude die Gesichter der auf der Rampe Stehenden. Er schien nicht darunter zu sein. Sie streifte nochmals Kopf bei Kopf – da ganz im Hintergrunde traf sie auf ein Augenpaar, wie es für sie nur ein einziges auf der ganzen Welt gab. Und die Blicke dieser Augen suchten noch die ihrigen, hatten also nichts vergessen, wie sie nichts vergessen hatte: Alles noch wie damals, als geschieden werden mußte! So sollte das wehe Ende wirklich noch einmal neuem Anfang weichen?

Zusammenschauernd besann sich Alma, und ihre fliegende Röthe erblich.

Da hielt der Wagen auch, und die fünf Grumbach’schen Kinder – alle vier Mädchen und der süße blonde Junge drängten sich lärmend an die Tante heran. Alma küßte sie, nahm Liddy an die eine, Mäxchen an die andere Hand und verbeugte sich gleich darauf trotz einer zum Herzen stürzenden Blutwelle, die sie zu ersticken drohte – auf’s graziöseste, als Frau von Grumbach ihrem Gatten und ihr den Lieutenant Freiherrn von Hollfeld vorstellte. Bob erinnerte sich auf die Frage des Officiers nicht, ihm jemals im Casino der Stadt begegnet zu sein; Alma, von ihren kleinen Begleitern vorwärts gezogen, schritt weiter und verschwand mit den übrigen Damen in den Zimmern der Frau vom Hause.

Nach einer Weile kehrten die Damen in den Gartensaal zurück, und nachdem eine Erfrischung herumgereicht worden, begab sich die ganze Gesellschaft nach dem nächst gelegenen Roggenfelde, das gleich an der einen Seite des Parks begann und auf welchem deshalb mit der Ernte angefangen worden.

Alma ging am Arme ihres Gatten. Sie wurde wie gewöhnlich von den Kindern umschwärmt, welche ihr nach einander und stets mit derselben Wichtigkeit mittheilten, wie auch jedes von ihnen einen „ganzen Nickel“ bekommen hätte – und daß sie die Hulda binden würde.

Bob hatte, obwohl er mit andern Gutsbesitzern in ein Gespräch verwickelt war, gleich vorher bei Alma’s Wiedereintritt die Veränderung in ihrem Wesen und ihr besonderes Aussehen mit höchster Ueberraschung bemerkt. Und dabei schien sie ihn zu suchen: nicht nur wiederholt mit Blicken – sie war schon ein zweites Mal plötzlich an seiner Seite gewesen und hatte seinen Arm genommen. Es war ihm erschienen, als verlange sie nach Schutz. Aber weshalb? Hier in der großen Gesellschaft, von beinahe lauter Bekannten umgeben?

Er wollte sie schon fragen, sie necken – davor warnte ihn aber etwas: warum den Zauber stören? War das nicht beinahe schon, was er geträumt, so heiß ersehnt hatte? Jetzt glänzte ihr Auge; jetzt schien es von innerem Glück zu glühen – und ihm – ihm galt das! Doch nur einen einzigen Grund dafür? Warum gerade jetzt?

Er zermarterte sich das Gedächtniß: seit Wochen, seit Monaten war nie ein Anlaß gewesen, über sich oder sein Fühlen zu sprechen. Was war vorgegangen? Einer der Officiere hatte Mittags in so feiner Weise auf Alma und das Glück solchen Besitzes getoastet. Bob hatte sie dabei angesehen: mochte in seinen Augen Anderes gestanden haben, und hatte sie das endlich gerührt? Wollte sie endlich versuchen, ihm gerechter zu werden? Aus solchem Kleinen könnte so unsagbar Großes hervorgehen? Aber Nichts mehr von kaltem Sinnen! Hinnehmen – wie alles Höchste geschenkt hingenommen werden muß. Erdient in den langen Jahren war ja doch Alles.

Und so ruhten auf dem schönen Paar, das dem größeren Theil der Gesellschaft ein wenig voranschritt und, umflattert von all den holden Kinderengeln, wie vom Glücke selbst geleitet schien – viel bewundernde Augen.

