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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

und Emblemen von Edelmetall, theils aus goldenen Medaillen und aus zwei Preisen von 1000 und 500 Franken für die berufsmäßigen Künstler.

Alle Vorbereitungen waren getroffen worden, um das Unternehmen möglichst weithin bekannt zu machen, und es waren Zustimmungsadressen von allen Eisclubs und Zuschriften und Telegramme aus Deutschland, Frankreich, Rußland, Holland, Schweden, Norwegen, England, Canada und den Vereinigten Staaten eingetroffen. Aber der unerwartet milde Winter machte einen gewaltigen Strich durch die Rechnung.

Schon vierzehn Tage vor dem bestimmten Termin war ein liebenswürdiger Engländer eintroffen, um sich auf unserem Eisplatze für den Wettkampf im Figurenlaufen vorzubereiten. Allein beim Anblick der Leistungen unserer Matadore zog er seine Anmeldung zurück. Aus Amerika war nur der Berufskünstler Callie Curtis eingetroffen; Petersburg und Stockholm hatten sich telegraphisch entschuldigt, Frankreich war nur durch einen unserer treuen Wintergäste, England durch zwei angesehene Gentlemen gesetzten Alters und auch Holland in gleicher Weise durch einen Sportsfreund im Preisgericht vertreten. Ungarn, Dänemark und Belgien waren ganz ausgeblieben, und sogar das Brudervolk im deutschen Reiche hätte uns im Stiche gelassen, wenn es nicht durch einen Baiern aus Tegernsee vertreten gewesen wäre, welcher den zweiten Preis in einem der Wettläufe davontrug. Glänzend repräsentirt war Norwegen, das seine besten Eiskämpen entsandt hatte, den Herrn Anne aus Drontheim, einen hochgewachsenen, blonden, jungen Mann mit edlen Gesichtszügen, eine Gestalt, wie sie die Dichter von den skandinavischen Helden entwerfen, den taubstummen Herrn Karl Werner und die Brüder Herrn Axel und Herrn Edwin Paulson aus Christiania, beide an Kraft und Gelenkigkeit den Eisbären ihres Nordens vergleichbar.

Diese Herren waren hier rechtzeitig eingetroffen und fanden, da das Fest wegen der milden Witterung auf acht Tage, das heißt auf den 21., 22. und 23. Januar verschoben worden, Muße, beim Anblick der Wiener Figurenläufer einige Lücken ihrer Schule auszufüllen. Der Wettkampf im Figurenlaufen fand am Sonnabend den 21. statt und hatten sich dazu zwölf Concurrenten gemeldet.

Das Figurenlaufen bestand aus drei Abtheilungen: 1) dem Schullaufen, 2) der Vorführung einer Specialfigur und 3) einem combinirten vier Minuten langen Kunstlaufen. Das Schullaufen bestand aus dreiundzwanzig Nummern, welche die sämmtlichen Grundzüge des Figurenlaufens, vom einfachen Bogen und Kreis, mit und ohne Uebertreten, bis zum Dreier, Doppeldreier, Achter und zur Schlinge umfaßten und mit der nachfolgend verzeichneten Figur 23 schlossen, die sämmtlich vier Mal, das heißt vor- und rückwärts, rechts und links gelaufen werden mußten.

Fig. 21. Fig 23.

Alle diese Figuren wurden den Preisrichtern und einem engeren Kreise von Zuschauern vorgeführt, und zwar von sämmtlichen Wiener Concurrenten fehlerfrei gelaufen, sodaß nur der größere Durchmesser der Bogen und die größere Sicherheit und Eleganz über die Rangstufe entschied. Nur Axel Paulson konnte die Figur 23 nicht bewältigen und wiederholte die Figur 21, weil in Christiania die Schlinge noch nicht bekannt war und er erst hier die einfache Schlinge bewältigt hatte.

Die Bemerkung darf nicht unterdrückt werden, daß diese Gesammtleistung, welche fünf volle Stunden für nur sieben Concurrenten in Anspruch nahm und bestimmt ist, eine hervorragende Stelle in der Geschichte des Eissportes einzunehmen, unter den ungünstigsten Eisverhältnissen vollbracht wurde. Seit drei Tagen war die Temperatur während des Tages auf + 5° R gestiegen und des Nachts nicht unter + 2° R gesunken. Die Eisdecke war daher im Thauen begriffen und die Oberfläche so weich, daß die Schlittschuhe nur dadurch vom tieferen Einschneiden bewahrt werden konnten, daß die Eisfläche in jeder Pause mit frischem Brunnenwasser bespritzt wurde. In Folge dieser ungünstigen Beschaffenheit des Eises und der vollendeten Leistungen der Concurrenten zogen fünf unter den zwölf Angemeldeten sich noch während der Probe zurück, worunter zwei Norweger.

Noch bis zum letzten Augenblick waren das Preisrichtercollegium und der Verwaltungsausschuß darüber uneinig und unschlüssig, ob es möglich sein würde, bei der um die Tagesmitte steigenden Temperatur das Preisfigurenlaufen am Nachmittage abzuhalten. Nachdem aber das Schullaufen so unerwartet vorzügliche Resultate ergeben hatte, entschloß sich das Preisgericht, im Einverständniß mit den Concurrenten, nach einer kurzen, der Erholung gewidmeten Pause den Wettkampf um zwei Uhr Nachmittags zu beginnen. Derselbe bot das interessanteste Schauspiel, welches seit Jackson Haynes’ Productionen hier gesehen wurde.

