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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

„Und ich,“ hob sie an, „ich erkannte Dich am ersten Ton Deiner Stimme trotz der Dunkelheit. Freilich, Knut, weil’s der Olaf beschwor, daß Du eines Tages plötzlich vor mir hintreten würdest, hab’ ich auf Dich gewartet alle die langen Jahre. Wenn nur immer ich sah, daß Jemand in einem Boote sich der Insel näherte, meinte ich, Du müßtest es sein. Im Lyster-Fjord hättest auch Du mich erkannt – das weiß ich so genau, wie der Olaf wußte, daß Du heimkehren würdest. Und nach keinem anderen Orte der Welt konntest Du gehen, als gerade hierher, um Dein Eigenthum wieder an Dich zu nehmen.“

„So hast Du nicht geheirathet?“ fragte Knut wie beiläufig.

„Wen hätte ich heirathen mögen?“ erwiderte Engelid, und Knut, sorglos in seine Pfeife hinabschauend, gewahrte nicht, daß sie die Farbe wechselte.

„So hat’s nur an Dir gelegen?“ fragte er ruhig.

„An mir hat es wohl gelegen, Knut – was soll ich’s leugnen? Hier auf der Insel war ich sicher gegen Anträge. Es lag eine Art Gleichheit in unseren Schicksalen; denn ich wollte mir einen eigenen Herd nicht gründen, und Du konntest es nicht; bei Deinem Umherschweifen auf fernen Meeren und bei dem Gedanken an Deine Heimathlosigkeit war es Dir unmöglich, Dich viel um irgend ein Mädchen zu kümmern. Außerdem trugst Du Dich mit dem Bewußtsein, einen Menschen erstochen zu haben – und doch könnte der Jansen seiner Wunde wegen heute noch leben –“

„Ich hörte davon,“ fiel Knut gelassen ein, „und ich gesteh’s, das Herz ist mir seitdem leichter geworden. Ich möchte sonst wohl ganz fortgeblieben sein, um nicht daheim alle Tage an die Blutschuld erinnert zu werden.“

Engelid betrachtete sein gesenktes Antlitz einige Secunden starr, und mit regerem Eifer fuhr sie dann fort:

„Dein Schicksal hat mich schwer bedrückt alle die langen Jahre hindurch, und darum mied ich den Verkehr mit anderen Menschen. Wenn sie mich ansahen, glaubte ich in ihren Augen einen Vorwurf zu lesen, weil ich Dein Unglück verschuldete. Ich war damals ein junges, einfältiges Ding, und die schönen Worte, welche Du beim Tanz zu mir sprachst, o, die waren mir tief in’s Herz gedrungen, und hätte des Jansen Messer Dich tödtlich getroffen, so hätte ich mich vom nächsten Felsen hinabgestürzt, um neben Dir begraben zu werden, Knut. Ich wiederhol’s, ich gab die Ursache zum Streit, und hätten die Leute mich nicht zurückgedrängt, so wäre ich, als sie Dich mit dem Jansen zusammenschnallten, an Deine Seite geeilt, um jeden für Dich bestimmten Stoß auf die eigene Brust zu leiten. Daß ich Dir eine Sühne schuldig sei, dieser Gedanke hat mich nicht verlassen bis auf den heutigen Tag. Und nun? Was mir Nachts in meinen Träumen kund geworden, was der alte Olaf mir in seinen wilden Liedern gesungen, nun ist es Wahrheit geworden: Du bist heimgekehrt, und ich mag die Bürde von meiner Seele wälzen, ich mag zu Dir sprechen: Knut, um meinetwillen bist Du so viele lange Jahre in der Welt umhergeirrt; um meinetwillen hast Du unter dem Bewußtsein eines Mordes Dich so lange gewunden – nun verzeihe mir um des Leids willen, welches ich selber ebenso lange erduldete! Ja, Knut, ich wußte, wie Alles kommen würde; ich hätte es gewußt, ohne daß der Olaf es mir prophezeite. Und der war ein weiser Mann; der kannte viele Geheimnisse, war klüger, als andere Menschen; denn er hatte als Kind von seiner Aeltermutter Runenzeichen kennen gelernt. Um Dich herbeizurufen und Dir den Weg zu zeigen, schnitzte er einen Zauberreim in den Balken oberhalb der Thür. Ja, blick’ hinüber! Du kannst ihn heute noch sehen, schwarz, wie er allmählich vom Rauche geworden. Da steht’s mit Zeichen geschrieben, die kein Anderer mehr deutet: ‚Willkommen, Knut! Durch diese Thür sollst Du einziehen zu Deinem Glücke.‘ Statt des todten Olaf ruf’ ich Dir nun zu, wie er mir’s vorschrieb: Willkommen, Knut, tausendmal willkommen! So oft willkommen, wie Sterne in klaren Winternächten am Himmel stehen, so oft willkommen, wie das Meer im Sturme Schaumperlen abwirft!“

Sie sprach es mit dem vollen Tone der Leidenschaft; hastig ergriff sie seine Hand und blickte ihm in die Augen, so innig, so liebevoll und doch so bange; ihre Wangen rötheten sich tief vor Freude und heimlicher Angst, als ob sie von seinen Lippen eine endgültige Entscheidung zwischen namenlosem Glücke und jähem Tode erwartete.

