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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

No. 10.   1882.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Der heimliche Gast.

Erzählung von Robert Byr.
(Fortsetzung.)


„Sie haben eben noch ein gar kurzes Zeitmaß für Ihre Weltanschauung, liebe Mimi,“ erwiderte Meinhard, „Ihre Ansicht wird wohl nicht für alle Zeiten abgeschlossen sein. Aber nicht das ist’s, was mir Anstoß erregt, sondern die Unbilligkeit, ja die Gehässigkeit Ihres leidenschaftlichen Urtheils. Wie können Sie so von – von Ihrer Tante sprechen! Sie hätte Netze ausgeworfen? O nein, mein liebes Kind, es ist doch viel eher anzunehmen, daß sie selbst von einem solchen umgarnt wurde.“

„Sie braucht ihn ja aber auch gar nicht zu nehmen, Onkel Meinhard, wenn sie nicht will.“

Er vermochte der sehr richtigen Bemerkung nichts entgegenzustellen, als sein Gefühl.

„Da mögen mancherlei Beweggründe mitwirken, in die ich keinen klaren Einblick habe. Was aber über allen Zweifel erhaben ist, das ist die Abwesenheit jeder bewußten Koketterie zur Herbeiführung des nun erfolgten Abschlusses. Sie mag den jungen Mann gern gesehen, ihn liebgewonnen haben – es sind ja wohl so mancherlei Vorzüge an ihm, die einem Frauenauge werthvoll erscheinen mögen, die bestechen und vorhandene Mängel übersehen lassen. Ich werfe mich da nicht zum Richter auf, aber besonderer Künste bedarf es bei ihr gewiß nicht, um ein Männerherz anzuziehen, selbst nicht, um das Mißverhältniß der Jahre, das hier allerdings besteht, auszugleichen. Prüfen Sie doch nur, ohne sich von Ihrem Unmuthe verblenden zu lassen, und Sie werden gestehen müssen, daß, wenn Sie die Reihe der Ihnen bekannten jungen Damen im Geiste durchgehen, Wenige ihr gleichkommen dürften. Ob Sie nun ihr schönes, volles Haar, ihre schlanke Gestalt, den anmuthigen Ausdruck ihrer Züge, ihr bezauberndes Lächeln, die wunderbare Tiefe ihres Blickes, kurz die ganze Schönheit ihrer Erscheinung, oder ihre Bildung und die natürliche Grazie ihres Benehmens in Vergleichung ziehen wollen – nirgends, Mimi, wird Ihnen ein so durchaus vollkommenes Bild von echter Frauenschönheit entgegentreten – nirgends, wohin Sie auch blicken mögen.“

„Am allerwenigsten im Spiegel. Ich weiß es ja; ich bin nicht blind. Aber ich möchte schöner und anziehender sein als sie. Ich möchte es sein.“

„Dann seien Sie vor Allem gerechter, und gestehen Sie ein, daß es ein Glück sein muß, eine solche Frau zu gewinnen, deren häuslicher Sinn, deren Thatkraft, deren Wissen und Denken eine Heimath zu schaffen im Stande sind, in der es Jedem wohl werden muß. Hilda’s Herz ist von einer so unerschöpflichen Güte, von einem so edlen Pflichtgefühl und so rührender Treue erfüllt, daß, wer darinnen aufgenommen wird, sich wirklich vorkommen muß, als sei er im Himmel.“

Verwundert blickte Mimi zu Meinhard auf, der mit begeisterter Wärme gesprochen hatte, und voll schlauer Schalkhaftigkeit fragte sie dann:

„Ja, aber warum heirathen Sie sie denn selbst nicht, Onkel Meinhard?“

Die Frage trieb ihm eine starke Röthe auf die Stirn; ein Zug des Schmerzes trat in sein Antlitz, und das Feuer in seinen Augen erlosch.

„Es kommt bei den meisten Dingen auf Erden nicht blos auf unseren Willen an, das werden Sie auch noch erfahren,“ sagte er dumpf.

„O, das hab’ ich schon erfahren,“ fiel sie altklug ein und machte ein sehr betrübtes Gesicht. Dann hängte sie sich vertraulicher an seinen Arm und suchte mit ihm Schritt zu halten. „Ich habe schon lange gedacht, es müßte zwischen Hilda und Ihnen etwas sein. Sie sehen sie immer wie verklärt an – man kann es in Ihren Augen lesen, wie gern Sie in ihrer Gesellschaft sind. Aber ich habe bisher immer fest und sicher geglaubt, daß auch die Tante gar viel auf Sie halte, und nun – also auch Sie sind hintergangen worden, Onkel Meinhard?“

„O nein, niemals.“

„Aber Tante Hilda hat Sie doch angezogen – nicht wahr? Und dann ohne Weiteres fallen lassen. Ich begreife nur nicht, wie Sie da noch für sie schwärmen können – das begreife ich wirklich nicht. Wer falsch gegen mich war, den kann ich nur hassen – o, aus ganzer Seele und unversöhnlich hassen!“

„Aber es war auch Niemand falsch gegen mich. Die Anziehungskraft ist keine Willensthätigkeit, sondern gleicht nur der Eigenschaft des Magnets, und ebenso unbewußt übt ein schönes, edles Frauenbild seinen Zauber, dem man sich nicht entziehen kann.“

„Das ist’s ja eben, was mich grämt. Man kann gar nicht zur Geltung kommen neben ihr. Wenn es nur ein Mittel gäbe, die Männer vor dem Einfluß dieses bösen Zaubers zu bewahren, ein Mittel gegen ihre Verlockungskünste! O, diese Sirene! Wissen Sie was, Onkel Meinhard? Sie brauchten gar nicht auf Hilda zu hören, sie gar nicht anzusehen – dann fiele auch der Vergleich zwischen Tante Hilda und mir nicht so zu meinen Ungunsten aus, und Sie und Andere fänden mich vielleicht gar nicht so häßlich.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 153. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_153.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)