Es war ein ziemlich schmaler Rain, einen Graben voll Brombeergesträuch und Gaisblatt entlang, auf welchem man der Stelle zuschritt, wo der Haupttheil der Schnitter Garben band oder dieselben in Wiepen zusammenstellte. Sobald man diesem Platze näher gekommen war, flogen die Kinder in einem wahren Wettlauf auf ein jugendliches Mädchen zu, welches durch sein grellrothes Mieder vor allen Anderen hervorleuchtete. Gleich einem Völkchen Repphühner blieben sie um ihre Hulda stehen und ließen sich, Jedes unter dem Jubel der Uebrigen, ein Sprüchlein sagen und einige Roggenhalme um den Arm binden, worauf halb stolz, halb zögernd der „ganze Nickel“ in die offene Hand der Binderin fiel.

Als sich nun auch Zellinas näherten, verließ ein hübsches, kräftiges Mädchen mit solchem Garbenbande in der Hand die Reihe der Schnitter und trat mit niedergeschlagenen Augen und brennender Röthe aus den Wangen, aber in natürlich sicherer Weise an sie heran.

Während Liddy rief: „Ach, die Auguste!“ schlang diese ihre Wiede um die vereinten Hände der Gatten und sagte ohne zu stocken:

„Ich hab’ es vernommen,
Daß der gnädige Herr
Und die gnädige Frau
Sind gekommen.
Ich will sie bestricken
Mit lieblichen Blicken,
Mit lieblichen Sachen.
Viel Complimente
Kann ich nicht machen.
Ist mein Band auch schlecht,
Ist mein Wunsch doch recht.
Es ist kein Band aus Disteln und Dorn’;
Es ist aus reinem Roggenkorn.
Auch bind’ ich’s nicht zu los und nicht zu fest,
Daß es sich wieder lösen läßt.“

Alma fühlte, daß bei dem letzten Verse ihres Gatten Arm zuckte, und sah erschrocken, wie er finster und völlig geistesabwesend vor sich hinstarrte. Die übrige Gesellschaft war zum Theil herangetreten und stand plaudernd im Kreise umher; Auguste ging nach einem schüchternen Aufblick seitwärts fort.

Bob schien nichts von Allem zu bemerken. Verlegen suchte Alma ihre Hand frei zu machen: da sah er sie aber mit einem so entsetzten Blicke an, daß sie wie vor etwas Unerträglichem die Augen schloß. Das gab ihm die Besinnung wieder, und er vermochte sich sogar zu den gleichfalls gebundenen Grumbach’s mit dem Scherze zu wenden:

„Nicht wahr, solche neu getrauten Paare dürfen mindestens den Tag nicht wieder aus einander gehen?“

Der joviale Grumbach stimmte lebhaft zu und schloß, wie zur Bekräftigung, seine Gemahlin in die Arme und küßte sie herzlich.

Das that Bob nicht, doch ließ er Alma’s Arm nicht los und ging mit ihr auf Auguste zu. Während er derselben sein großes Lösegeld in die Hand drückte, sagte er:

„Ihr müßt aber die letzten Verse ändern. Da sollte gerade etwas von niemals Lösen vorkommen. Wie lauten sie doch?“

Auguste wiederholte nach kurzem Besinnen:

„Es ist kein Band aus Disteln und Dorn’;
Es ist aus reinem Roggenkorn.
Auch bind’ ich’s nicht zu los und nicht zu fest,
Daß es sich wieder lösen läßt.“

„Euer Band,“ fuhr Bob fort, „soll doch Segen, dauernden Segen bedeuten?“

„Das wohl!“ erwiderte Auguste.

„Nun so müßt Ihr künftig etwa sagen:

‚Drum bind’ ich’s nicht zu los – ich bind’ es fest,
Daß es sich nimmer lösen lässt.‘“

„Ja – aber?“

Auguste stockte, erröthete wieder bis in die Schläfen hinauf, streckte jedoch die Hand mit dem Gelde ein wenig vor.

„Wie wird es dann mit dem Auslösen, meinst Du?“

Sie nickte.

Bob sah Alma an, welche lächelte. So lachte er auch und meinte, indem er sich abwandte:

„Da wird es freilich wohl beim Alten bleiben müssen.“

Die Damenwelt mit den Kindern und einigen der Officiere trat den Rückweg an: die übrigen Herren gedachten noch ein Stück weiter in die Felder zu gehen, wo ihnen Grumbach besonders gut stehenden Weizen zeigen wollte. Bob hatte Alma zum Abschiede zwar nur stumm die Hand gedrückt, sah ihr aber noch eine ganze Weile nach, während ihm einer der Gutsbesitzer den Körnerertrag des diesjährigen Weizens pries. Die Wiede behielt er um seinen Arm geschlungen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 475. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_475.jpg&oldid=- (Version vom 19.8.2023)