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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

fragte er leise den Kopf schüttelnd. Aber der milde Vorwurf schürte nur das Feuer.

„Habe ich denn über alles Rechenschaft abzulegen?“ entgegnete sie trotzig. „Unterscheiden kann ich selbst auch; ich bin kein Kind mehr.“

„Ja, herzensgut und unerfahren sind Sie, wie ein Kind, das man vor einer Falle warnen und vor Schaden behüten muß.“

„Komm’ ich zu Schaden, so ist es meine Sache.“

„Nein, die Verantwortung träfe, wenn auch nur vor dem eigenen Richter, den man im Innern trägt, Denjenigen, der seine Pflicht als Ihr Beschützer so arg vernachlässigt hätte.“

„Mein Beschützer?“ Hilda trat mit einem stolzen Emporheben des Kopfes zurück. „Kein Mann hat das Recht, sich dazu aufzuwerfen, es wäre denn –“

„Nun?“ fragte er die Stockende, der abermals ein Blutstrahl in’s Angesicht geschossen war.

„Der Ehemann,“ sagte sie leise.

„Und der wahre Freund,“ fügte er hinzu.

„Ja, Meinhard, aber der ist kein wahrer Freund, der eine freiwillig ihm eingeräumte Stellung in ein Abhängigkeitsverhältniß verwandeln will. Genug des Wortwechsels! Machen wir der Sache ein Ende! Geben Sie –“

„Nein, Sie bekommen das Geld nicht.“

Und statt in die gebieterisch ausgestreckte Hand, legte er das Paket in die Lade zurück und schob sie zu. Miene und Haltung deuteten, als er sich Hilda wieder zuwendete, auf einen unabänderlichen Entschluß.

„Sie enthalten mir mein Eigenthum vor?“ rief sie heftig.

„Bis auf Weiteres, ja.“

„Wie dürfen Sie das? Es ist eine gesetzwidrige Handlung.“

„Allerdings, und es steht Ihnen frei, mich dafür zu belangen. Klagen Sie immerhin – ich entziehe mich den Folgen nicht. Aber bis das Gericht mich zur Auslieferung zwingt, wird doch einige Zeit vergehen, und es ist möglich, daß Sie unterdeß zu klarerer Einsicht kommen. Es ist besser, daß ich Sie zum Schein beraube, als daß Sie thatsächlich beraubt werden.“

„Sie begehen einen Vertrauensbruch, einen Rechtsbruch,“ rief Hilda, und ihr brennendes Auge, in dem eine Thräne zerfloß, richtete sich in Haß auf Meinhard.

„Das Vertrauen, das nicht existirt, kann nicht gebrochen werden,“ erwiderte er, tiefen Gram in den Zügen. „Es war nur ein Irrthum, daß ich an Ihr Vertrauen glaubte, Hilda. Was aber das Recht betrifft, so will ich es lieber verletzen, als meine Pflicht gegen die Freundschaft, der ich meinerseits treu bleibe.“

„Treu? Ich entbinde Sie derselben – für immer!“

„Hilda!“

„Sie selber, Meinhard, haben das Band mit Gewalt entzweigerissen. Das ist nimmermehr gut zu machen.“

„Sie sind im Zorn, meine Freundin – der wird verrauchen.“

„Mag sein!“ stieß sie, durch seinen Gleichmuth gereizt, hastig hervor. Sie kannte sich selbst nicht mehr. „Unter dem Vorwande, Mißbrauch zu verhüten, selbst einen begehen, ist eine unehrenhafte Handlung, und einer solchen gegenüber verwandelt sich die Empörung – in Verachtung.“

Es kam kein Wort über seine Lippen; kein Zug seines Gesichtes regte sich; er war wie zu Stein geworden. Aber vor diesem bleichen Antlitz, vor dem starren Blicke fühlte sich Hilda von einer jähen Furcht erfaßt. Die rücklaufende Welle des Bluts jedoch verdrängte wieder diese Empfindung. Nein, es gab da nichts zu widerrufen. Sie hatte nur ausgesprochen, was sie dachte. So war es.

Meinhard hatte eben das ihm anvertraute Geld wieder an seinen alten Platz gelegt und unter Verschluß gebracht, als die Thür sich öffnete und in dem Rahmen derselben der Hausdiener erschien – er kam Hilda wie eine Rettung aus banger Noth. Er entschuldigte die Unterbrechung, indem er gleichzeitig Fritz, den Reinach’schen Kutscher, einließ.

Die gnädige „Frau Schwiegermama“, berichtete Dieser, warte unten in der Equipage und habe ihn heraufgeschickt, es dem gnädigen Fräulein zu melden.

Verwirrt erklärte sich Hilda bereit, ihm sogleich zu folgen. Nur noch mit einem scheuen Blick streifte sie Meinhard, von dessen ruhiger Haltung keine Aenderung seiner Entschlüsse zu erwarten stand und der sie stumm bis zur Thür begleitete, wo er sich mit einer förmlichen Verbeugung kühl von ihr verabschiedete.

