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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

No. 24.   1882.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Engelid.

Novelle von Balduin Möllhausen.
(Fortsetzung.)


„Doch was reden wir von solchen Dingen, anstatt uns des Wiedersehens zu erfreuen?“ nahm Engelid wieder das Wort. „Du bist heimgekehrt und hast die Bürde von meinem Gewissen genommen, können aber verlorene Jahre nicht zurückgerufen werden, so mögen wir doch Beide jetzt ohne peinliche Gedanken in die Zukunft schauen. Bleib’ unter des alten Olaf’s Dach, so lange es Dir gefällt! Er vererbte es ja auf mich unter der Bedingung, Dich ordentlich aufzunehmen und zu beherbergen. Willst Du aber von dannen, so sag’s, und ich bringe Dich in meinem eigenen Boot – und das ist ein flinker Segler – bis in den Lyster-Fjord hinein. Dort will ich Dir Dein Haus öffnen, will Dir Alles übergeben, was der alte Olaf meinen Händen für Dich anvertraute.“

„Das ist ein verständiges Wort, Engelid,“ versetzte Knut erleichterten Herzens, und zum Zeichen seiner Anerkennung reichte er dem Mädchen wiederum beide Hände; „habe ich, ohne es zu wollen, Dir weh gethan oder an Dir gesündigt, so mag’s zwischen uns begraben sein! Denn ein Mann von meinen Erfahrungen, dessen Leben durch Mancherlei verbittert wurde, der so lange in der Fremde unter Fremden lebte, der muß sogar in der Heimath, wo so Vieles anders geworden, sich fremd fühlen. Bin eben ein mürrischer Kerl geworden, Engelid; gute Freunde können wir indessen trotzdem immer noch bleiben, und da Du mich selber nach dem Lyster-Fjord segeln willst, nehme ich’s mit Dank an und sage: sobald wie möglich! Wirst Dir’s vorstellen, wie es mich treibt, endlich wieder einmal in meinem eigenen Heimwesen zu schlafen, unter dem Dache, unter welchem meine Eltern lebten und starben, nachdem sie mich kaum so weit gebracht hatten, daß ich mir mein Brod selber verdienen konnte.“

„Sobald wie möglich,“ wiederholte Engelid träumerisch, „wir können morgen aufbrechen. Einen sicheren Weg, auf welchem die schweren Meeresdünungen uns nicht finden, kennen wir Beide, und Orte, wo wir Abends anlaufen mögen, um zu rasten, ebenfalls. Wir mögen auch die Nächte zu Hülfe nehmen – die sind hell genug – und uns gegenseitig am Steuer ablösen.

Ohne eine Erwiderung abzuwarten, erhob sie sich, und in ihrer stillen, zuversichtlichen Weise begann sie am Herd die benutzten Gefäße zu säubern und auf den Tragbrettern zu ordnen. Zur besseren Beleuchtung hatte sie einen Kienspan angezündet und seitwärts von dem Drachenkopf befestigt, wogegen Knut mechanisch den Docht der Lampe etwas weiter hervorzog. Nielsen ließ unterdessen seine harten Finger unermüdlich auf der Langeleike herumtanzen. Nur einmal trat eine kurze Pause ein, als Engelid ihn aufforderte, mit den schwermüthigen Melodien ein Ende zu machen und dafür seine lustigsten Tänze aufzuspielen, wie es sich gezieme, wenn gute Freunde nach langer Trennung zum ersten Mal einander begegneten.

Und Nielsen leistete Folge. Schneller und schneller wurde der Tact, in welchem er die Saiten rührte, und tiefer neigte er sich über das Instrument in seinem Eifer, das Wiedersehen zu feiern. Doch weder Engelid noch Knut achteten auf ihn. Erstere beschäftigte sich mit ihren häuslichen Obliegenheiten, als befände sie sich allein in dem Gemach, Knut aber stützte den Kopf auf den Arm und beobachtete grübelnd die seiner Pfeife entwirbelnden Wölkchen. Allmählich kehrte er indessen seine Aufmerksamkeit Engelid wieder zu. Mit einer gewissen Theilnahme überwachte er, wie ihre kräftige Gestalt so sicher und doch so geräuschlos sich einher bewegte, ihre Hände Alles so leicht anfaßten, als wären sie aus dem der Feuerstelle entsteigenden Rauch gewebt. Eine gewisse Scheu bemächtigte sich seiner, so oft ihre Blicke kalt und theilnahmlos zu ihm hinüberglitten; er blickte dann immer in eine andere Richtung, um ihnen nicht zu begegnen. Unwillkürlich vergegenwärtigte er sich bei den lustigen Tanzmelodien die junge Engelid, wie er sie in jener verhängnißvollen Nacht an sich zog und ihr heimlich manch süßes Wort zuraunte. Er sah sie im Geiste seinem Flüstern lauschen; er sah das ungestüme Blut ihre Wangen dunkler färben, ihre großen unschuldigen blauen Augen funkeln und leuchten. Und weiter vergegenwärtigte er sich, wie ihm selbst das Blut damals so heiß durch die Adern wallte, daß er mit wilder Lust auf den blutigen Kampf einging. Ein wie ganz Anderer war er heute! Und sie, die Engelid! Er verglich das Mädchen von damals mit dem von heute. Schöner war Engelid noch geworden und gereifter, aber auch so viel ernster, so ernst, daß es ihn unheimlich anwehte und er die Nachtruhe herbeiwünschte, um das Mädchen nicht mehr vor sich zu sehen. Gern hätte er sie noch über Dieses oder Jenes aus den alten Zeiten befragt, allein auf Engelid’s Antlitz ruhte es, als ob ihr jedes fernere kleinste Wort zu viel gewesen wäre, die eigene Stimme wie jede fremde sie angewidert habe.

Als sie endlich das Bett mit frischen Linnen versah und die Decken ordnete, da wagte er nicht einmal, sich nach dem Zweck ihres Thuns zu erkundigen und vorzubeugen, daß sie ihr eigenes Lager an ihn abtrat, um selbst in einem anderen Winkel der Hütte ihr Unterkommen zu suchen.

Die Nacht war weit vorgeschritten, als Engelid Nielsen rieth, sein Spiel einzustellen und sich zur Ruhe zu begeben. Erst nachdem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 389. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_389.jpg&oldid=- (Version vom 14.3.2023)