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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

so fällt er selbst in die Grube. Man belangt ihn einfach wegen Erpressung.“

„Nein, wir dürfen es nie dazu kommen lassen,“ wandte Hilda ein.

„Ich sehe nicht ein, was man anderes thun könnte. Der Gauner wird sich übrigens wohl hüten, irgend welche entscheidende Schritte zu thun, da er weiß, daß hier jeder Pfeil auf den Schützen zurückprallen muß.“

„Indem er Rache nimmt, kann er sich ganz leicht selbst der Verantwortung entziehen. Er braucht nur abzureisen.“

„Ei, so mag der Schuft zum Henker gehen! Eine widerwärtige Geschichte – aber sie läßt sich nicht ändern.“

„Sie vergessen, Edwin, daß ich Verpflichtungen übernommen habe, die mich –“

„Die Dich doch solchen Leuten gegenüber nicht binden können.“

„Gewiß binden sie mich. Ein Versprechen ist mir heilig, wem ich es auch gegeben.“

„Mein Gott, wie unbesonnen! Das ist so echte Frauenart, sich von einer sentimentalen Regung zu den wahnwitzigsten Opfern verleiten zu lassen. Zum Leben gehört vor allem Eines: Klugheit!“

„Klugheit!“ wiederholte sie mit eigenthümlicher Betonung. Ihr tönte plötzlich ein anderer Ausspruch Edwin’s in den Ohren, jener Ausspruch über die „verknöcherte Selbstsucht“, gegen welche er vor Kurzem erst in ritterlichem Anlaufe eine Lanze gebrochen, wofür sie ihm dann, wie zur Zeit der Turniere und Minnelieder, einen Rosendank gespendet. Ach, wem hatte sie die Rosen vorenthalten, die Edwin empfangen? Nun war es ihr wieder, als hörte sie Meinhard’s Worte: „Es giebt Lagen, wo der Mensch einzig und allein dem Impulse seines Herzens folgen muß.“ Aber jetzt, wo sie wirklich in solcher Lage war, in der nur das Herz sprechen darf, wie stand ihr jetzt Meinhard’s Gegner, der Mann, der die „verknöcherte Selbstsucht“ mit so beredten Worten bekämpfte, – wie stand ihr Edwin, derselbe, den sie sich zur Stütze und zum Lebensgefährten gewählt – wie stand er ihr jetzt gegenüber?

„Ich war der Meinung,“ fuhr sie nach einer kleinen Weile in gedämpftem Tone fort, „daß Sie denjenigen glücklich preisen, der ohne Berechnung seinem Drange folgen und als Engel des Erbarmens und der Liebe Hülfe bringen darf. Denken Sie heute anders darüber?“

„Ich ändere meine Ansichten nie,“ erwiderte er, ohne auch nur einen Augenblick zu stutzen oder in Verlegenheit zu gerathen. „Glücklich nannte ich denjenigen, der so handeln darf und kann. Das hängt eben von den Verhältnissen ab.“

„Gottlob, daß es mir die meinen gestatten!“

„Das ist ja eben nicht der Fall. Zehntausend Gulden – die giebt man nicht so weg! Bedenken Sie doch, Hilda, ein ganzes Capital!“

„Für die Rettung meines Bruders!“

„Ach was! Ein solcher Bruder ist zu kostspielig.“

„Für die Ehre der Familie!“

„Was einmal geschehen ist, wird ja doch nicht ungeschehen gemacht.“

„Wir fühlen und denken verschieden,“ sagte Hilda kalt, fast verächtlich. „Meine Ansichten über die Unerläßlichkeit gewisser Dinge sind unerschütterlich, und da Sie mir nicht zu rathen, zu helfen wissen, so gestatten Sie mir wohl, auf dem nun einmal beschrittenen Wege zu verbleiben – nicht wahr?“

„O, wie Sie meinen,“ erwiderte er beleidigt.

„Ich muß aber doch noch einmal auf Ihre Unterstützung zurückkommen, es ist nur eine kleine Gefälligkeit Ihrerseits, Edwin, auf die ich zähle, und Sie werden davon nicht allzusehr in Anspruch genommen werden.“ Sie nahm die Obligationen hervor. „Hier sind Papiere im Werthe von sechstausend Gulden,“ fuhr sie fort. „Die wünsche ich nicht wegzugeben, sondern nur belehnen zu lassen, weil ich sie zu einer kleinen Mitgift für Mimi bestimmt habe. Sie sollen ihr bleiben und können ausgelöst werden, sobald mir Franz meinen Vermögensantheil herausbezahlt. Der Rest muß gegen Wechsel aufgenommen werden und noch Eintausend mehr, die ich für Wilhelm brauche. Sie begreifen, daß er nicht mittellos in die Welt hinaus gehen kann.“

Mit steigender Unruhe hatte Edwin ihr zugehört. Nun vermochte er sich nicht länger zu halten.

„Haben Sie denn summirt?“ fragte er, und sein Gesicht röthete sich vor Aufregung und peinlicher Verlegenheit. „Sechs und sechs macht zwölf, und fünf – macht siebenzehntausend Gulden, Provision und Interessen noch ungerechnet.“

„Es wird so sein,“ entgegnete sie mit ruhiger Gelassenheit, die einen starken Gegensatz zu seiner Erregtheit bildete.

