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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


würde, blieb lange getäuscht; er hielt sich vielmehr abseits, verständnißlos, apathisch in dem Augenblicke der Entscheidung, und beschämt mochte sich damals, im Jahre 1848, der Dichter gestehen, daß sein erster Apostelgang in’s Dorf, um den Bauer für die nationalen Aufgaben zu gewinnen, ein fruchtloser gewesen war. Ja, es hatte sich sogar erwiesen, daß der Strahl der Cultur, welchen der Poet in die Abgeschiedenheit seiner bäuerlichen Landsleute hinübergelenkt, deren Gemüther eher verwirrt, als aufgeklärt, eher verdorben, als veredelt hatte. Denn so schlau war kein städtischer Handelsmann, daß ihn der Bauer Diethelm nicht überlistet, so hart kein großstädtischer Philister, daß ihn der Furchenbauer nicht an Herzensverhärtung noch übertroffen hätte.

Später erst, viel später konnte Auerbach auch seine Schwarzwälder Bauern als gesittigt und geadelt durch die Cultur dem deutschen Volke vorführen, sie in ihrer siegreichen Natürlichkeit sogar am Königshofe zu Ehren bringen.

Immerhin bleibt es sein Ruhm, den die Geschichte unseres Schriftthums niemals wird verschweigen oder unterschätzen können, daß er den deutschen Bauer literaturfähig gemacht hat, und wenn in der Folge Bauern sogar activ an dem parlamentarischen Leben sich betheiligten, so war es sein Verdienst, dazu den Weg gebahnt, das Band der Gemeinsamkeit zwischen Stadt und Dorf zuerst gewoben zu haben.

Es ist oft gesagt worden, Auerbach habe seine Bauern reden lassen wie spinozistische Philosophen, und auch seine Abkehr von allem starren dogmatischen Glauben, übertragen auf seine Erzählungen und Gestalten, hat man herb getadelt. Seltsamer Einspruch! Er hätte das Bauernleben nicht erfaßt und poetisch verklärt, wenn er nicht ein Philosoph aus der pantheistischen Schule Spinoza’s gewesen wäre. Wie dies paradox klingt! Und doch ist es sicher, daß er mit vollem Bewußtsein die Bauernsprache durch künstlerische Behandlung erhob, mit dem Bewußtsein, das er aus dem tiefsten Studium der Volkssprache erlangt hatte, wie es ebenfalls sicher ist, daß er nur denen gegenüber ein Jude war, welche durchaus und mit Absicht den Juden in ihm übersehen wollten. Die Freiheit von aller positiven Religion machte Auerbach zum feinsten psychologischen Ergründer der Bauernseele, die Befreiung von der Enge des Dorfhorizontes erhob ihn über sich selbst und über seine Gestalten, sodaß er den letzteren dichterisch gerecht werden konnte.

Man mag einwenden, daß er den Bauer um etliche Linien höher, als es just nöthig war, zu sich emporrückte, daß er der Natur mehr sinnend als schauend nahestand, daß er, um sich über seinem Stoffe zu erhalten, bisweilen Naivetät zu zeigen beflissen war, wo er derselben ermangelte. Aber wie hätte er über den brutalen Dorfrealismus des Jeremias Gotthelf sich erheben können, wenn er dies nicht gethan hätte? Und dann mußte es ihm ja gerade darum zu thun sein, dem Salonroman gegenüber zu beweisen, daß auch im Dorfe draußen Menschen seien, begabt und gelehrig genug, um in die Volksgesammtheit als gleichberechtigt aufgenommen zu werden. Heute, nachdem jeder Zweifel getilgt ist, können wir leicht darüber spötteln, daß Spinoza’s Geist durch die Gassen von Nordstetten wandelt, daß künstliche Sprache von den Lippen der Auerbach’schen Bauern fließt und manierirtes Denken ihr Hirn beherrscht; nachdem er seit vierzig Jahren in der Literatur heimisch geworden, darf unser Bauer freilich ganz in seinem Originalcostüm sich zeigen, ohne befürchten zu müssen, daß ihm die Schwelle gewiesen werde. Aber damals brauchte er einen Einlaßschein; damals vertraute sich eine Gräfin Irma noch nicht dem naiv-resoluten Verstande einer Walpurga, und deshalb gab Auerbach seinen Schwarzwäldern weise Reflexionen, kunstvolle Wendungen mit; deshalb erfand er für sie kokette Reden und merkwürdig gestaltete Worte, wie die Adjectiva „bedenksam“, „marienhaft“ etc.

Die Kunst des plastischen Bildners ist ihm dabei aber nicht abhanden gekommen, und die Gabe des Erzählers noch weniger. Figuren, die er geschaffen, sind auf die Bühne verpflanzt worden, wo sie eine unverwüstliche Lebenskraft bekunden, Aussprüche moralischen und ästhetischen Inhaltes, die er gethan, haben Eingang gefunden in unserem Sprüchwörter- und Citatenschatz.