Erst als Hilda von Frau Rohrwek mit strenger Miene empfangen wurde, schoß ihr die Frage durch den Kopf, wie dieselbe denn dazu gekommen, sie hier zu vermuthen und abzuholen. Hilda war zwar heute früh mit ihr in die Stadt gefahren, hatte auch eine Rückfahrt um Mittag mit ihr halbwegs verabredet, aber wie konnte sie ahnen – – kurz der Gedanke, ihre Wege ausgekundschaftet zu wissen, übte auf das erregte Mädchen eine peinlich deprimirende Wirkung – aber nur für einen kurzen Moment; denn schnell tauchten in ihrem erhitzten Kopfe alle andern Gedanken in den einen an das eben Erlebte unter. Hilda hörte kaum darauf, als ihr nicht ohne eine gewisse Schadenfreude auseinandergesetzt wurde, wie man sie hier aufgefunden. Das war nämlich so gekommen: Fritz war die so lange Ausbleibende suchen gegangen und hatte im Kaufmannsladen, wo er vorfragte, den Amtsschreiber getroffen, der gerade zum Essen ging und die Vermißte auf der Treppe gesehen hatte. Frau Rohrwek schloß an diese Auseinandersetzung unverhohlene Vorwürfe über die verzögerte Heimfahrt an einem Tage, wo das Essen, des nach Tisch projectirten Ausflugs wegen, ausdrücklich auf eine frühere Stunde angesagt war; die alte Dame endete ihre Rede mit einem ernsteren Tadel, auf den es wohl von allem Anfange an abgesehen war und der in dem gravitätischen Urtheilsspruche gipfelte:

„Mein liebes Kind, eine solche Freundschaft ist unschicklich. Man kann nie vorsichtig genug sein. Die böse Welt macht so gern ihre Schlüsse.“

„Vor solchen Trugschlüssen bin ich wohl sicher,“ entgegnete sie verletzt.

„Gut, gut, mein Herzchen!“ sagte die alte Frau beschwichtigend und nickte schlau, „bin ja ganz überzeugt. Ist schon eine zu alte Bekanntschaft, und was so lange in der Entwickelung zurückbleibt, wächst sich nicht mehr aus. Aber, glauben Sie mir, das Beste ist doch, um den Leuten den Mund zu stopfen: Sie heirathen sobald als möglich.“

Immer wieder dieser unausstehliche, stets gleichbleibende Refrain! Hilda gab keine Antwort und lehnte ihr schmerzendes Haupt in die weichen Kissen des Wagens zurück.




8.

Hilda hatte Kopfweh, und so war es keine bloße Ausrede gewesen, als sie gebeten, vom Mittagstische wegbleiben und sich der Ausfahrt entziehen zu dürfen. Diese Ausfahrt galt nämlich dem ersten der in den Wintermonaten reihumgehenden Wohlthätigkeitskränzchen, an dem Mimi Theil nehmen sollte. Statt von der wirklich kranken Hilda wurde das jubelnde Kind nun von Frau Rohrwek begleitet.

Hilda war wirklich krank. Ihr Puls ging rasch; ihre Stirn glühte, und als sie aus dem Schlummer erwachte, der sie inmitten des Gewühles hastig kreuzender Gedanken wie eine schwere Betäubung überfallen, da fühlte sie sich nicht gestärkt, nicht geklärt, nicht beruhigt, nein, nur muthloser als zuvor. Sie hatte eine Niederlage erlitten – wie und durch wessen Schuld, diese Erwägung folgte erst in zweiter Reihe; was sie am schmerzlichsten drückte, war: daß sie ihr Ziel verfehlt hatte.

Ihr Wille hatte sich als ohnmächtig erwiesen; ihr Drohen war sogar verhöhnt worden; denn offenbarer Hohn lag in dem Hinweis auf die ihr zustehenden gerichtlichen Schritte. Hätte man ihr so begegnen dürfen, wenn sie ein Mann gewesen wäre? Als solcher hätte sie noch über andere Waffen zu verfügen gehabt als über das Wort, und der Mann hätte sich auch nicht begnügen müssen, die thatsächliche, tiefempfundene Beleidigung mit einer anderen zu erwidern, die ja der Hochmuth des Mannes eben darum, weil sie aus dem Munde eines Weibes kam, wieder verächtlich abschütteln konnte, ohne daß sie ihn weiter berührte. Eine Frau, der ein Gatte zur Seite stand, konnte solche Ueberhebung strafen lassen, und deshalb schon war sie in gewissem Grade vor ihr sicher. Sie aber war ein Mädchen, hülflos und gänzlich der Willkür dessen preisgegeben, mit dem sie um ihr gutes Recht kämpfte. Der einzige natürliche Beschützer, den sie besaß, durfte nicht einmal aufgerufen werden, weil er sich selbst feindlich gegen ihre Absicht verhalten hatte. O, es war eine verzweifelte Lage, in der sie sich befand!

Ja, es gab doch ein Versäumniß in ihrem Leben, ohne das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_123.jpg&oldid=- (Version vom 7.8.2023)