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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Kloster Lehnin.

Ein Stück märkischer Romantik.

Nein, sie ist in Deutschland nicht so ganz ausgestorben, die blaue Wunderblume, die vor Zeiten eine so große Rolle gespielt und einem ganzen Abschnitte unserer Literatur ihren Namen gegeben hat. Aber sie blüht selten an den großen Heerstraßen des modernen Verkehrs; sie hat sich verschämt in die Einsamkeit geflüchtet und fristet in der friedlichen Stille abseits gelegener Thäler ihr träumerisches Dasein. Wer aber ein guter Botaniker und daneben zufällig ein Sonntagskind ist, der wird sie noch heute zu finden wissen, und wer sie fand, den erquickt die Blume der Romantik noch heute dankbar mit ihrem Dufte.

Im Zauch-Belziger Kreise der ob ihrer landschaftlichen Nüchternheit mehr als billig verrufenen Mark, zwei Meilen südöstlich von Brandenburg und gegen drei Meilen südwestlich von der königlichen Residenzstadt Potsdam entfernt, liegt Lehnin, ein Städtchen von gegenwärtig etwa 2000 Einwohnern. Von Großkreuz, einer Station der Berlin-Magdeburger Bahn zwischen Potsdam und Brandenburg, erreicht man den kleinen Ort zu Fuß in ungefähr zweieinviertel Stunden; zieht man Fahrgelegenheit vor, so bietet sich entweder die kaiserliche Post selbst, oder aber eine Art von Postfuhrwerk dar, welches ein Briefträger auf eigene Rechnung hält und bei dem nur die Adjustirung des Kutschers an einen Zusammenhang mit der gedachten wichtigen Reichsinstitution erinnert. In beiden Fällen verringert sich die Entfernung von der Bahnstation Großkreuz nach dem Städtchen Lehnin bis auf etwa eine Stunde, doch ist hierbei zu bemerken, daß leider die postalische Verbindung zwischen beiden Punkten eine herzlich mangelhafte genannt werden muß, dergestalt, daß der Reisende, der wegen seines Gepäckes oder aus sonstigen Gründen sich auf diese Art der Beförderung angewiesen sieht, unter Umständen Stunden lang zu warten hat, bevor das Gefährt sich in Bewegung setzt. Heiliger Stephan, hilf!

Die Klosterkirche von Lehnin.
Originalzeichnung von W. Schuffenhauer.

Von Kreuz aus führt der Weg zunächst durch fußtiefen Sand, durch den die Pferde sich nur mühsam hindurcharbeiten. Später folgt eine Strecke Lehmweg, der den Thieren gestattet, sich von den soeben überstandenen Strapazen einigermaßen zu erholen. Zuletzt erreichen wir glücklich eine wohlgepflegte Chaussee, auf der uns die Rosse in nunmehr beschleunigter Gangart unserem Reiseziele entgegenführen.

Lehnins Lage ist – wenigstens nach märkischen Begriffen – eine überaus anmuthige, man könnte sagen: romantische. Die Hochebene von Kreuz und ausgedehnte Fichtenwaldungen verdecken den Ort, bis man ihn, wenn auch nicht in einem tiefen Thale, so doch in einer dem Anscheine nach früher sumpfig gewesenen Niederung plötzlich vor sich sieht; Seen, Wälder und kleine freundliche Häuser mit weißen Giebeln und rothen Ziegeldächern geben das Bild des Ganzen.

Ueber die Gründung Lehnins cursiren verschiedene Sagen, von denen hier wenigstens eine Platz finden möge. Otto der Erste aus dem askanischen Hause, der Sohn Albrecht’s des Bären, des Wendenbesiegers in der Mark, hatte sich, von seinem Gefolge getrennt, auf der Jagd verirrt und war unter einem schattigen Eichenbaume eingeschlafen. Da sah er im Traum eine Hirschkuh, die ihn ohne Scheu unablässig verfolgte, bis er sie, der Belästigung überdrüssig, durch einen wohlgezielten Pfeilschuß niederstreckte. Das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_129.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)