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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Blätter und Blüthen.


Besuch bei einer dunklen Majestät.[1] Während in England das Schicksal Cetewayo’s[WS 1] philanthropische Gemüther erregt, während Regierung wie Zeitungen von Briefschreibern beiderlei Geschlechts bestürmt werden, die für die Begnadigung des Zulukönigs plaidiren, sitzt dieser selbst in scheinbarer Ruhe und Behaglichkeit in dem hübschen Häuschen, das ihm in der Nähe der Capstadt als Staatsgefängniß angewiesen worden ist. Er hat volle Freiheit, ein- und auszugehen, selbst die Capstadt zu besuchen, von welcher Freiheit er jedoch nur sehr selten Gebrauch macht.

Seine Ruhe und Behaglichkeit sind in der That nur scheinbar. Er trachtet in aufreibender Sehnsucht nach seiner Heimat zurück. Sein Körpergewicht ist während seiner Gefangenschaft von 220 auf 170 Pfund[WS 2] zurückgegangen; man darf also wohl von einem aufreibenden Gemüthszustande sprechen. Diesen Zustand verhehlt er auch den Besuchern keineswegs, die oftmals seine Ruhe beeinträchtigen und ihn bewegen, die äußerst primitive Bekleidung seines Körpers durch einen Ueberwurf zu ergänzen und sein Lieblingslager auf dem Erdboden mit einem Stuhle zu vertauschen.

Auch ich folgte der Aufforderung von Bekannten, dem Gefangenen von Oude Molen[WS 3] einen Besuch abzustatten. Wir entschuldigten unsere Neugierde gegen uns selbst mit der Annahme, daß Cetewayo sich durch Besuche gern anregen und erheitern läßt. Ich war begierig den Helden von Isandula[WS 4] zu sehen, dessen taktische Begabung und Tapferkeit eine englische Armee nicht nur lange in Schach gehalten, sondern mehr als einmal zurückgedrängt hatte, dessen Thaten eine zeitlang ganz England, ja die ganze civilisirte Welt beschäftigten, der indirect an der politischen Niederlage Disraeli’s[WS 5] und an dem Tode des jugendlichen Napoleon[WS 6] theilgenommen, und von dem man – wahrscheinlich stark übertrieben – erzählt, daß er mehr als 10,000 seiner Unterthanen habe tödten lassen.

Eine viertelstündige Eisenbahnfahrt brachte uns von der Capstadt nach Observatory Station,[WS 7] ein halbstündiger Marsch von dort nach Oude Molen. Da die Octobersonne schon sommerliche Kraft erlangt hatte, so kostete dieser Gang viele Schweißtropfen.

Das freistehende, weithin sichtbare Haus mit seinen weißen Nebengebäuden macht durchaus den Eindruck eines freundlichen Farmgehöftes; nur eine im Felde stehende Tafel mit der Aufschrift: „Reserved ground for state-prison“ erzählt von der politischen Bedeutung des Platzes. Nachdem wir unseren Besuch bei den beiden als Polizisten verkleideten Invaliden angemeldet und uns durch einen von der Regierung ausgestellten Erlaubnißschein legitimirt hatten, schrieben wir unsere Namen in das aufliegende[WS 8] „Visitenbuch“ ein, und es wurde uns dann bedeutet, daß Cetewayo von unserem Besuche benachrichtigt sei und sich „zurechtmache“, um uns zu empfangen.

Nach weiteren zehn Minuten führte man uns in das Empfangszimmer, welches kahle und ziemlich unsaubere Wände aufwies und nur mit einem Dutzend Holzstühlen ausmöblirt war. Cetewayo saß auf einem derselben. Ich war natürlich enttäuscht beim Anblick des Zuluhelden. Einbildung und Wirklichkeit gehen ja so selten Hand in Hand – die „wahrhaft königliche Würde", von der uns erzählt wurde, suchte ich vergebens. Ich fühlte mich nicht im Entferntesten gehoben durch den Anblick der plumpen, schwarzen Gestalt, der wir soeben die Hand geschüttelt hatten und die unbequem mit hochgezogenen Beinen auf einem Holzschemel saß, den Körper mit einem rothen Damenplaid togaartig behangen, eine gestickte Morgenmütze auf dem Kopfe. Cetewayo’s Gesicht hatte energische, finstere Züge, war jedoch nicht gerade unschön.

