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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

No. 25.   1882.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Engelid.

Novelle von Balduin Möllhausen.
(Fortsetzung.)


Knut beachtete den Inhalt der Kiste nicht weiter. Er hatte die Renthierbüchse, die schon sein Vater führte, von der Wand genommen. Aufmerksam betrachtete er Rohr und Schloß.

„Alles sauber und rostfrei,“ bemerkte er, anscheinend Engelid’s Worte überhörend.

„Olaf gab mir öliges Mark aus einem Ziegenknochen und unterwies mich, wie ich es anzuwenden habe. Es war keine Mühe.“

„Das Schloß spielt, wie ein Uhrwerk,“ fuhr Knut gelassen fort. Er hob die Büchse an die Schulter und zielte auf einen Punkt des jenseitigen Ufers; dann, indem er sie absetzte, wandte er sich mit einem gewissen Behagen wieder zu Engelid: „Wer hätte geglaubt, daß ich dies alte Schießzeug noch einmal zur Hand nehmen würde!“ sagte er, und seine Augen leuchteten vor Freude, daß es Engelid schier verwunderte, das ernste Antlitz plötzlich einmal erhellt zu sehen; „mit dem Einrichten des Hausstandes hat es keine Eile; was soll ich mich an die vier Wände binden und fesseln? Für ein zeitweises Obdach, so lange es nichts mit der Jagd ist, sind sie gut genug, aber Ziegen melken und Fische dörren? Verdammt! Engelid, da gehe ich lieber hinaus in’s Jotungebirge – einen Cameraden werd’ ich schon finden oder zwei – und da will ich meine Lust haben, wenn’s gilt ein Rudel Renthiere in eine Sackschlucht zu treiben, einem Vielfraß nachzuspüren oder einem Bären aufzulauern.“

Er hing die Büchse wieder an die Wand. Als er gewahrte, daß Engelid sich zum Gehen anschickte, sprach er gleichmüthig:

„Willst also fort? Bei Gott, Engelid, ich kann’s Dir nur mit Worten danken, daß Du so lange hier zum Rechten sahst. Böte ich Dir mehr, möchtest Du eine Beleidigung darin finden.“

„Sicher thät ich das, Knut, und die habe ich noch weniger verdient, als Deinen Dank. Ich sagte Dir schon: auf des alten Zauberspielers Wunsch hätt’ ich an jedem Anderen ebenso gehandelt. Hegte ich nebenbei noch einen besonderen Gedanken, so hatte der mit meinen Gefälligkeiten nichts zu schaffen. Wir waren einst Nachbarskinder, trafen uns bei Spiel und Tanz – das ist Alles.“

„So nehme ich auch meinen Dank zurück,“ versetzte Knut mißmuthig, fügte indessen etwas wärmer hinzu: „Dagegen sollst Du mir nicht wehren, Dich zu bitten, meiner eingedenk zu sein, das heißt, wenn Du je irgend eines Freundschaftsdienstes oder einer Gefälligkeit benöthigt bist, so erinnere Dich des Knut Knutsen!“

„Das Anerbieten wehre ich Dir nicht; ich nehme es sogar mit gutem Dank an, werd’ aber schwerlich jemals in die Lage gerathen, Dich oder einen Anderen um einen Dienst anzusprechen. Es ist also kein böser Wille, wenn’s nicht geschieht. – Doch Du magst Dich sehnen, allein zu sein, Umschau zu halten in Deinem Eigenthum. Und so sage ich Dir Lebewohl. Mein Boot laß ich hier vor Deinem Hause liegen, höchstens heute und die Nacht, wenn Dir’s recht ist.“

„So lange, wie Dir’s gefällt, Engelid,“ erklärte Knut bereitwillig, indem sie in’s Freie hinaustraten, „doch wohin willst Du vor Deiner Heimkehr nach der Schärenhütte?“

„Nach Lärdalsörne. Dort laß ich’s Boot und gehe ein paar Stunden das Lärdal hinauf.“

„Hast Bekannte dort oder Anverwandte?“

„Bekannte, ja. Anverwandte habe ich überhaupt nicht mehr. Aber ich will Dir’s gestehen, damit Alles klar zwischen uns, und Du, wenn wir einander begegnen, mich wie einen guten Freund begrüßest, nicht argwöhnst, in meinem Kopfe gingen tolle Gedanken aus der Kindheit um.“

Sie hatten das Haus verlassen und waren auf dem schmalen Uferwege eingetroffen, wo sie stehen blieben. Engelid blickte über das stille Wasser, auf welchem das jenseitige Ufer im Spiegelbilde eine so täuschende Fortsetzung fand, daß die Grenze zwischen Trug und Wirklichkeit schwer zu markiren war. Knut beobachtete träumerisch den Flug zweier Möven, deren blendend weißes Gefieder in dem schattigen düsteren Felskessel förmlich leuchtete. Eine Freude des Wiedersehens des heimathlichen Fjords, wie sie ihm in der Ferne vorgeschwebt haben mochte, empfand er nicht. Im Gegentheil – ein eigentümliches Gefühl der Vereinsamung, des Fremdseins, wollte nicht von ihm weichen. Und dennoch, wie erschienen ihm die verflossenen zehn Jahre angesichts der vertrauten Umgebung so kurz, so verschwindend kurz! Oben, hoch oben auf den Rändern des geborstenen Plateaus, zitterte Sonnenschein; wie von den goldigen Strahlen geboren, schäumten hier und da die von den Gletschern ringsum genährten Gießbäche nieder. Es rauschte und brauste dumpf. Im nahen Dorf krähten die Hähne und dröhnte die Axt des Zimmerers. Weiter abwärts glitten leichte Fischerböte ab und zu.

„Alles noch wie damals!“ sagte Knut in Gedanken verloren.

„Alles noch wie damals!“ wiederholte Engelid. „Nur die Menschen sind älter geworden,“ fügte sie mit einem kaum bemerkbaren herben Lächeln um die üppigen Lippen hinzu, „und wie könnte es anders sein? Soll das stürzende Wasser da drüben doch allmählich den härtesten Stein aushöhlen, wie mir einst ein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 405. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_405.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)