Der Leser stelle sich den Schauplatz als eine Art großartigen Amphitheaters vor, dessen äußerer Ring von majestätischen Monumentalbauten gebildet wird, während der innere Kreis von den Gebäuden des Eislaufvereins, der Rollschuhbahnhalle, dem Musikpavillon und den treppenförmig aufgebauten Tribünen, eingefaßt wird. Rings um den Eisplatz sind fünf große elektrische Lampen an zierlichen Mastbäumen aufgepflanzt, während in den beiden Brennpunkten der eine Ellipse bildenden Eisfläche sich zwei höhere, in Holzgitterart erbaute Thürme befinden, welche die größeren elektrischen Lampen tragen. Zwischen diesen beiden Thürmen fand der Figurenwettkampf statt, während die Preisrichter auf den Sockeln der beiden Thürme vertheilt waren, wohin sie sich wegen der Schwäche des Eises auf gelegten Brettern zu begeben genöthigt waren. Die Tribünen waren schwächer besucht, als man es hier bei den Costümfesten gewöhnt ist, weil das Fest schon einmal bei günstigerer Witterung vertagt worden war und Viele nicht daran glauben wollten, daß es bei größerem Thauwetter abgehalten werden könnte. Gleichwohl waren Tausende von Zuschauern gegenwärtig und begrüßten die erfolgreichen Wettkämpfer mit lautem Beifall, während eine Musikcapelle deren Leistungen begleitete.

Zuerst kam die Specialfigur an die Reihe, von welcher die Concurrenten eine Zeichnung in versiegeltem Couvert vorher den Preisrichtern hatten einreichen müssen. Da ich selbst Mitglied des Preisgerichts war, so bin ich im Stande, die Copie der Originale hier folgen zu lassen, wobei zu bemerken ist, daß Axel Paulson’s Specialfigur sich nicht zur Aufzeichnung eignete.[1]

Der Erste, welcher durch Trompetenstoß in die Schranken gerufen wurde, war Leopold Frey aus Wien, dessen beide Figuren, obwohl die eine, die Pirouette, nicht ganz neu, sondern Haynes entlehnt ist, überaus schwunghaft und effectvoll sich ausnahmen. Mit einem raschen Anlauf auf dem Schauplatz erscheinend und in weitem Rückwärtsbogen die Zuschauer begrüßend, worunter sich in der Hofloge die Erzherzoge Wilhelm Ludwig Victor und Rainer befanden, sprang er sofort zur Darstellung der Figur 1, des sogenannten Mondes, über. In die Grätschstellung springend, die Fußspitzen auswärts, zuerst etwas gegen rückwärts gerichtet, beschrieb er einen Kreis im Durchmesser von ungefähr zehn Meter, um sodann mittelst einer kleinen Schwenkung in den Einwärtskreis einzulenken und dadurch einen Achter in der Grätschstellung zu bilden, welcher zuletzt in einer Spirale auslief. Hierauf zeichnete er Figur 2, die Pirouette, indem er von der stehenden Haltung in die Kniebeuge überging, sich dann nach zehnmaliger Umdrehung wieder erhob und mit einem Rückwärtsbogen abschloß. Stürmischer Beifall belohnte diese Leistung, welche so gelungen war, als ob sie auf Spiegeleis vollbracht worden wäre.

Als neu ist die Specialfigur Engelmann’s hervorzuheben, welcher je einen Doppeldreier mit einer Pirouette auf der Fußspitze verband, was einen sehr zierlichen Anblick gewährte.

Das Kraftelement war durch Axel Paulson vertreten, welcher in raschem Anlauf, einen Bogen nach rückwärts beschreibend und zu einem riesigen Sprung ausholend, sich anderthalb Mal in der Luft um sich selbst drehte und dann mit Bogen vorwärts endete – ein effectvolles Kraftstück, das von den Zuschauern mit besonderem Beifall begrüßt wurde.

Nach dem hier Gesagten kann man sich vorstellen, daß die nachfolgende Schlußproduction, bei welcher jeder der sieben Concurrenten vier Minuten lang in combinirten Figuren fuhr, ganz der Höhe der übrigen Leistungen entsprach, daß aber das Schauspiel seinen Höhepunkt erreichte, als zum Schluß sämmtliche Preiskämpfer gleichzeitig auf dem Schauplatze erschienen und bei den rauschenden Klängen der Musik in den kühnsten Schwingungen wirbelten, wobei Axel Paulson durch kraftvolle Pirouetten und kühne Sprünge, Frey und Engelmann, die sich zu einer gemeinsamen

  1. Näheren Aufschluß über die Ausführung der obigen Figuren findet man in dem Lehrbuch des Wiener Eislaufvereins, welches unter dem Titel „Spuren auf dem Eise“ bei Alfred Hölder in Wien erschienen ist.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_111.jpg&oldid=- (Version vom 1.7.2023)