Die Unterhaltung wurde durch den Dolmetscher vermittelt und drehte sich vorwiegend um die Frage, ob Oude Molen das Elba oder das St. Helena des Zulukönigs sein wird.[WS 9] Die dunkle Majestät selbst neigte zu der letzteren Ansicht und sprach entmuthigt wiederholt die Befürchtung aus, in der Gefangenschaft sterben zu müssen. Cetewayo’s und seiner Freunde Gesuche um Freilassung sind sämmtlich abschlägig beantwortet worden. Er habe, sagte er, sich in der Haft über nichts zu beklagen, als über die Haft selbst. Man behandle ihn freundlich; er habe Freiheit, die Umgegend zu durchstreifen, Besuche anzunehmen oder abzulehnen, und sei Herr des Hauses, aber dennoch fühle er sich unsäglich unglücklich, weil fern von der Heimath. Gern möchte er nach England, um der Königin persönlich seine Bitte um endliche Befreiung vorzutragen, um persönlich die Regierung zu bewegen, ihn so zu behandeln, wie man andere Kriegsgefangene behandle. Der Krieg mit Zululand sei seit Jahr und Tag beendet und noch immer halte man ihn gefangen. Nichts habe er sich vorzuwerfen, als nur um seine und des Landes Unabhängigkeit gefochten zu haben, wobei er seines Wissens nicht einmal die modernen, ihm bisher unbekannten Kriegsgesetze verletzt hätte. Warum man seinem Versprechen, in der Zukunft ein Freund der Engländer zu sein, mißtraue, sei ihm unerklärlich; denn er habe keinerlei Veranlassung zum Mißtrauen gegeben. Seine Autorität im Zululande sei übrigens erschüttert; die von der britischen Regierung protegirten Häuptlinge seien ihm feindlich gesinnt. Dennoch würde er glücklich sein, in seiner Heimath leben und sterben zu können, wenn auch nur als einfacher Mann.

Es lag etwas Rührendes in den Heimwehklagen dieses starken, wilden Menschen. Nicht in flottem Redefluß sprach er. Abgebrochen, zwar nicht widerwillig, aber doch oft zögernd stand er Rede und Antwort.

Der Dolmetscher weigerte sich, einige unserer Fragen vorzutragen, weil er glaubte, daß sie dem Zulukönig peinlich sein würden. Dieser veränderte während unserer mehr als einstündigen Unterredung seine Stellung um nichts; nur den Kopf bewegte er gelegentlich beim Sprechen. Seine anfangs düstere Miene heiterte sich ein wenig auf, als wir von seinen Gefährten sprachen, die sein Exil theilen. Sie stehen unter seinem vollen Einfluß und sind ihm unbedingt ergeben. Ich konnte die Bemerkung nicht unterdrücken, daß die von dem Zulukönig circulirenden Photographien dem Originale nur wenig Gerechtigkeit widerfahren lassen. Cetewayo lächelte bei dieser Bemerkung zum ersten Male seit unserem Eintreten. Er ließ eine seiner Photographien aus dem Nebenzimmer holen, die, wie er sagte, erst vor wenigen Tagen aufgenommen sei und mit welcher er mir ein Geschenk machte.

Gern wollte ich mich für die empfangene Gabe erkenntlich zeigen und bot dem König als Gegengeschenk den Bambusstock an, den ich bei mir führte. Doch wurde derselbe von ihm mit der Bemerkung abgelehnt, daß ihm ein Taschenmesser mit vielen Klingen willkommener wäre. Und damit ich auch genau wüßte, welche Art von Messer er meine, ließ er einige derselben, frühere Geschenke, vom Dolmetscher holen und mir zeigen. Je mehr Klingen die Messer hatten, desto willkommener waren sie Seiner Majestät. Man sagte uns später, daß Cetewayo sich mit Vorliebe Taschenmesser schenken lasse, um diese wieder als Geschenke für seine Häuptlinge im Zululande zu verwenden, falls er einst seiner Gefangenschaft entlassen werden würde.

Ehe wir uns verabschiedeten, besuchten wir die vier Zulufrauen, die dem König in’s Exil gefolgt waren. Bei unserem Eintreten kauerten sie auf der Erde und hatten eine Anzahl Glasperlenschnüre, sowie von ihnen selbst gefertigte Strohlöffel vor sich ausgebreitet, uns zum Einkaufen ermunternd. Für jeden Strohlöffel und für jedes Schnürchen Glasperlen forderten sie 4 Schillinge (etwa 4 Mark), obgleich die Sachen kaum 1 Penny (10 Pfennig) werth waren. Doch wir kauften, schon aus Höflichkeit gegen die königlichen Damen. Diese, nachdem sie ihre Schillinge in Verwahrung gebracht hatten, erhoben sich vom Boden und unterwarfen uns einer näheren, ziemlich gründlichen Betrachtung. Uhren, Ringe, Ketten, ja Hemdenknöpfe wurden neugierig betastet. Insbesondere aber imponirte ihnen der lange, weiße Bart eines der anwesenden Herren, und sie wurden nicht müde, ihn zu streicheln.

Die Erscheinung dieser vier Zulufrauen war durchaus keine unangenehme. Trotz der etwas stark convexen Entwickelung verhalten sich bei ihnen die einzelnen Körperteile nicht so unharmonisch zu einander, wie dies z. B. bei den Hottentottenfrauen der Fall ist. Das Gesicht der größten und stärksten war entschieden schön zu nennen: nur die pyramidenartige Haartracht, die einem Weichselzopfe nicht unähnlich sah, wirkte störend.

Der Dolmetscher versicherte uns, daß diese schwarzen Schönheiten nicht eigentliche Frauen Cetewayo’s seien, sondern nur Dienerinnen einer seiner Lieblingsfrauen. Im Ganzen soll der Zulukönig dreiundvierzig Frauen, aber nur sieben Kinder haben.