Wie ein Schlaftrunkener hatte Knut seine Hand in die Engelid’s gelegt. Er wagte nicht, wie zuvor, sie sogleich wieder zurückzuziehen. Räthselhaft, dunkel war ihm der Sinn von dem, was er gehört. Der Zeiten, deren Engelid erwähnte, entsann er sich zwar, nicht minder aller zwischen ihnen gewechselten Worte, aber sie hatten ihm nicht mehr gegolten, als harmloses Geplauder, wie es sich uns wohl auf die Lippen drängt, wenn Musik und Tanz uns das Blut schneller kreisen machen. Und was er damals – vor langen Jahren – so obenhin gesprochen, das hatte sie so tief genommen und bis heute treu gehegt? Ihr Glück hatte sie verscherzt um seinetwillen, sie, die da geschaffen war, Licht um sich zu verbreiten, wo sie nur erschien? Mitleid mit ihrem Schicksale beschlich ihn. Und wie schön war sie heute noch, heute, da ihre Reize voll erblüht waren! Wie rührend stand ihr das ernste, zuversichtliche Wesen!

Schweigend, aber noch immer Hand in Hand, saßen die beiden Jugendgefährten einander gegenüber, Engelid mit tödtlicher Spannung, Knut mit sich zu Rathe gehend, was er am besten antworten werde. Grübelnd starrte er vor sich auf den Tisch, aber er fühlte, wie die Blicke aus den großen blauen Augen mit Seelenangst an seinen Lippen hingen.

Noch immer erklangen die wild melancholischen Weisen des alten Nielsen. Es war etwas Geisterhaftes in den sich seltsam an einander reihenden Molltönen. Sie standen im Einklange mit der äußeren Erscheinung des langarmigen gnomenhaften Spielers, mit der düsteren Umgebung, auch wohl mit den Gedanken, welche die beiden stillen Gestalten an dem Tische beseelten.

Trübe schwälte die Lampe. Die letzten Reiser über der Herdgluth flackerten noch, und mit ihnen flackerten und tanzten sonderbare, unförmliche Schatten an den Wänden, die Umrisse der alten Möbel und Geräthe des Gemachs. Der Drachenkopf mit dem gemähnten Halse glühte in der rothen Beleuchtung. Die Schnitzereien an den Möbeln wanden sich durch einander; es grinsten und schielten die von den geschwärzten Balken niederhängenden Ungethüme mit den gespreizten Flossen, den breiten Mäulern und den stacheligen Bartfäden, als wollten sie sich, des sie umschwebenden ätzenden Rauches überdrüssig, mit Gewalt von den Drähten losreißen, an denen sie hafteten.

Endlich sah Knut wieder empor; er blickte in die regungslos auf ihm ruhenden Augen Engelid’s. Es drängte sich ihm die Empfindung auf, er werde von dem Mädchen als unveräußerliches Eigenthum betrachtet; das kränkte sein Selbstbewußtsein, und zugleich erwachte in ihm ein Gefühl des Verdrusses. Mit einer Bewegung des Gleichmuthes zog er seine Hand aus der Engelid’s, und dann sagte er ruhig, jedoch nicht unfreundlich:

„Es klingt gar wundersam, was Du mir da erzählst, Engelid, wundersam, daß ich’s nicht begreife. Wie mochtest Du leichtfertigen Worten, die auf dem Tanzplatze, wenn die Köpfe brennen, zu Dutzenden fallen, so großen Werth beimessen –?“

„Knut!“ rang es sich von Engelid’s bebenden Lippen. „Deine Worte, so innig, so heiß – und gleich darauf Dich mit dem Jansen zusammengeschnallt zu sehen, in den Händen die Messer, in den Augen wilde Feindschaft, und dies Alles um meinetwillen – das gab meinem Herzen einen Stoß: ich trug die Schuld an Deinem Schicksal – ich! O, ich meinte, nie wieder froh werden zu können – und ich bin’s auch nicht mehr geworden.“

„Engelid,“ nahm Knut, die Brauen runzelnd, wieder das Wort, „spiele nicht länger mit Trugbildern aus Deinen Kinderjahren! Und wenn’s bisher geschah, so ist’s am wenigsten meine Schuld. Denn Dir mit Liebesschwüren die Ruhe zu verkümmern, kam mir nie in den Sinn –“

„Nein, nein, Knut, das weiß ich,“ warf Engelid unsäglich herbe ein.

„Und Schuld an meinem Schicksal,“ fuhr er fort, „trägst Du auch nicht, Engelid. Der Jansen hatte mich beleidigt, nicht Dich. Hätte er meinen Stuhl fortgenommen oder mit Willen mein Bier umgestoßen, wär’s nicht anders gekommen, als nachdem er die Hand an meinen Tanzpartner gelegt. Also sei vernünftig und rede nicht von einer Gewissenslast, von der ich nichts weiß, auch nicht von Sühne oder Verzeihung!“

„Armer Knut,“ versetzte Engelid weich, „wie hast Du doch Alles vergessen! Aber es konnte nicht anders sein; denn zehn Jahre lang bist Du mit der vermeintlichen Blutschuld auf dem Gewissen in der Welt umhergeirrt. Die Heimath mit Allem, was Du hier zurückließest, lag Dir so fern, daß Du sie kaum noch mit

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