Nicht auf ein erschöpfendes literarisches Charakterbild ist es mit diesen Zeilen abgesehen, und auch eine psychologische Studie über Auerbach’s dichterische Persönlichkeit ist nicht bezweckt. Ein rastloses Schaffen von fast fünfzig Jahren ist begreiflichermaßen an Mißerfolgen und Irrthümern nicht bar, auch wenn es gleichzeitig durch seltenes Gelingen verschönt und ausgezeichnet gewesen. Die edle Absicht bleibt da und dort hinter dem Können zurück, und es ist erlaubt, zu sagen, daß von diesem Schicksale die Romane „Das Landhaus am Rhein“ und „Waldfried“ betroffen worden sind, daß die heiße Mühe, das Problem der Durchdringung von Stadt und Land immer neu und aus anderen Gesichtspunkten zu stellen, am Ende nicht durchweg vom Erfolge begünstigt war. Was thut’s? Mit größerem Rechte, als die Franzosen von George Sand, darf unser Volk von Berthold Auerbach rühmen, daß er ihm seine Dorfpoesie geschaffen.

Mehr als sonst nach dem Tode eines Dichters ist nach Auerbach’s Hingange seine Freundschaft reclamirt worden. Viele wollten ihn genau gekannt, ihm nahegestanden haben, und in Erinnerungen an ihn schwelgte Mancher, dem Auerbach flüchtig die Hand gedrückt, dessen Lob er mit Genugthuung hingenommen hatte. War er wirklich so eitel, daß er der Freundschaft eines Jeden, der ihm schmeichelte, seine Seele öffnete? Man hätte es fast glauben können, wenn man ihn mit den Leuten verkehren sah. Aber es war dennoch nicht der Fall; im Gegentheil, aus den besten seiner Eigenschaften quoll seine Selbstgefälligkeit und sein Ruhmesbedürfniß: mittheilsam wie ein Kind, hatte er auch eine kindliche Freude daran, seine Worte schön zu setzen, seine Gedanken und Einfälle spruchartig zuzuspitzen; er berauschte sich an dem kunstvollen Klange der eigenen Rede. In gleichem Maße aber sollten auch Andere von dem, was er sprach oder geschrieben hatte, bewegt sein, damit er daran erkenne, ob er nicht umsonst geschaffen und gearbeitet, wo er das Rechte getroffen, wo das Falsche nicht vermieden hatte. Solches Hinhorchen auf das Lob des Andern, solches Dürsten und Hungern nach Beifall und Zustimmung ist nicht, was man gemeinhin Eitelkeit nennt; denn man vermag dabei nicht zu unterscheiden, wieviel die Individualität für sich, wieviel sie für die Gesammtheit, zu der sie gehört, an Lob und Ruhm in Anspruch nimmt. Und ein Dichter von der Bedeutung Auerbach’s hat doch wohl das Recht, zu glauben, daß von dem Ruhme, den er genießt, ein Theil auch auf seine Nation entfalle. Ganz in dem Sinne seiner philosophischen Anschauung ist es, wenn er sagt:

„Ich lieb’, was sein ist,
Wann’s auch nicht mein ist;
Wann mir’s gleich nicht werden kann,
Hab’ ich doch meine Freude dran.“

Aber dazu paßt es auch, daß er die Grenze zwischen sich und seinem Volke nicht zu finden vermag, so oft er Veranlassung hat, sich seiner Erfolge zu freuen, die nicht ihm allein gehören, ja ihm weniger als seinem Volke, das ihn überlebt und seiner Werke sich noch freut, wenn er selbst längst zu Staube geworden.

Uns Jüngeren, die wir von den ehrwürdigen Dichterhäuptern, welche wir von Kindheit an bewundert, eines nach dem andern hinabsinken sehen, bleibt der kurze Trost, Nachreden zu halten und fremde Bedeutung liebevoll zu würdigen. Wir vermögen nur, das Andenken unserer hervorragenden Geister getreulich festzuhalten, damit dasselbe nicht verloren sei, wenn auch unser Scheitel sich neigt.

Wilhelm Goldbaum.




Um die Erde.
Von Rudolf Cronau.
Achter Brief: Ein Monat auf dem Vater der Ströme.

Unverlöschbar wird in meinem Gedächtnisse die merkwürdige Mississippi-Schwimmfahrt fortleben, welche ich in Gesellschaft des eigenartigen Mannes unternahm, der, eher einem Meergotte des Alterthums als einem Menschen vergleichbar, durch seine abenteuerlichen Wasserreisen den Lesern der „Gartenlaube“ aus früheren Jahrgängen bereits genugsam bekannt ist. Ich spreche vom Capitain Boyton. Da es an dieser Stelle keiner wiederholten Beschreibung der Persönlichkeit, sowie der eigenthümlichen Gummi-Ausrüstung dieser

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_227.jpg&oldid=- (Version vom 11.1.2023)