Wir passirten bei unserem Fortgehen abermals das Zimmer, in welchem Cetewayo immer noch in unveränderter Stellung auf dem Stuhle saß. Und hierbei bemerkte ich, wie vorher bei der Taschenmesser-Affaire, daß der König auch ein „Auge für’s Geschäft“ zu haben scheint. Wir Alle hatten Löffel und Perlenschnur im Hinterzimmer erstanden; nur mein langbärtiger Freund kam mit leeren Händen heraus. Cetewayo fragte ihn sofort, warum er allein nichts gekauft habe, und fertigte die Antwort: „Meine Frau würde eifersüchtig werden,“ mit der Entgegnung ab: „Deine Frau würde sich über ein Geschenk gefreut haben.“

Ueberhaupt ist der Zulukönig gegen Aeußerlichkeiten nicht so unempfindlich, wie man behauptet hat. Besonders im Beginne seiner Gefangenschaft zeigte er ein lebhaftes Interesse für alles Neue, was ihm seine Umgebung bot. Er fing sogar an, Schreibunterricht zu nehmen, den er jedoch plötzlich aufgab, als er auf sein Gesuch um Freilassung von Lord Kimberley[WS 10] eine abschlägige Antwort erhielt. „Wenn ich im Exil sterben soll, hat die Kenntniß der Schriftsprache keinen Werth für mich,“ sagte er mit wunderlicher Logik. Dieser Ausspruch hindert ihn aber nicht, gelegentlich Briefe in seinem Namen aufsetzen zu lassen, die in charakteristisch kurzer Fassung hervorragenden Personen für empfangene Theilnahme Dank sagen, ihnen zu ihrer Reise nach England Glück wünschen, oder auch condoliren, falls sie ein Unglück betroffen hat.

Zuweilen besucht Cetewayo die Capstadt, meist einer Einladung des Gouverneurs folgend, um diese oder jene Merkwürdigkeit in Augenschein zu nehmen. Das letzte Mal sah ich ihn als Zuschauer bei den Fußwettrennen und gymnastischen Uebungen des in Wynberg[WS 11] stationirten englischen Regiments. Auf die Frage, wie ihm die Unterhaltung gefalle, antwortete er indirect mit den wohl unbeabsichtigt satirisch klingenden Worten: „In meinem Lande spielen die Männer nicht wie Kinder.“

Doch nehmen wir Abschied von unserm Thema und der dunklen Majestät! Daß die Freilassung Cetewayo’s ein Act der Gerechtigkeit wäre, wird allgemein anerkannt, ob sie aber auch ein Act der Klugheit sein würde, ist immerhin zu bezweifeln. Die Capcolonie liegt zwar zu weit vom Zululande entfernt, als daß deren Bewohner von den etwaigen Rachegelüsten des in seine Macht wieder eingesetzten Königs direct belästigt werden könnten. Anders aber verhält es sich mit den dem Zulureiche benachbarten Ländern, insbesondere mit Natal[WS 12] und Transvaal.[WS 13] Die Bewohner dieser Länder denken weniger sanguinisch über die friedfertigen Absichten des eventuell befreiten Löwen. Das Mißtrauen derselben wurde erst jüngst noch zum kraftvollen Ausdrucke gebracht durch folgende im Parlamente Natals einstimmig angenommene Resolution: Die englische Regierung zu ersuchen, Cetewayo nicht die Erlaubniß zu geben, nach dem Zululande zurückzukehren.

Graaf-Reinet, Südafrika, im December 1881.
Dr. Bruno Beheim-Schwarzbach.


Redacteur: Dr. Ernst Ziel in Leipzig. — Verlag von Ernst Keil in Leipzig. — Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
  1. In Anbetracht der bevorstehenden Reise Cetewayo's nach England darf der obenstehende uns vor Kurzem aus Südafrika eingesandte Artikel ein besonderes Interesse unserer Leser beanspruchen.
    D. Red.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Cetshwayo, König von Zulu von 1872-1879
  2. von 100 auf 77 Kilogramm
  3. Oude Molen, eine Turmwindmühle in Kapstadt, wo Cetewayo während seiner Gefangenschaft lebte
  4. Cetewayo gewann die Schlacht bei Isandhlwana gegen die Briten
  5. Benjamin Disraeli, britischer Premierminister während Cetewayos Herrschaft
  6. Napoléon Eugène Louis Bonaparte, 1879 im Zulukrieg gestorben
  7. Observatory railway station
  8. „aufliegen 3): offen liegen“, Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities, Version 01/23, https://www.woerterbuchnetz.de/DWB?lemid=A06615, abgerufen am 20.02.2023.
  9. Anspielung an Napoleon, der zuerst auf die Insel Elba verbannt wurde, wieder an die Macht kam und anschließend nach St. Helena verbannt wurde, wo er starb. Gemeint ist, ob Cetewayo nochmals frei kommt oder hier sterben wird.
  10. John Wodehouse, britischer Kolonialminister, 1880-1882
  11. Wynberg, Stadtteil von Kapstadt
  12. Kolonie Natal, heutiges Südafrika
  13. Transvaal, heutiges Südafrika
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