„Sie wollen sich also Ihres Besitzes möglichst entäußern?“ versuchte er zu scherzen. „Wissen Sie, daß man Sie eigentlich als Verschwenderin unter Curatel setzen sollte? Nein, nein, denken Sie nicht an dieses Darlehn, liebste Hilda! Dazu kann ich übrigens als Ihr künftiger, natürlicher Vertreter auch nie meine Einwilligung geben.“

„Noch bedarf ich derselben nicht,“ antwortete sie kurz, aber schon im nächsten Augenblicke that ihr die schroffe Antwort leid, und in freundlicherem Tone sagte sie. „Sie sollten es mir nicht so schwer machen, Edwin, eine Gewissenspflicht zu erfüllen. Daß ich mich an Sie wende, ist ein Zeichen des Vertrauens, und es ist nicht gut, nicht edel von Ihnen, wenn Sie mich hierin einschüchtern. Stehen Sie mir treulich bei und verdienen Sie sich meinen Dank! Wollen Sie, Edwin? Ich bitte Sie darum.“

Der weiche, freundliche Ton blieb ohne Eindruck auf ihn, und die bittend ausgestreckte Hand fand die seine nicht.

„Ich kann nicht,“ sagte er, noch immer in starker Erregung. „Sie haben nicht bedacht, was Sie zu thun im Begriffe stehen. Es ist meines Wissens die Hälfte Ihres Vermögens, welches Sie zu Gunsten Ihres Bruders abtreten wollen – und was für eines Bruders!“

„Ja, die Hälfte meines Vermögens, und müßte es mein ganzes sein – ich dürfte nicht zaudern.“

„Fürwahr, ein Heroismus der Familienliebe, der – an den Wahnsinn streift, wie jeder Heroismus!“ lachte er scharf auf. „Ich werde dazu nie und nimmer die Hand leihen. Ich kann es nicht, Hilda – ich darf es nicht.“

„So muß ich es denn allein vollbringen.“

Er hatte ihren Arm losgelassen und war stehen geblieben. Ohnedem konnten sie nur einzeln durch das Drehkreuz in der Hecke des Obstgartens gehen, das sie jetzt erreicht hatten.

„Ich kann es nicht,“ wiederholte Edwin. „Das hieße – unsere Zukunft in Frage stellen und darum beschwöre ich Sie, Hilda, überlegen Sie noch einmal Ihr Vorhaben! Sie setzen mit demselben mehr auf’s Spiel, als Ihnen bisher klar geworden. Sie dürfen mich nicht mißverstehen; ich bin weit davon entfernt, einen Druck auf Sie üben zu wollen aber die Offenherzigkeit muß wohl zwischen uns Beiden eine gegenseitige sein. So poetisch die Liebe auch ist, und so sehr gerade ich geneigt bin, mich von ihrem Zauber umspinnen zu lassen, kann ich doch nicht umhin, auch die praktische Seite der Sache in’s Auge zu fassen. Es ist dies des Mannes Pflicht, wenn er eine Familie gründen will, und mehr als sich selbst noch ist er es der Geliebten schuldig. Da Sie so lange einem Haushalte vorgestanden, werden Sie selbst wissen, wie viel zu seiner Führung erforderlich ist. O, daß man diese prosaischen Dinge berühren muß! Aber es giebt eine Grenze selbst im Staatsbudget, jenseits welcher bekanntermaßen das Deficit beginnt. Man erhöht dann Zölle, Steuern, macht Schulden und dergleichen. Das wäre denn also auch unsere künftige Finanzpolitik; denn – Sie wissen es wohl? – ich, ja ich besitze nichts.“

Sie sah ihn so mitleidig an, daß es ihm das Blut in die Schläfe trieb.

„Ein Mann, der Kopf und Arme hat, sollte nie sagen, daß er nichts besitze – aber es fehlt Ihnen eine Haupttugend des Mannes – der Muth.“

„Wenigstens der Muth, eine Frau der Armuth und Entbehrung auszusetzen. Das scheue ich mich nicht zu gestehen, und fehlt mir der Muth, Hilda, so fehlt Ihnen – die Ueberlegung.“

„Nein, nicht diese fehlt mir, Edwin, nur die Selbstsucht. Ich habe übrigens keine Wahl – –“

„Das will sagen: Sie geben mich auf für den Bruder?“

Sie wären es, der mich aufgäbe.“

„Sie zwingen mich dazu.“

„Und der Würfel ist ja bereits gefallen,“ erwiderte sie, ohne ihre Geringschätzung sonderlich zu verbergen. „Für die halbe Mitgift ein halbes Herz!“

„Wahrhaftig!“ brauste er auf, und diesmal war es kein künstliches Feuer. „Ihnen steht am wenigsten das Recht zu, mich mit solchem Vorhalte zu strafen. Wo war Ihr Herz, als Sie mich an den Besitz desselben glauben ließen? Sie haben in mir

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